PCB-Skandal in Ennepetal - Stadt, Kreis und Unternehmen um Aufklärung bemüht
Leise rieselt der Schnee

500 Bürger wollten bei der Infoveranstaltung mehr wissen. Foto: Pielorz
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Im Oktober 2018 wurde im Gewerbegebiet Oelkinghausen in Ennepetal ein Niederschlag in Form weißer, schneeähnlicher Flocken festgestellt. Proben wurden an das Landesumweltamt (LANUV) geschickt. Erste Hinweise lieferten zunächst keinen PCB-Nachweis. Der kam erst nach weiteren Untersuchungen im März 2019 und setzte Maßnahmen in Gang wie ein Löwenzahnblätter-Screening, Grünkohlproben und Emissions- sowie Bodenmessungen. Nach den Ergebnissen der Löwenzahnproben im September wurde eine vorsorgliche Verzehrempfehlung von Obst und Gemüse aus dem heimischen Garten in den Stadtteilen Oelkinghausen und Büttenberg abgegeben. Die Ergebnisse der Grünkohlproben werden erst Frühjahr 2020 vorliegen, bei den Bodenproben wurde PCB nachgewiesen. Die Stadt Ennepetal informierte die Bürger jetzt in einer Bürgerversammlung über den aktuellen Sachstand, nachdem sich Ende Oktober eine Bürgerinitiative „PCB-Skandal in Ennepetal“ gegründet hatte – auch aufgrund der nach Ansicht der Bürger völlig unzureichenden Informationslage. Mehr als 500 Bürger waren zur Infoveranstaltung gekommen. Neben Landrat Olaf Schade und Ennepetals Bürgermeisterin Imke Heymann war auch die leitende Amtsärztin Dr. Sabine Klinke-Rehbein sowie führende Vertreter der Umweltbehörden und des LANUV vor Ort.
PCB steht für Polychlorierte Biphenyle, die als umwelt- und gesundheitsschädlich gelten. PCB ist nicht natürlichen Ursprungs, sondern menschengemacht und gehört zu den 15 giftigsten Substanzen. Es gibt 209 chemische Verbindungen. Sie wurden bis zum Verbot 1989 als Weichmacher und Brandverzögerer für Lacke, Farben, Beschichtungen, Klebstoffe, Dichtungsmassen, Kunststoffe, Kabelisolierungen und Verpackungsmittel verwendet. Durch Luft, Wasser und Böden kann PCB in die Nahrungskette gelangen und es kann zur Belastung tierischer und pflanzlicher Lebensmittel kommen. 2013 wurde PCB als krebserregend für den Menschen eingestuft, wobei vor allem die Abbauprodukte von PCB das Tumorwachstum begünstigen können. Auch außerhalb von Krebs gilt PCB bei lang andauernder Belastung als Mitverursacher von gesundheitlichen Schäden am Nerven- und Immunsystem. Über eine spezielle Blutuntersuchung kann die gesundheitliche Belastung nachgewiesen werden.
Stark in die Kritik geraten ist in Ennepetal die Firma BIW Isolierstoffe GmbH mit Sitz im Gewerbegebiet Oelkinghausen. Das 1971 gegründete Unternehmen mit Standorten in China, Polen und Ennepetal gehört mit 78 Millionen Euro Umsatz zu den Marktführern in der Silikonverarbeitung und ist unter den Top 3 Anbietern für Kabelschutz-Systeme. Schon 1995 hat das Unternehmen erklärt, PCB 47 werde produktionsbedingt freigegeben, allerdings in sehr geringen Mengen. Die Umweltbehörde erklärt auf der Informationsveranstaltung aber, dass PCB-Emissionen bei einem silikonverarbeitenden Betrieb bislang nicht bekannt gewesen seien. Hinzu kommt, dass neben dem PCB 47 in Ennepetal auch dl-PCB nachgewiesen wurde. Hinter diesem Kürzel verbergen sich PCBs als dioxinähnliche Substanzen. Diese stehen allerdings nicht im Zusammenhang mit BIW Isolierstoffe. Weil die Untersuchungen und PCB-Analytik aufwändig sind, liegen bei weitem noch nicht alle Ergebnisse vor. Abschließende Aussagen zu den Emissionsmessungen sind noch nicht möglich – deshalb bleibt die Frage ungeklärt, ob weiterhin PCB durch den Produktionsprozess nach außen gelangt. Die Reinigungsintervalle bei dem betroffenen Unternehmen seien erhöht worden, auch von Filtern ist die Rede. Hinzu kommt: Für PCBs gibt es keinen Emissionsgrenzwert. Es gilt nur ein Emissionsminimierungsgebot – und dabei müssen getroffene Maßnahmen geeignet und verhältnismäßig sein. Das Unternehmen selbst weist die Kritik von sich und hat ihrerseits unabhängige Laborprüfungen in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse seit wenigen Tagen vorliegen. Man produziere kein PCB und die nicht-dioxinähnlichen PCBs, die im Laufe des Produktionsverfahrens entstehen könnten, würden in der Menge so gering als möglich gehalten. Die Rechtsanwälte der Firma verweisen nach den Ergebnissen auf Werte weit unterhalb der Schwelle einer konkreten Gefahr. Das Familienunternehmen in der dritten Generation mit 500 Mitarbeitern am Standort Ennepetal betont, man sei sich der Verantwortung bewusst und wolle zur Aufklärung beitragen. Man wehre sich aber, so Geschäftsführer Ralf Stoffels, gegen die voreilige und alleinige Benennung als Generalverursacher. Der Unternehmer wurde übrigens erst im September einstimmig für weitere drei Jahre zum Präsidenten der SIHK gewählt und hat im Februar 2019 das Grundstück für ein neues Werk in Iserlohn gekauft. Auf der Homepage der Stadt Ennepetal findet sich der Hinweis auf den Anfang 2018 ausgelobten 26. Südwestfälischen Marketingpreis des Marketing Clubs Südwestfalen. Damit wurde die Firma BIW geehrt. Begründung: „Das Ennepetaler Unternehmen BIW sticht besonders hervor durch seine innovativen Ideen sowie deren kontinuierlichen und effektive Marketingarbeit. Die Jury lobte insbesondere die Transparenz, den Trend und den ausgezeichneten Teamgeist, der bei BIW gelebt wird. BIW handelt mit über 160.000 individuellen Silikonprodukten und bedient dabei weltweit über 5000 Kunden. Die Wirtschaftsförderung der Stadt gratuliert Ralf Stoffels und der gesamten Belegschaft ganz herzlich zu dieser Auszeichnung und ist stolz, dass Ennepetal die Heimat für ein so erfolgreiches und sympathisches Unternehmen ist.“ Die Geschäftsführung ist an diesem Abend vor Ort, stellt sich den Fragen der Bürger.  

