Wie Traumatherapie die Erinnerung verändern kann

: Informierten in der LWL-Haardklinik über Traumafolgen und ihre Behandlung im Kindes-und Jugendalter: Dr. Claus-Rüdiger Haas, Diplom Psychologe Thomas Hensel, Professor Georg Romer und Dr. Regina Hiller. Foto: LWL/Seifert
  • : Informierten in der LWL-Haardklinik über Traumafolgen und ihre Behandlung im Kindes-und Jugendalter: Dr. Claus-Rüdiger Haas, Diplom Psychologe Thomas Hensel, Professor Georg Romer und Dr. Regina Hiller. Foto: LWL/Seifert
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Haltern/Marl. Rund 100 traumatisierte Kinder und Jugendliche pro Jahr erhalten in der LWL-Klinik in der Haard therapeutische Hilfe. Doch nicht immer ist diese Diagnose sofort klar. "Manchmal verbirgt sich ein Trauma auch hinter einer Erkrankung wie einer Depression", weiß Dr. Claus-Rüdiger Haas, Ärztlicher Direktor der Marler Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL).

Auch deshalb sei es so wichtig, immer ein Augenmerk auf die Ursache einer psychischen Störung zu richten und nicht nur Symptome zu behandeln, erklärte der Kinder- und Jugendmediziner anlässlich der Fachfortbildung "Traumafolgen und ihre Behandlung im Kindes- und Jugendalter", zu der die Fachklinik Kollegen und andere Interessierte eingeladen hatte. "Ob ich traumatisiert bin und eine Therapie brauche, hängt im Wesentlichen davon ab, wie belastet ich mich fühle und nicht in erster Linie davon, ob ich alle medizinisch definierten und notwendigen Kriterien für eine Traumatisierung erfülle", darauf wies Professor Georg Romer vom Universitätsklinikum Münster in seinem Vortrag hin. Thomas Hensel vom Kinder Trauma Institut Offenburg (KIT) ergänzte diese Aussage mit der Forderung, am Anfang der Behandlung nicht danach zu fragen, was mit dem Patienten nicht stimmt, sondern was ihm widerfahren ist. "Grundsätzlich", so Hensel, "haben Kinder die Fähigkeit, alte Erlebnisse zu verarbeiten, am besten in einer sicheren Umgebung mit entsprechenden Bezugspersonen." Sogar die Erinnerung an ein traumatisches Erlebnis ließe sich verändern.

Hierzu stellte der Diplom-Psychologe eine Therapiemethode vor, die in seinem Institut schon vielen Kindern geholfen hat, traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. Dabei werden die Patienten in einer für sie angenehmen und sicheren Umgebung ermutigt, von ihrem Trauma zu erzählen. Während die Kinder sprechen, tippt der Traumatherapeut ihnen wechselseitig mit den Fingern leicht auf beide Hände. So stimuliert er beide Gehirnhälften zur Mitarbeit, eine wichtige Voraussetzung für die Bewältigung einer traumatisierenden Erfahrung.

Im Laufe der Erzählung bindet Hensel vorsichtig "Helden" seiner jungen Patienten mit in die Thematik ein

Im Laufe der Erzählung bindet Hensel vorsichtig "Helden" seiner jungen Patienten mit in die Thematik ein. Er fragt zum Beispiel, was diese Helden ausmacht und was die Kinder in der belastenden Situation getan hätten, wenn sie über die Zauberkräfte ihrer Idole hätten verfügen können. Diese Vorstellung, nämlich selbst sozusagen "heldenhaft" zu handeln, nehmen die Kinder aktiv mit in ihre Geschichte auf und geben ihr ein neues Ende. Sie distanzieren sich von ihrer Opferrolle und "schreiben" ihre Erinnerung neu, deuten sie um. So wie eine sechsjährige Patientin, die ihren Peiniger, der sie sexuell missbrauchte, einfach in Bibi-Blocksberg-Manier weggehext hat.
Narrative Expositionstherapie lautet der Fachbegriff für diese Psychotherapiemethode, in der das autobiografische Gedächtnis gestärkt und das Erlebte durch Erzählungen, die vor dem Erlebnis beginnen und nach dem Erlebnis weitergehen, in die eigene Lebensgeschichte eingebunden wird. Über den Erfolg dieser Methode in der Behandlung von komplex traumatisierten Kindern berichtete ebenfalls Dr. Regina Hiller vom Institut für analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie in Essen.

Hintergrund
Um ein traumatisches Erlebnis zu verarbeiten müssen beide Gehirnhälften aktiv werden. Während das assoziative Gedächtnis Sinneswahrnehmungen wie Gefühle, Gerüche, Gedanken etc. speichert, ist das autobiografische Gedächtnis für die Einordnung des Geschehens in Bezug auf Zeit, Ort und Reihenfolge der Ereignisse spezialisiert. Arbeiten beide Bereiche gut zusammen, wird das Erlebte abgespeichert als "Punkt auf der individuellen Lebenslinie". Funktioniert die Zusammenarbeit nicht, kann der Patient das Erlebte nicht abspeichern und durchlebt seine Ängste angestoßen durch bestimmte Geräusche, Gerüche oder ähnliches immer wieder neu, ohne den zeitlichen Abstand zu registrieren.
Es gibt unterschiedliche Methoden, der beidseitigen Stimulierung der Gehirnhälften. In der Fachsprache heißt das "Bilaterale Stimulierung". Eine Methode ist das sogenannte EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing, deutsch: Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegung). Hier wird der Patient animiert, mit den Augen einem Stift oder Finger zu folgen, der sich hin und her bewegt. Eine andere Methode besteht darin, durch leichtes Tippen, zum Beispiel auf die Hände oder Schultern des Patienten Reize zu setzen, die ebenfalls stimulierend auf beide Gehirnbereiche wirken.
Mögliche Auslöser eines Traumas sind Naturkatastrophen, von Menschenhand verursachte Katastrophen wie Verkehrsunfälle oder die Folge menschlicher Aggression wie Geiselnahmen, Vergewaltigungen sowie innerfamiliäre Geschehnisse wie sexueller Missbrauch, Gewalt, der Tod eines nahestehenden Verwandten oder die Trennung der Eltern.
Was vom Einzelnen als Belastung empfunden wird hängt von vielen Faktoren ab. Zum Beispiel von der psychischen Widerstandsfähigkeit des Patienten, davon, ob das Erlebnis ihm selbst oder einem nahen Angehörigen widerfahren ist und auch davon, wie seine Umwelt auf das Erlebte reagiert.

Autor:

Michael Menzebach aus Haltern

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