Ballgeflüster - Die ganze Wahrheit! - oder: Wehe, wenn sie losgelassen!

Lautes Hämmern weckte König Erdal aus seinem Tiefschlaf. Mühsam versuchte er, sich zu orientieren. Verdammt – wer machte denn da so einen Krach im Schloss? Es dauerte einige Sekunden bis er begriff, dass das Hämmern lediglich in seinem Kopf stattfand. Gleichzeitig mit dieser Erkenntnis verspürte er auch den unerträglichen Schmerz unter der Schädeldecke. War wohl doch ziemlich heftig gewesen, die letzte Nacht!!

Neben sich im Bett hörte er ein leises Stöhnen. Da er ganz brav auf seiner Seite der ehelichen Schlafstatt lag und obendrein mit beiden Händen sein Haupt am Bersten zu hindern versuchte, konnte er davon ausgehen, dass die beste Ehefrau des Märchenlandes nicht vor Lust stöhnte, sondern sich auch nicht wesentlich besser fühlte, als er! Vorsichtig drehte er sich zu ihr herum. „Moin Moin, min Deern!“ flüsterte er ihr zu. Unter halbgeschlossenen Lidern blinzelte Mariechen ihn an und lächelte gequält. „Was für eine Nacht!“ wimmerte sie. „Nie wieder werde ich mit Schneewittchen um die Wette trinken! Ich bin zu alt für so einen Scheiß!“

Das konnte man wohl sagen! Was für eine Nacht! Erdal konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so hackestramm gewesen war. Den Rest hatte ihm der Champagner aus Aschenputtels Schuh gegeben. Bei dem Gedanken daran schüttelte es ihn noch nachträglich. Hoffentlich hatte die keinen Fußpilz! Vielleicht wäre Wodka ja besser gewesen, das desinfiziert wenigstens.

Da – schon wieder diese Hämmern! Ach nein, es klopfte nur. „Herein!“ rief Erdal unwirsch. Der Eiserne Heinrich trat ein, vorsichtig ein Tablett balancierend. „Ich bringe den Nachmittagskaffee, Euer Majestät!“ „Danke Heinrich.“ Der König überhörte den leisen Vorwurf in Heinrichs Stimme. „Stell es einfach dort drüben ab. Wir bedienen uns schon selbst.“ Der treue Diener zog sich zurück und leise ächzend quälte sich das Königspaar aus dem Bett. Goldmariechen versorgte beide mit Kaffee und eine Weile saßen sie schweigend da. Nach einigen Minuten schüttelte Erdal sein Haupt – sehr vorsichtig, versteht sich....! „Nee, nee min Deern! Das war das letzte Mal, dass ich mit der Mischpoke gefeiert hab. Für das Geld fahr ich lieber mit dir ins Schlaraffenland – drei Monate könnten wir dafür locker da bleiben.“

Mariechen verzog das Gesicht. „Ach.. war doch ganz lustig! Und Rotkäppchen ist ja auch wieder aufgetaucht. Oh Mann, mir tun immer noch die Ohren weh von Eulalias Gekreische!“ Erdal lachte, um sich gleich darauf den Kopf zu halten. Dieser verdammte Kater. Er hätte nicht so viel saufen sollen. Aber anders hätte er den Abend nicht überstanden. Es gab Dinge, die musste man sich halt schön trinken! Seine Mutter zum Beispiel. Anfangs dachte er ja noch, es ginge gut. Sie schmiss Martha zwar Blicke zu, die selbst die Medusa zu Stein hätten erstarren lassen, aber sie hielt wenigstens den Mund. Leider nicht lange. Als Karlchen Legerfald fächerwedelnd durch den Saal schritt, um sich seine Kreationen am lebenden Objekt anzusehen, schrie sie quer über die Tanzfläche: „ Herr Legerfald! Ich wusste gar nicht, dass Sie auch für Nilpferde arbeiten! Wie viel tausend Polyester mussten denn für dieses Zirkuszelt ihr Leben lassen?“

Tja, da hatte sie mal wieder zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Karlchen war tödlich beleidigt, arbeitete er doch nur mit edelsten Stoffen – und Martha lief so rot an, dass man befürchtete, der Schlag würde sie jeden Augenblick treffen. „ Du alte Gewitterziege musst grade das Maul aufreißen! Schau dich doch mal an! Wenn man dich in den Garten stellt, dann fallen die Vögel tot von den Bäumen!“ keifte sie lauthals. „Du siehst doch aus, wie eine Hundehütte – in jeder Ecke ein Knochen! Kein Wunder, dass der Joschka die Flucht ergriffen hat. Wer umarmt schon gerne ein Skelett?“ Das war der Startschuss für Dornröschens heiß ersehnten Damenringkampf. Wie die Furien gingen die Beiden aufeinander los und keiften dabei wie die Fischweiber. Ja ja, da werden Weiber zu Hydranten... oder so ähnlich! Die von Rapunzel für teures Geld gestylten Frisuren hielten den Angriffen jedenfalls nicht stand. Zum Glück gelang es dann Joschka die Streithennen zu trennen.