Kreis kritisiert Unternehmen BIW

Landrat Olaf Schade, der ebenfalls an der Informationsveranstaltung teilnahm, kritisierte die Informationspolitik des Unternehmens scharf. „Stand heute (6. November 2019; der Verf.) hat BIW seine Anwälte damit beauftragt, die Herausgabe des gesamten Berichtes (der Emissionsmessungen; der Verf.) an den Kreis als Aufsichtsbehörde möglichst zu verhindern. Wir haben unsererseits Anwälte beauftragt, um an die für unsere Arbeit unerlässlichen Informationen zu kommen.“  Auch darauf reagiert das Unternehmen: "Nicht nachvollziehen können wir die Aussage des Landrates, man müsse uns zur Herausgabe des vollständigen Prüfberichtes unserer eigenen Abluftprüfungen über Anwälte zwingen. Richtig ist der vollständige Bericht der Firma aneco auf den die Behörden und die Bürger selbstverständlich nach Bundesumweltinformationsgesetz ein Anrecht haben, liegt noch gar nicht vor.  Auf ausdrückliche Empfehlung des EN-Kreises haben wir einen Anwalt eingeschaltet, der den dringenden Rat abgegeben hat, erst den vollständigen Bericht außer Haus zu geben, da erst dieser auch Beurteilungen zu den Zahlentabellen enthalten wird. Deshalb wurde der Kreis bei erneuter Anfrage kurz vor der Bürgerversammlung auf unseren Anwalt verwiesen und auf das (noch) Nichtvorliegen des vollständigen Berichtes, den es abzuwarten gilt."
Die Verunsicherung der Bevölkerung ist nach wie vor groß. Die Verantwortlichen betonen aber immer wieder, dass die Verzehrempfehlung defintiv vorsorglich sei und die bisher vorliegenden Messergebnisse zwar PCB nachweisen, man aber in jedem Fall auf die Ergenisse der weiteren Untersuchungen warten wolle. Viele Fragen sind eben noch offen. Und das bleiben sie auch nach der Informationsveranstaltung. Sollten Bürger Fragen zu den Verzehrempfehlungen oder gesundheitlichen Aspekten haben, ist das Gesundheitsamt unter Telefon 02336 930 zu erreichen. Die Kreisverwaltung wiederholt auch den Aufruf an die Bürger sich zu melden, wenn im genannten Bereich erneut weißliche Partikelniederschläge festzustellen sind. Hinweise auf Partikel nimmt die Stadt Ennepetal unter der Telefonnummer 02333/979 0 entgegen.
PCB sorgte schon öfter für Schlagzeilen. Der Envio-Skandal hat 2010 ganz Dortmund in Aufregung versetzt: Der PCB-Wert rund um den Firmensitz im Hafen war 150-mal höher als erlaubt. Mitarbeiter waren vergiftet, Kleingärtner mussten ihre Ernte vernichten. Der Betrieb wurde geschlossen. In Ennepetal ist man von solchen Belastungen bis jetzt ganz weit entfernt. Zum Glück.

Autor:

Dr. Anja Pielorz aus Hattingen

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