Jetzt mal Hochdeutsch 7

Kampf der Intoleranz

Mit einem dezenten „Bäuerchen“ im Sonntagsgottesdienst fing alles an.
Einfach so. Trotz vorgehaltener Hand hatte Steffi, die Nachbarin es wahrgenommen, und auf dem Heimweg hieß es dann schon, Rede und Antwort, Butter bei die Fische! Ja, das konnte es sein; ausnahmsweise hatte ich Butter aufs Brot geschnitten, statt mich – wie üblich mit Frischkäse unter dem Gelee zu begnügen. Der Schnellbefund lautete: Milchunverträglichkeit.
„Gut,“ sagte ich, „dann lassen wir fürderhin die Butter weg.“
So nicht, nicht mit Steffi. Steffi liest die Apothekerzeitung wie ich den Hirtenbrief des Heiligen Vaters: sein Wort ist Gesetz. Steffi hatte denn auch bald einen Termin beim Arzt zunächst mal ihres Vertrauens vereinbart, der lediglich dazu diente, meine von Steffi bereits gemeldeten Daten abzunicken und einen Termin zu vereinbaren. Kurz und bedenklich;
Meine Unverträglichkeit beschränkt sich nicht auf Butter, sondern auch Milch. Joghurt, Käse und vieles andere sind künftig zu meiden, und was da als Unverträglichkeit noch erträglich schien, kommt jetzt als Intoleranz bedrohlich daher.
Wir vereinbarten gleich auf Steffis Rat hin noch drei weitere Termine, denn auch Gluten, Glukose und Fructose neigen dazu, Intoleranzen zu generieren, und in der neuen Apothekerzeitung waren noch mehr Unverträg lichkeiten annonciert, die wohl demnächst bekannt gemacht werden.
Steffi hat die ersten vier Sorten Intoleranz abonniert. Das heißt, sie ernährt sich mehr oder weniger frei von Risiken und Nebenwirkungen, lebt faktisch von der Vermeidung. Spaßeshalber ging ich mit ihr zum Frischemarkt, um ihren Einkaufszettel abzuarbeiten. Riesige Regale mit großen „FREI“ Plakaten bergen die Produkte einer Industrie, die sich an der Intoleranz unserer Gesellschaft doof und dämlich verdient.
Ich habe meine Gewohnheiten bisher beibehalten, bin seit dem kirchlichen Rülpserchen nicht mehr auffällig geworden und halte es im Übrigen so, wie schon meine Großmutter: wenn ich merke, dass mir etwas nicht bekommt, dann lass ich es sein.
In der nächsten Fachzeitschrift für Gesundheit werden übrigens – neben weiteren Unverträglichkeiten Rosenquarz-Anwendung und Reiki näher beschrieben, Chi gong macht Steffi schon - ich kann nur Mikado

Autor:

Paul Scharrenbroich aus Monheim am Rhein

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