Die Geschichte der alten Bank - Ausgesessen

2Bilder

Da steh ich nun, schwach und vom Alter gezeichnet. Jahrzehntelang habe ich meinen Dienst getan und nun? Nun muss ich die teils mitleidigen, teils verächtlichen Blicke der Menschen ertragen, die kopfschüttelnd an mir vorübergehen.

„Was schaut ihr so?“ möchte ich ihnen zurufen. „Glaubt ihr, an euch wird das Leben keine Spuren hinterlassen?“ Aber ich habe ja keine Stimme – und hätte ich eine, sie würden wahrscheinlich nicht auf mich hören. Dabei könnte ich so viel erzählen.

Auch ich war einst jung und kräftig. Ich erinnere mich noch als wäre es gestern gewesen an den Sommertag, an dem ich in dem winzigen Garten neben dem kleinen Haus aufgestellt wurde. Strahlend holte der junge Mann seine Frau aus dem Haus und zeigte ihr, was er mit eigenen Händen geschaffen hatte: Mich! Lachend setzte er sich hin, zog sie auf seinen Schoß und küsste sie herzhaft ab. Sie kicherte und tat so, als wehre sie sich – aber es schien ihr zu gefallen, denn sie schlang fest die Arme um seinen Hals und küsste ihn mindestens genau so stürmisch zurück. Ich gebe zu, diese Turtelei machte mich ein wenig verlegen, aber sie gefiel mir dennoch außerordentlich gut.

Den Rest des Sommers, bis weit in den Herbst hinein, saßen sie bei schönem Wetter oft auf mir und genossen nach getaner Arbeit den Feierabend. Im Winter deckte der Schnee mich zu, aber langweilig wurde es mir nicht. Die junge Frau streute Futter für die Vögel in den Garten und ich konnte das muntere Treiben beobachten. So ging das erste Jahr vorbei und ich dachte bei mir, dass ich es gut getroffen hätte.

Besonders gern erinnere ich mich an meinen ersten Frühling in dem kleinen Gärtchen. Es blühte rings um mich herum und auch die junge Frau schien aufgeblüht zu sein. Oder sollte ich sagen, aufgebläht? Immer dicker wurde ihr Bauch und immer öfter musste sie sich von der Gartenarbeit ausruhen. Bis der Bauch eines Tages wieder weg war, aber dafür ein kleines brüllendes Bündel in einem Kinderwagen neben mich geschoben wurde. Nun ja… es brüllte nicht immer. Wenn ich ehrlich sein soll, sogar eher selten. Meistens schlief es zufrieden, und als es größer wurde, brabbelte es in seinem Kinderwagen vergnügt vor sich hin.

Ich gebe zu, ich genoss es, wenn das kleine Dingelchen – ein Mädchen war es wohl – auf mir herumhopste. Auch als im Laufe der Jahre noch zwei so kleine Hopser dazukamen, machte mir das nichts aus. Im Gegenteil. Ich liebte es, wenn sie auf mir herumturnten und tobten. Es gab nichts Schöneres, als in ihr Spiel einbezogen zu werden.

Auch als die Jahre vergingen, wurde ich nicht nutzlos. Immer noch saßen der Mann und die Frau gerne auf mir und genossen den Abend. Wenn sie sich auch nicht mehr stürmisch herzten und küssten. Das taten dafür die jungen Leute. Ach, ich habe so manchen glücklichen Seufzer gehört – und auch so manche bittere Träne fiel auf mein Holz. Liebesglück und Liebesleid habe ich miterlebt. Und ich war beinahe so glücklich wie die stolzen Eltern, als das erste junge Brautpaar auf mir Platz nahm.

Es dauerte nicht lange, und ich war wieder allein mit dem alten Paar. So dachte ich zumindest. Aber ich hatte mich getäuscht. Ein Jahr verging, und es hopsten wieder kleine Kinderfüße auf mir herum. Ach, das war herrlich! Trotzdem freute ich mich auf die ruhigen Abende mit meinen beiden Gefährten. Ja, das waren sie für mich: Gefährten. Und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass sie mich auch so sehen würden.

So vergingen die Jahre, die Kinderfüße waren auch wieder groß geworden. Ich wurde alt! Aber noch hielt ich allem stand, dank der guten Pflege meines menschlichen Freundes. Und immer noch genossen die beiden mit mir zusammen die Sommerabende.

Doch irgendwann fiel mir auf, dass die Frau gar nicht mehr hinauskam. Zunächst machte ich mir keine Gedanken darüber, doch als es immer öfter vorkam, dass er sich schwer auf mich fallen ließ und manches Mal sogar bitterlich weinte, da bekam ich Angst und die Sorge um meine liebe menschliche Freundin lastete schwer auf mir. Eines Tages wurde mir dann klar, dass sie nie wieder meine Gesellschaft suchen würde. Der alte Mann wurde einsam, obwohl seine Kinder und Enkel sich liebevoll um ihn kümmerten. Doch seine Frau fehlte ihm.

Oft saß er nun in dem kleinen Gärtchen, das sie so liebevoll gepflegt hatte, und erzählte mir von den alten Zeiten, die wir zu dritt erlebt hatten. Wie gerne hätte ich geantwortet, ihm gedankt für die glückliche Zeit, aber ich blieb stumm. Wie Bänke das nun mal so tun. Doch ich glaube, er spürte die Verbundenheit, denn oft streichelte seine Hand über meine Rückenlehne.

So auch an jenem Tag. Wie so oft war er wieder zu mir gekommen. Sein Gang war schwer geworden, und wenn er einmal saß, dann hatte er Mühe, wieder aufzustehen. Auch er war alt geworden, genau wie ich. An diesem Tage schien es ihm besonders schwerzufallen. Stunde um Stunde saß er so, dann strich seine Hand noch einmal über mein Holz, um gleich darauf herunterzufallen, als habe er keine Gewalt mehr über sie. Er regte sich nicht mehr. Ich ahnte nichts Gutes.

Und ich sollte recht behalten. Nachbarn fanden ihn am späten Abend, immer noch auf mir sitzend. Sein Kopf war auf die Brust gesunken, es schien, als schliefe er. Doch sein glückliches Lächeln sprach eine andere Sprache. Er war wieder bei seiner geliebten Frau.

Das kleine Haus steht nun leer, das winzige Gärtchen wird nicht mehr gepflegt. Die Kinder wohnen weit weg, sie können sich nicht kümmern. Ab und zu machen die Nachbarn das Nötigste, damit die wilden Kräuter und Gräser nicht überhandnehmen. Aber um mich kümmert sich keiner mehr. Niemand ruht sich auf mir aus. Mein Holz ist morsch geworden, ich bin dem Verfall preisgegeben. So ist das Leben.

Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich mir wünschen, dass jemand käme, der das kleine Häuschen wieder herrichtet, das winzige Gärtchen bepflanzt….

… und auch mir wieder neues Leben verleiht!

© Siglinde Goertz

Autor:

Siglinde Goertz aus Uedem

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Folgen Sie diesem Profil als Erste/r

15 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.