Weltschmerz

Foto: Amazon

Samstagnachmittag.
Es ist ruhig im Haus.
Jeder geht seinen eigenen Interessen nach.
Hin und wieder vernehme ich das Rollen eines Schreibtischstuhls, oder ich höre einen Wasserhahn.
Es passiert nicht viel.

Und ich, ich bin gefesselt.
Es ist unfassbar: Das Haus voller Leute und ich bin im Wohnzimmer gefangen auf der Couch. Ich kann nicht weg, nicht auf’s Klo, ich schaffe es nicht einmal zum Kühlschrank.
Ich sitze fest.
Nur am Rande bekomme ich mit, wie jemand den Kopf durch die Tür steckt und sich lautlos wieder entfernt.
Wie kann es sein, dass keiner mitbekommt was mit mir los ist?

Die Geschichte ist schnell erzählt:
Ein kleiner, leukämiekranker Junge lebt seine letzten Tage im Krankenhaus als wäre es ein ganzes Leben. Die Fragen und Gedanken die ihn in dieser Zeit beschäftigen, teilt er mit einer alten Dame, die ihn besucht. Am Ende stirbt das Kind und alle sind traurig.

Ich merke, wie ich steif geworden bin, mir die Glieder weh tun. Mein Magen krampft, mein bewegungsloser Körper fängt an zu beben. Der Mund zuckt.
Und plötzlich, wie durch ein Wunder lösen sich meine Fesseln:
Die ersten Tränen brechen sich Bahn. Wenig später sitze ich laut schluchzend und schnäuze das dritte Papiertaschentuch voll. Augen in Aspik, ich bin völlig entstellt.

„Mama? Alles o.k.?“
„Ja, ja, es geht gleich wieder.“ Erklärend hebe ich das Buch in die Höhe und heule hemmungslos weiter.
Und dann geht’s tatsächlich irgendwann wieder: Raus in die Welt.
Durch ein wunderbares Buch* getröstet und gestärkt.

*Eric-Emmanuel Schmitt: “Oskar und die Dame in Rosa“
Fischer Taschenbuch Verlag

Autor:

Femke Zimmermann aus Düsseldorf

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