Mariechen, die das alles natürlich mitbekommen hatte, stand, mit hochrotem Gesicht und Tränen in den Augen, an der Tanzfläche. Gott, was war ihr das peinlich! „Mahiischen... komm.. isssoch nischscho ssccccccccccchhhhhhhhlimm... lasch do’ die schwei... wiah schwei hübbschen tringggen jesst einen..“ nahm Schneewittchen sie lallend in die Arme. Jau, das konnte Mariechen jetzt brauchen. Aber nicht so eine Puffbrause, sondern was richtig Handfestes. Einen doppelten Whiskey – und das bitte doppelt. Sie ging mit Schneewittchen an die Theke, wo Dornröschen schon auf einem Barhocker saß, den Kopf auf den Tresen gelegt, und leise vor sich hin schnarchte. Die hatte es gut, die kriegte von dem ganzen Theater nix mit. Auch dass Kunibert heftig knutschend mit Drosselbart in einer Ecke stand, entging ihr völlig. Zum Glück waren Jorinde und Joringel nicht eingeladen, sonst würde es noch ein Eifersuchtsdrama geben.

Währenddessen schwofte Erdal mit seinem Patenkind Rotkäppchen über das Parkett, in der Hoffnung, endlich aus dem Mädel rauszukitzeln, was denn nun bei der Oma vorgefallen war. Aber da war nix zu machen. Die Kleine kriegte den Mund nicht auf! Je mehr er es versuchte, desto bockiger wurde sie. „Boah, Alter, kannste nicht mal aufhören, mich zu zu texten? Is ja krass! Da war nix! Isch schwör!“ Mit diesen Worten ließ sie ihn mitten auf der Tanzfläche stehen, setzte sich an den Rand der Bühne und himmelte diesen alten Gockel, Coco Vin, an. Erdal starrte ihr verdutzt hinterher. Was für eine Sprache! Wo hatte das Mädel das denn aufgeschnappt? Ach, egal! Er schüttelte den Kopf und begab sich ebenfalls an die Bar.

Dort hatten sich inzwischen auch Rapunzel und ihr Mann eingefunden. Das Jungvolk trieb sich anderweitig rum. Ein bisschen skeptisch war Erdal schon, wenn er beobachtete, wie heftig seine Mädels mit Rapunzels Söhnen flirteten. Ach was! Er gönnte ihnen den Spaß – und die beiden Jungs waren ja auch mittlerweile ganz vernünftig geworden. „Punzelchen, darauf trinken wir jetzt einen! Prost!“ Ja – und bei dem einen war es dann leider nicht geblieben. Bis drei Uhr früh hatten sie munter durchgebechert. Außer Dornröschen, die pennte immer noch an der Theke! Dafür war Aschenputtel um so aufgekratzter. Die versuchte doch glatt, ihn anzugraben. „Du darfst ruhig Cindy zu mir sagen!“ gurrte sie ihn an und verdrehte die Augen. Er auch – aber aus anderen Gründen. Die Tussi ging ihm tierisch auf den Senkel. Gegen sein Mariechen konnte die eh nicht anstinken, auch wenn sie fast nackig hier rumlief!

Tja – und gerade als er den Schampus aus Aschenputtels Schuh schlürfte (igitt), kreischte Eulalia wie eine Kreissäge nach Rotkäppchen. Sofort war alles in heller Aufregung! Sogar Dornröschen wurde wach und stammelte etwas von einer Rothaarigen, die das Mädel bestimmt entführt hätte. Komischerweise hatte aber, außer Dornröschen, keiner diese dubiose Rothaarige gesehen. Musste wohl ein Traum gewesen sein – richtig bei Bewusstsein war diese Schnepfe ja nie! Wie dem auch sei – jedenfalls stürmte alles durcheinander, auf der Suche nach Rotkäppchen. Bis dann Schneeweißchen auf die Idee kam, mal in die Garderobe der Musiker zu schauen. Und siehe da! Da saß dieses Gör inmitten der ausgeflippten Typen und rauchte in aller Seelenruhe einen Joint!

Erdal war immer noch fix und fertig! So ging das nicht weiter. Wenn Eulalia mit der Kurzen nicht mehr klar kam, dann musste er sich etwas einfallen lassen. Irgendwie würde er das Mädel schon zur Vernunft bringen! Gott sei Dank blieben ja alle diese Skandale und Skandälchen der Außenwelt verborgen. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn davon etwas an die Öffentlichkeit drang. Obwohl.. vor einigen Wochen war da doch mal was gewesen – in der Zeit, als Drosselbart „regiert“ hatte. Seitdem war ja auch Rumpelstilzchen, dieser Winkeladvokat, verschwunden. Ach Quatsch! Mit einer Handbewegung wischte Erdal diese Gedanken beiseite. Der Abend war vorbei – und kein Hahn würde mehr danach krähen!

Mit einem erleichterten Seufzer griff er nach der Zeitung aus dem Menschenreich, die er abonniert hatte – und schlagartig fiel ihm das letzte bisschen Farbe aus dem Gesicht! Da grinste ihm von der ersten Seite frech eine rothaarige Frau entgegen und unter dem Konterfei prangte in riesigen Lettern die Schlagzeile:

DER SUPERBALL – SO FEIERT MAN IM MÄRCHENLAND!

© Siglinde Goertz

Autor:

Siglinde Goertz aus Uedem

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