Opel - Bochum perspektivlos nach 2022?

Opel Werk I - Wie soll es hier nach 2022 weiter gehen? | Foto: Stahlkocher, Wikipedia
  • Opel Werk I - Wie soll es hier nach 2022 weiter gehen?
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Große Namen werden genannt, die allein durch ihre Präsenz im Beirat des Projekts "Bochum Perspektive 2022" Unternehmen anlocken sollen, sich in Bochum anzusiedeln. Da stellt sich die grundsätzliche Frage, welche Faktoren Unternehmen veranlassen könnten, sich in Bochum anzusiedeln? Ein warmer Händedruck von Harald Schartau (SPD), ein Champagnerbuffet mit Christa Thoben (CDU)? Oder kann Kurt Giesler (IGM) seine Freunde in anderen Betriebsräten anrufen und überzeugen, dass sie ihre Unternehmensleitungen überreden Standorte in Bochum zu eröffnen?

Tatsächlich werden bekannte Namen allein letztlich kein Unternehmen überzeugen sich in Bochum anzusiedeln, da sind andere Standortfaktoren entscheidend. Wie sieht es denn diesbezüglich in Bochum aus? Ist Bochum für Unternehmen attraktiv?

Man unterscheidet harte und weiche Standortfaktoren, nach denen Unternehmen entscheiden, ob es sich für sie lohnt sich in einer Region oder Stadt anzusiedeln.

Harte Standortfaktoren

Beginnen wir mit der Verkehrsanbindung. Da bleibt in Bochum in punkto Straße und Schiene kaum ein Wunsch offen. Allerdings gilt das in gleicher Weise für alle Städte im Ruhrgebiet.

Wie sieht es mit dem Arbeitsmarkt aus? Das Bildungsniveau in der Stadt ist im Vergleich zu den anderen deutschen Städten in Bochum leider immer noch vergleichsweise niedrig. Der Anteil der Beschäftigten mit Fachhoch- oder Hochschulabschluss an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegt in Bochum bei nur bei 11 % (Bonn, Dresden, München, Stuttgart über 20%, HWWI Städteranking 2011). Angesichts dessen das Bochum einer der größten Hochschulstandorte in Deutschland ist, eine überraschende Zahl, die leider zeigt, dass die kommunale Bildungspolitik in Bochum völlig versagt hat. In die Bildung der Kinder und Jugendlichen wurde und wird nicht ausreichend investiert. Die in Bochum vorzufindenden Klassengrößen (in über 40% der Grundschulen 28-30 Kinder) und der Zustand der Bildungseinrichtungen (über 200 Mio. dringender Sanierungsbedarf allein bei den Schulen), sind Ausdruck einer hartnäckigen Ignoranz der Stadtpolitik im Bereich Bildung. Die Konsequenz: Unternehmen, die auf Arbeitnehmer mit hoher Bildung und Innovationsfähigkeit angewiesen sind, haben Schwierigkeiten derartige Beschäftigte in Bochum zu finden.

Beim Angebot von Gewerbe- und Büroflächen sieht es hingegen in Bochum gut aus. Es gibt ein gutes Angebot, teilweise sogar ein Überangebot in fast allen Größen, die Preise sind vergleichsweise niedrig. Selbst Vorzeigeimmobilien wie Exzenterhaus und Jahrhunderhalle haben große Schwierigkeiten Gewerbemieter zu finden und stehen halb leer. Allenfalls stellen mancherorts Altlasten ein Problem dar. Allerdings besteht dieses Problem ruhrgebietsweit.

Weiterer Faktor ist die Lage der Stadt zu den Bezugs- und Absatzmärkten. Den Zugang zu einem spezifischen Absatzmarkt kann Bochum so nicht bieten. Das Ruhrgebiet stellt mit 5,1 Mio. Menschen jedoch einen attraktiven Konsumentenmarkt dar, der allerdings im Vergleich zu anderen Regionen über eine relativ niedrige Kaufkraft verfügt.

