Duisburg: Ein Tag in Marxloh

Ich habe heute morgen einen interessanten Artikel in "DerWesten.de" gelesen über den Duisburger Stadtteil Marxloh, den ich hier jetzt anschliessend einkopieren werde. Ich besuche gerne diesen Duisburger Stadtteil und ich kann mir gut vorstellen, das das schlechte Image die meisten Bewohner wirklich dort nervt. Hier der Artikel:

Im Westen, 28.09.2010, Hayke Lanwert

Duisburg. Das schlechte Image von Duisburg-Marxloh nervt die Bewohner, auch diejenigen mit Migrationshintergrund unter ihnen. Sie meinen nicht, dass es dort viele Konflikte gibt.

Heute ist es ruhig am Pollmann-Eck. Dort, wo die Weseler Straße auf die Kaiser-Friedrich-Straße stößt und die Gründerzeit-Fassaden erahnen lassen, wie es hier in besseren Zeiten gewesen sein muss. Als es dem Stadtteil Marxloh noch richtig gut ging, als er prosperierte im Schatten der Stahlkolosse. Die Straßenbahn zieht quietschend vorbei. Ein paar türkische Männer stehen plaudernd beisammen, zwei ältere deutsche Frauen umarmen sich zur Begrüßung. Schüler warten, über Fußball schwadronierend, auf die nächste Bahn. Kein lautes Wort. Keine Pöbeleien. Dabei ist das Pollmann-Eck genau dafür bekannt, dass sich dort rivalisierende Jugendliche, libanesische, türkische oder kurdische gern beharken.

Mehr Nebeneinander
als Miteinander

Marxloh. Eben noch hochgelobt, weil es die Meisterleistung vollbracht hat, Deutschlands größte Moschee ohne gesellschaftspolitische Verwerfungen in seiner Mitte zuzulassen. Bald schon wieder im öffentlichen Fokus, wenn über Deutschland als Einwanderungsland und mangelnde Integration von Migranten diskutiert wird. Marxloh, das ist dann der Kopftuch-Stadtteil, in dem sich die Deutschen nicht mehr zu Hause fühlen, in dem man allein mit Türkisch perfekt den Alltag bewältigen kann. Bei türkischen Gemüsehändlern, Rechtsanwälten, in Fahrschulen und Reisebüros mit Namen wie Esya oder Bayar. Doch wo steht der Stadtteil wirklich, inmitten all der Brautkleid-Geschäfte, von Multikulti, schweigendem Nebeneinander und Parallelgesellschaft?

„Ich kann das Wort Integration schon nicht mehr hören!”, sagt Sükriye Topallaz. Die 34-jährige ist Tochter von Migranten, Arbeitsberaterin, und lebt seit 15 Jahren in Marxloh. Gerne, wie sie sagt. Doch das negative Image des Stadtteils nerve sie. Topallaz ist eine von jenen, die gern als Ausnahmen unter den Migranten abgetan werden. Eine moderne junge Frau, die studiert hat und sich im Verein „Rosen für Marxloh” engagiert, also für die Stadt, in der sie lebt. Doch die Thesen Sarrazins, die Nörgelei der deutschen Majorität an der Minderheit . . . sie ist es leid.

„In glaube nicht, dass es in Marxloh viele Konflikte gibt. Aber wenn Sarrazins Buch die Politik bewegt, zu handeln, wäre es wenigstens ein Vorteil. Marxloh braucht dringend mehr Fördermittel für Schulen. Es ist wichtig, dass die Kinder Deutsch lernen, unterstützt werden”, sagt Sükriye Topallaz. Ihre Nichten und Neffen besuchen längst Schulen in benachbarten Stadtteilen, wo der Migranten-Anteil nicht so hoch ist.

Zurück ans Pollmann-Eck, wo Ulrike Hesse in einer Nebenstraße seit bald 20 Jahren ihr Blumengeschäft betreibt. Auch sie ist es leid. So leid, dass sie gar nicht mehr weiß, wohin mit ihrem Ärger. „Der Stadtteil ist total heruntergekommen. Wir werden allein gelassen. Rundherum nur noch alles Billigläden, qualitativ geht es bergab. Und wenn nun auch noch Rewe dicht macht, der letzte Lebensmittelladen, dann ist der Mittelpunkt Marxlohs weg!” Kürzlich war ein Fernseh-Team bei ihr, da hat sie das auch schon erzählt. Und herausgekommen ist wieder einmal ein negativer Film über den Stadtteil. Dabei wohnt sie doch gerne hier, liebt die Menschen.

