Advent, Advent, ein Lichtlein brennt...

...erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier -
dann plötzlich beinahe alles hier

Es war der Abend vor dem Heiligen Abend, und es war, wie es noch nie vorher gewesen war: ruhig, friedlich, sauber, das ganze Haus glänzte, das Essen war vorbereitet, der Baum stand aufrecht und fast kerzengerade in seinem Ständer ohne zu wackeln und Perle, unser Hunsch, ( halb Mensch, halb Hund ) lag friedlich schnarchend auf der Couch. Sie war gerade nicht läufig und hatte zurzeit auch keine ihrer neurotischen Anwandlungen. Zudem hatten sich unsere Töchter großzügig bereit erklärt, Heilig Abend mit uns und Oma in die Kirche zu gehen.
Halleluja!
Und das lange Elend männlicher Natur mit den langen Haaren und den von uns so geliebten Cowboystiefeln, das sich hier im Windschatten unserer Jüngsten so nach und nach eingenistet hatte, hatte großzügigerweise versprochen, die ersten zwei Stunden des geheiligten Abends ausnahmsweise zuhause zu verbringen, und erst nach der Bescherung wiederzukommen.
Wie gesagt: Halleluja! Alles geregelt.
Alles bestens.
Weihnachten kann kommen!

Glücklich und losgelöst von allen abgearbeiteten Problemen sank ich auf die Couch, legte meine müden Füße auf den Tisch und meine fleißigen Mutterhände um ein schönes Glas wohltemperierten Chiraz. Glück pur.
Oben dröhnte Hardrock, hier unten im Wohnzimmer schwebten leise, harmonische Weihnachtsklänge. Am Adventskranz brannten 4 rote Kerzen.
"Weihnachten ist doch schön", seufzte ich zufrieden Richtung liebenden Gatten, "morgen können wir ein bisschen ausschlafen, in Ruhe frühstücken, dann schmücken wir den Baum, und nachmittags gehen wir eine Runde spazieren durch die Felder. Und dann zur Kirche, Bescherung... ach ja, dieses Jahr freue ich mich richtig. Endlich mal ein Weihnachten ohne Stress. So müsste es immer sein...
Ach ja..."

Irgendwann ging auch dieser wohlig-warme Vorweihnachtsabend zu Ende. Ein letzter Blick in die Runde, jawohl, immer noch alles pikobello. Mein Hausfrauengewissen trat neben mich, lächelte und tätschelte wohlwollend meine Schulter: hast du fein gemacht!
Danke. Ich hatte auch ein sauberes, wenn nicht sogar reines Gewissen.
So, noch schnell die Kerzen ausdrücken, Perle rausscheuchen zum Pipimachen und dann, ab ins Bett.

Am nächsten Morgen herrschte starker Nebel.
Im Haus.
Im Haus?
Er waberte uns entgegen. Durchs Treppenhaus! Stinkend und rußig.

Mein Mann rannte die Treppe runter, ich hinterher. Je näher wir dem Wohnzimmer kamen, desto dichter wurden die Schwaden. Was mochte sich hinter der geschlossenen Türe zum Wohnzimmer abspielen?
Kaum wagten wir, sie zu öffnen.
Zentimeter um Zentimeter drangen wir vorsichtig in die Waschküche ein. Zu sehen war praktisch nichts vor lauter Qualm. Wir keuchten und husteten, tasteten uns durch den Raum und rissen die großen Wintergartenfenster weit auf.
Der kalte Sauerstoff des frühen Morgens brachte ziemlich rasch Klarheit.
"Hast du die Kerzen nicht richtig ausgemacht?"

"Habe ich wohl!" Ich wusste ganz genau, dass ich die Dochte mit angefeuchteten Fingern ausgedrückt hatte. Wie immer.

Und dann, so nach und nach, sah ich die ganze Bescherung.
Eigentlich hatte ich sie mir erst für abends und dann auch ganz anders vorgestellt. Etwa wie:
Warmes Kerzenlicht im sauberen Wohnzimmer, Geschenke unterm Tannenbaum, strahlende Gesichter und überhaupt!
Die paar pechschwarzen, stinkigen Krümel und das bisschen rostiger Draht, die da noch auf den Kacheln des Tisches vor sich hin kokelten, passten überhaupt nicht zu meiner Vorstellung von Bescherung. Sie erinnerten nicht mal ansatzweise an den Adventskranz, der uns noch vor ein paar Stunden mit seinen frischen Farben und seinem warmen Tannenduft erfreut hatte.
Dicke Wachsstraßen pappten oben auf dem Tisch und unten auf den Steinfliesen wie erstarrte Lavamasse. Die Zementfugen zwischen den Kacheln waren weg. Einfach weg. Ausgebrannt.

Ich schwankte zwischen hysterischem Lachen und verzweifeltem Kreischen.
Ruß! Ich sah nur noch Ruß! Überall. - Ruß. Ekliger, dicker, schwarzer, Rußs in meinem schönen, sauberen Wohnzimmer! Zentimeterdick klebte er auf allen Möbeln und dem Boden.
Die Lampe überm Tisch zeigte seltsame Muster, und die ehemals schlichtweiße Decke darüber war zu einem surrealen Kunstwerk mutiert.
Und alles förmlich über Nacht.
Und alles ohne unser Zutun.
Und alles, während wir schliefen.
Gratis, sozusagen.

Wir dankten unseren Schutzengeln, dass sie uns vor Schlimmerem bewahrt hatten und beglückwünschten uns gegenseitig zu unserer derzeit noch etwas minimalistischen Einrichtung, in der es außer einem Adventskranz nichts Brennbares auf und unterm Tisch gab.

In unserer Verzweiflung fingen wir an zu singen: Ihr Kinderlein kommet...
aber sie hörten nichts und schliefen friedlich weiter. Nur Perle, unser altes Mädchen, erwachte langsam, schnupperte, verlangte, dass wir ihr die Haustüre öffneten, ihre allmorgendlichen Streicheleinheiten und ihr Frühstücks-Frolic. Wie gehabt.

Fröhliche Weihnachten!

Alles Jammern und Wehklagen half nichts. Wir brauten uns zur Stärkung einen Espresso mit 10000 Volt und holten Putzeimer, Glasschaber und ätzenden Allesreiniger.

Fröhliche Weihnachten!

Nach rund vier Stunden und rot gescheuerten Händen erlaubten wir uns draußen in der frischen Winterluft ein kurzes Päschen. Sofort erschien meine Mutter nebenan, bereits weihnachtlich gewandet, zog missbilligend die Augenbrauen hoch ob unseres Outfits und fragte: „Ihr ward aber schon früh auf heute morgen?"

"?????????"

"Na ja, als ich um halb 5 mal kurz draußen war, hattet ihr schon richtig Festbeleuchtung im Wohnzimmer. Das strahlte wie Weihnachten. Bis an die Decke.
Erst wollte ich ja schellen, um dabei zu sein, denn ich gehör ja dazu, aber dann hab ich gedacht, stör die Kinder mal lieber nicht!"

11.45.Uhr
Wir brachen zusammen.

© Christel Wismans, Dezember 2008

Autor:

Christel Wismans aus Emmerich am Rhein

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