Die Energie- und Umweltkosten sind in Bochum differenziert zu betrachten. Da die Energieproduktion im Ruhrgebiet praktisch vor Ort stattfindet, ist der Zugang zu Energie im Ruhrgebiet überdurchschnittlich leicht und der Preis konkurrenzfähig. Die Umweltkosten sind als vergleichsweise hoch einzuschätzen. Die Gewerbegebiete liegen nicht im freien Gelände, sondern zumeist in direkter Nähe zu Wohngebieten, was besondere Anforderungen an Vorkehrungen für etwa Lärmschutz zur Folge hat.

In Bezug auf den Standortfaktor Steuern und Abgaben, schreckt Bochum, wie fast alle Kommunen des Ruhrgebietes, die Unternehmen ab. In nur wenigen Städten Deutschlands sind die Hebesätze von Gewerbe- und Grundsteuer höher als in Bochum. Von jedem Euro, den ein Unternehmer in Bochum verdient, muss er deutlich mehr abführen als etwa im Münsterland. Dem Unternehmen verbleibt von jedem erwirtschaften Euro in den Regionen rund um das Ruhrgebiet ein deutlich höherer Betrag, der wieder in das Unternehmen investiert oder als Gewinn ausgeschüttet werden kann.

Letzter harter Standfaktor sind die öffentlichen Fördermittel. Hier hat sich in NRW und im Ruhrgebiet wie auch in anderen Regionen Deutschlands ein fatales Subventionssystem entwickelt. Dieses erlaubt den Unternehmen mit den Kommunen zu dealen und deren Zuschussmittel abzuschöpfen. Für die Unternehmen gilt die Devise: Bei der Kommune, der ich die höchsten Fördermittelzuschüsse abpressen kann, da siedle ich mich an. Um Unternehmen für ihre Kommune zu gewinnen gehen Kommunen und Land an die Grenze der finanziellen Belastbarkeit und überschreiten regelmäßig die Grenze des wirtschaftlich Sinnvollen. In Bochum hat insbesondere das Beispiel Nokia gezeigt, welche Blüten dieser Subventionswahnsinn treibt und dass er dauerhaft zwar die öffentlichen Haushalte leert und die Kassen der Unternehmen in gleicher Weise füllt, aber eigentlich keine sinnvollen Steuerungswirkungen für das Gemeinwohl zur Folge hat.

Zusammenfassend lässt sich bezogen auf die harten Standortfaktoren feststellen, dass Bochum insbesondere Probleme hat innovative Unternehmen anzulocken, die auf Beschäftigte mit hohem Bildungsniveau angewiesen sind. Fataler Weise sind es aber gerade diese Unternehmen, die wachsen und nach neuen Standorten Ausschau halten, während die Bedeutung des reinen Produktivsektors insbesondere auch die Zahl der dort Beschäftigten beständig sinkt.

Im Vergleich zu den Nachbarstädten im Ruhrgebiet steht Bochum allerdings kaum besser oder schlechter dar. Generell schreckt das Ruhrgebiet allerdings aufgrund der vergleichsweise hohen Abgabenlast bei den kommunalen Steuern und Abgaben Unternehmen ab.

Wie sieht es aber mit den weichen Standortfaktoren aus?

Weiche Standortfaktoren

Bei den weichen Faktoren kann Bochum insbesondere mit seiner Reputation als Hochschulstandort punkten. Hier sind in Bochum wissenschaftlich-wirtschaftliche Zusammenarbeiten möglich, die andere Städte nicht bieten können. Im Gesundheitssektor zeigt sich, welche Vorteile Bochum sich hierdurch bieten.

Das Prestige der Stadt ist hingegen deutschlandweit denkbar gering. In Deutschland wird Bochum als Pleitestadt wahrgenommen. Endgültig ruiniert hat die Stadtspitze das städtische Ansehen mit Aktionen wie Atrium-Talk und Steiger-Award, die der Kommune den Ruf eingebracht haben, die Verantwortlichen in der Stadt hätten einen ungesunden Geltungsdrang. Die Stadt würde durch Filz und Klüngel regiert, der weder in der Lage noch Willens ist, die Finanzen im Griff zu halten noch für irgendwelche Impulse in der Stadtentwicklung zu sorgen, dafür aber gerne an der Seite von Prominenten abfotografiert wird.