Ein Drittel Ausländer leben in Marxloh, zwei Drittel Deutsche. Das sagt die offizielle Statistik. Die Straße hingegen erzählt das Gegenteil, und Manfred Slykers, der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins schätzt, dass mehr als 50 Prozent der Bevölkerung Migranten-Hintergrund hat.

Und er weiß, dass manche, die all die Jahre an so genannten Runden Tischen saßen und in Vereinen sich mühten, inzwischen mürbe sind, wenn es um das Thema Migration geht. „Es ist mehr Nebeneinander als Miteinander, und es entwickelt sich zu langsam. Viele sind frustriert”, sagt Slykers, der Marxloh im Stadtrat vertritt.

Gerade die Jüngeren, die 19-, 20-Jährigen, die von Hartz IV lebten, ohne Ausbildung, ohne Perspektive, seien tatsächlich ein Problem im Stadtteil. „Sie sind sehr präsent, treten provokant auf, nach dem Motto „Alles unser hier!”. Diese Geschichten kann ich nicht ignorieren”, sagt Slykers und argumentiert wie viele, „Bildung, so früh wie möglich! Sprache!”

Mafia und
Schutzgelder

Glaubt man Norbert Geier, dem erfahrenen Geschäftsführer der Duisburger Werkkiste, so hat sich in den letzten zehn Jahren schon vieles zum Positiven gewandelt. Geier, in dessen katholischer Einrichtung Jugendliche ohne Ausbildungsplatz für das Berufsleben fit gemacht werden, empfindet die Migranten-Szene heute als viel offener.

„Sie leben inzwischen weniger in einer Parallelgesellschaft, sie sind angekommen. Die Mädchen haben mehr Freiräume. Die Familien fahren nicht mehr Ford Transit sondern Kleinwagen, ihre Gärten unterscheiden sich kaum von deutschen”. Geier ist keiner, der die Dinge rosarot tüncht. Auch er wisse von der Mafia, von der russischen, türkischen und libanesischen, von den Schutzgeldern.

46 Geschäfte
für Brautmoden

Doch die Entwicklung sei eher positiv. Auch weil nach Jahren, in denen türkische Jugendliche auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance hatten, sich ausgegrenzt fühlten, nun die sinkende Zahl von Schulabgängern dafür sorge, dass Handwerk und Industrie die jungen Leute aus den Einwandererfamilien entdeckten.

Gültekin Börekci besitzt eines der 46 Brautmoden-Geschäfte von Marxloh. Woanders im Ruhrgebiet liegen die Ladenlokale brach, in Marxloh reiht, rüscht und glitzert es in Brautmoden. Börekci ist 32 Jahre, Sohn türkischer Einwanderer und hat Betriebswirtschaft studiert. Das Geschäft ist nur eines von vielen, das er und seine Schwester betreiben. Ein moderner junger Mann, groß gewachsen, der, ehe er sich versieht, die für Migranten typische Verteidigungshaltung annimmt: „Die türkischen Familien, die ich kenne, fördern ihre Kinder!”

Erzählt vom Vater, der auch für dieses Land gearbeitet habe, von den Geschwistern, die studierten und wie die Weseler Straße sich als Geschäftsstraße etablierte. „Wir zahlen Steuern, wir beschäftigen viele Leute, wir halten uns an Recht und Ordnung, an die Gesetze! Was also ist mit Integration gewollt?”, sagt Gültekin Börekci. In Marxloh gebe es doch keine Probleme. Das werde alles hochgespielt. Die neue Diskussion über Integration lasse Menschen wie ihn höchstens mehr Distanz aufbauen. Seine Schwestern, sagt er, hätten die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Er sei immer noch unsicher.

Marxloh ist das, an einem Tag im September 2010, an dem die Politessen, zwei blonde Mittfünfzigerinnen, wie immer ihre Knöllchen schreiben. Heute zu zweit, meist allein. In Marxloh hätten sie als Politessen genau so viel Stress und Ärger wie anderswo. „Aber hier ist es spannend, hier ist immer was los!” Sagen’s und ziehen lachend weiter.

Autor:

Willi (Wilfried) Proboll aus Kamp-Lintfort

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