Schillerndstes Grau

Das Verrückte ist ja, dass man denkt man kennt sich.
Mich selbst kenne ich mittlerweile immerhin gut genug, um zu wissen, dass ich das Ding hier schreiben muss.

Ich bin so voller Eindrücke und ich will das verstehen: Was ist so toll daran, sich mit Menschen zu treffen, die einem doch nur den Spiegel vorhalten – man selbst wird ja auch nicht jünger.
Einige haben sich gut gehalten, zumindest erweckt es den Anschein, andere sind gar nicht erst aufgetaucht. Sie werden ihre Gründe haben.

Ich habe mich auf diesen Abend gefreut, weil ich den letzten vor fünf Jahren in guter Erinnerung habe. Und tatsächlich ist es ein Anknüpfen an Gespräche, die seitdem weitergegangen sind, in Gedanken, oder auch in echt.

Direkt zu Beginn gerate ich in eine politische Diskussion, ausgerechnet ich, die ich auf diesem Gebiet ein absoluter Stümper bin - dachte ich immer, bis ich im Laufe der Zeit feststellen durfte, dass das was man allgemeinhin als Intuition bezeichnet, sich durchaus auf alle Lebensbereiche bezieht. Die Welt geht unter, damals wie heute. Und endlich habe ich das Gefühl auch etwas dazu sagen zu können.

Ich hatte keine Worte für den unglaublichen Wust, der damals in mir war, wusste selbst nicht, wer ich bin, geschweige denn, wer ich werden wollte und hier stehe ich zwischen lauter Fremden, die mich teilweise besser zu kennen scheinen, als ich es jemals für möglich gehalten hätte. Das tut gut!

Ehemaligentreffen dieser Art waren lange nicht mein Ding. Ich mag es nicht, mich behaupten zu müssen, weil ich von vornherein das Gefühl habe, immer den Kürzeren zu ziehen. Wissen macht frei! Ich weiß jetzt: Gefühl kann täuschen.
Anders als Intuition. Die bewahrheitet sich: Einmal im Herzen - immer im Herzen!

Gegen halb zehn habe ich das „Ich-hab‘-euch-alle-lieb-Stadium“ erreicht. Es ist die reine Wahrheit.
Ich liebe Menschen auch morgens um halb elf, oder nachmittags um drei. Sie sind bunt und verleihen meiner Denkweise mehr Nuancen. Aber die abends gegen halb zehn sind mir jetzt gerade am liebsten. Vielleicht finde ich es deswegen so schön hier, weil das Bild, das sich aus all den Farben im Laufe der Zeit ergeben hat, mittlerweile klarer zu erkennen ist.
Es ist echter. Weniger Fälschung.

Irgendwo zwischen Original und Fälschung frage ich mich, ob ich gekommen wäre, wenn MIR gerade mal die Farbe ausgegangen wäre. Mein Gefühl sagt ganz klar: „Nein!“  ICH will nicht der Spiegel sein, der anderen vorhält, dass auch sie nicht jünger werden. Und gleichzeitig merke ich, dass ich an diesem Punkt noch arbeiten will, weil manch einer hier an diesem Abend ziemlich vermisst wird!

Es sind die Schatten, die die Tiefe bringen. Auch die dunklen Töne gehören dazu: Alternde Eltern beispielsweise, wenn sie denn noch leben. Das sich nähernde Rentenalter – unfassbar. Geplatzte Lebensträume. Oder die eigenen körperlichen Gebrechen eben.
Das Lernen hört nie auf. Auch nicht fünfunddreißig Jahre nach der Reifeprüfung.

Ich habe verstanden, dass wir uns dem nicht entziehen können: Wir sind Teil eines Ganzen – Abi `88! Und egal wie gut man sich kennt, oder man denkt sich zu kennen: Es ist immer noch für eine Überraschung gut.
Acht Stunden waren zu kurz, um mit allen zu reden. So ist das halt. Ich freue mich umso mehr auf ein Wiedersehen. Wenn nicht in bunt, dann eben in schillerndstem Grau.

Autor:

Femke Zimmermann aus Düsseldorf

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