Die Lebens- und Wohnbedingungen werden in Bochum deutschlandweit als eher unterdurchschnittlich wahr genommen. Die Stadt hat über Jahrzehnte Wohnqualität für beste Verkehrsanbindungen geopfert. Entsprechend liegt in fast 47% des Bochumer Stadtgebietes der Lärmpegel im Tagesmittel über 55 dB und verfügen daher große Teile der Stadt schon deswegen leider nur über eine eingeschränkte Wohnqualität (Stadtlärmranking). Es fehlt in Bochum an attraktiven Wohngebieten. Insbesondere Haushalte, mit mittleren und höheren Einkommen suchen vergeblich nach einem geeigneten Wohnangebot. Die Politik hat auf diese Entwicklung lange völlig hilflos reagiert. Das Wohnbaulandkonzept etwa ist ein Beispiel politischen Unvermögens. Die Folge dieser Handlungsunfähigkeit, die Stadt verliert dramatisch Einwohner, 8,5% in den nächsten 10 Jahren. Auch gerät die städtische Sozialstruktur in eine ungesunde Schieflage. Menschen mit mittleren und höheren Einkommen ziehen weg, während diejenigen, die sich einen Umzug nicht leisten können, in Bochum wohnen bleiben.

Eine besondere Attraktivität wird dem Stadtbild, insbesondere der Innenstadt nicht zugeschrieben, ebenso wenig wie eine Unverwechselbarkeit oder ein besonderer Charakter. Überregional bekannt und geschätzt wird Bochum jedoch für sein Nachtleben. Andrerseits ist wiederum auffällig, dass sich die Zentren der meisten Stadtviertel in einem Prozess des beständigen Niedergangs befinden, während das Wachstum nicht integrierter Einkaufszentren ungebremst ist.

Auch als familienfreundlich wird Bochum nicht wahrgenommen. Die bereits angesprochene Bildungsmisere stellt hier einen besonderen Negativpunkt dar, ebenso wie eine Verkehrsinfrastruktur, die weitgehend den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen nicht gerecht wird. Lediglich mit einem guten Freizeitangebot kann Bochum und das Ruhrgebiet punkten, auch wenn hier das Angebot (z.B. hinsichtlich Schwimmmöglichkeiten) aufgrund der bestehenden Sparzwänge teilweise empfindlich eingeschränkt wurde.

Die Kooperationsbereitschaft der städtischen Behörden wird in Bochum von den Unternehmen regelmäßig als unterdurchschnittlich bis schlecht bewertet (z.B. INSM-Studie). Auch hieran vermochte die Politik nichts zu ändern. Ebenso kündigen SPD und Grüne schon seit Jahren an, die Wirtschaftsförderung zu modernisieren und ihr eine klare Struktur zu geben. Ein Ergebnis dieser Bemühungen ist jedoch nicht absehbar. Eine Wirtschaftsförderung aus einer Hand sucht man weiterhin vergeblich. Viele Initiativen, viele Projekte arbeiten unkoordiniert nebeneinander her. Nicht mal die städtische Entwicklungsgesellschaft EGR und das Amt für Wirtschaftsförderung konnten bisher zusammen geführt werden.

Auch fehlt es ruhrgebietsweit an einer einheitlichen auf die Bedürfnisse der Gesamtregion ausgerichteten Förderungsstruktur. Die Wirtschaftsförderung im Ruhgebiet hat weiterhin nicht wirklich die Bedürfnisse der ganzen Region im Blick. Immer noch herrscht Kirchturm denken vor. Immer noch überbieten sich Städte mit Subventionsgeschenken, um anderen Kommunen Unternehmen abzujagen.

Als vorteilhaft wahrgenommen wird in Deutschland hingegen die Mentalität der Wohnbevölkerung in Bochum, die fast unbeschränkten Einkaufsmöglichkeiten und das damit verbundene niedrige Preisniveau sowie die Entwicklung eines kreativen und innovativen Sozialmileus.

Zusammengefasst erkennt man hinsichtlich der weichen Standortfaktoren, dass sich die jahrzehntelange einseitige Fokussierung der Stadtpolitik auf das Ziel einer autogerechte Stadt jetzt bitter rächt. Die Stadt wird zum Wohnen und Leben von den Menschen außerhalb des Ruhrgebietes als wenig attraktiv wahr genommen, dort lobt man die hervorragenden 2- bis 4-spurigen Verkehrsverbindungen, die die Stadt kreuz- und quer durchschneiden und die massenhaften Parkplätze in den unterirdischen Parkhäusern der Innenstadt. Leben und wohnen möchte man aber lieber im ruhigen Umland, wo man nicht von Verkehrslärm und Feinstaub belästigt wird, aber aufgrund der tollen Verkehrsinfrastruktur die Ballungszentren des Ruhrgebietes leicht erreichen kann.

Der Ruf der Stadt ist ein ebenso ernsthaftes Problem wie die schlechte Aufstellung der Wirtschaftsförderung. Beides ist letztlich eine Folge wenig nachhaltiger Stadtentwicklungspolitik. Statt dass konkrete mittel- und langfristige Strategien entwickelt und verfolgt wurden, die festlegen, in welche Richtungen die Stadt entwickelt werden soll, wurden ohne sichtbaren Zusammenhang planlos die verschiedensten Projekte verfolgt, um z.B. zufällig gerade verfügbare Fördertöpfe abzuschöpfen.

Bochumer Wirtschaftsförderung

Bis 2016 wird Opel Bochum verlassen, in der Stadt ist die Wirtschaftförderung aber denkbar schlecht aufgestellt, weil die Politik die hier erforderlichen Restrukturierungsmaßnahmen völlig verschlafen hat. Für die Entwicklung der Opelflächen wird jetzt noch eine weitere Wirtschaftsförderungsgesellschaft gegründet. Dass das so wie geplant Sinn macht, kann bezweifelt werden. Es bedarf endlich einer starken einheitlichen und zielgerichteten städtischen Wirtschaftsförderung, die die massiven Defizite bei den Standortfaktoren in Bochum systematisch analysiert, mittel- und langfristige Entwicklungsziele festschreibt und endlich nachhaltige Verbesserungen auf den Weg bringt.

Welche Perspektiven konkret durch die Entwicklungsgesellschaft „Bochum Perspektive 2022“ verfolgt werden sollen, ist hingegen weitgehend offen. Das ursprüngliche Ziel der Initiative war, „den Produktionsstandort für Opel Automobile in Bochum auch über das Jahr 2016 hinaus zu erhalten.“ (Dringlichkeitsantrag vom 13.12.12). Dieses Ziel dürfte sich überholt haben. Gemäß des Ratsbeschlusses vom 13.12.12 (20122695) sollte gemäß Vorgabe von Opel Gesellschaftszweck der jetzt gegründeten Gesellschaft die Sicherung von Arbeitsplätzen, die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch Flächenentwicklung und Innovative Technologien sein (PM GM vom 30.10.12). Diese Ziele sind so allgemeingültig wie nichts sagend und vollständig deckungsgleich zu den Zielen jeder Wirtschaftsförderung.

Ein neuer Ratsbeschluss und eine Diskussion der Politik zu den konkreten Zielen der Entwicklungsgesellschaft steht aus und es sieht aktuell nicht danach aus, dass diese noch geführt werden soll. Entschieden wurde jetzt lediglich, welche Prominenten die Initiative vertreten. Sollte die Politik nicht erst Vorgaben machen, was mit der Gesellschaft genau erreicht werden soll, wie diese in die Wirtschaftsförderungsstruktur der Stadt konkret eingebunden werden soll und in welche Richtung die Entwicklung der Flächen erfolgen soll? Zumindest den Prozess, wie man auf diese Fragen Antworten finden will, müsste die Politik jetzt eigentlich festlegen.

Wie es aussieht, sollen nun mit Prominenz und großer Förderkelle ein paar Unternehmen öffentlichkeitswirksam als Nachfolger für die Opelstandorte gewonnen werden. Pressewirksam soll der Beweis geführt werden, die Politik tut was. Zu befürchten ist allerdings, dass in Bochum eine strukturierte und nachhaltige Wirtschaftsförderung auch weiterhin unterbleibt und die eigentlichen Standortdefizite nicht systematisch aufgearbeitet werden, so dass der Erfolg der Perspektive 2022 allenfalls ein kurzfristiger und unzureichender sein wird, langfristig das Motto der Bochumer Wirtschaftspolitik jedoch weiterhin lauten wird: „Perspektivlos auch nach 2022“.

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(ruhrblogxpublik)

Autor:

Dr. Volker Steude aus Bochum

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