Hier im Lokalkompass: Das erste Kapitel der Strahler - "Gute Zeit"

Spritze.  Die Mutter der Station auf der Suche nach dem Glück. Irgendwas mit Chefarzt oder Prinz. | Foto: Hajo Müller
  • Spritze. Die Mutter der Station auf der Suche nach dem Glück. Irgendwas mit Chefarzt oder Prinz.
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Rääääähhh. rääääähhh. rääääähhh blökt die feuerrote Signallampe. Irgendetwas ist in Zimmer 12 passiert. Rääääähhh. rääääähhh. rääääähhh. Wie eine Rakete schießt Oberschwester Hiltrud aus dem Schwesternzimmer. So schnell ihre offenen Gesundheitslatschen sie tragen, wälzt sich Schwester Hiltrud schnaufend den Linoleumflur der Kinderkrebsstation entlang. eine keuchende Lokomotive unter Volldampf. Ihr gewaltiger Busen hebt und senkt sich im Rhythmus des Schnaufens. Rääääähhh. rääääähhh. rääääähhh. Diese blökende Signallampe kann alles bedeuten. Nur nichts Gutes.
Rääääähhh. Oberschwester Hiltrud weiß, manchmal kommt es auf jede Sekunde an. rääääähhh. rääääähhh. rääääähhh. Im Laufen rattert sie im Kopf die wichtigsten Notfallmaßnahmen durch. Sie macht den Job schon ewig. Über 20 Jahre und ist hier die Oberschwester. Sie ist wild entschlossen auch diese Situation zu retten. Rääääähhh. rääääähhh. rääääähhh. Noch zwei Meter bis zur Tür. Rääääähhh. rääääähhh. ein Meter. Rääääähhh. Sie hechtet an die Klinke, reißt die Tür mit einem Ruck auf und blickt mitten in das Gesicht von Bombe. Der strahlt sie an wie ein Honigkuchenpferd und reißt seine neue Stoppuhr in die Höhe. »hey Oberschwester, 13,6 Sekunden – Jahresbestleistung! Jungs, unter 14 Sekunden.

Ich hab es euch ja gesagt: Die Spritze ist spitze. Sie ist voll gut in Form. Ich habe die Wette gewonnen. Her mit den Fußballbildern.« Bombe ist glücklich und macht mit seinem Infusionsständer ein kleines Siegertänzchen im Zimmer, während er die gewonnenen Bilder bei seinen Zimmerkollegen Bizeps, lippe, Zweistein und mir einsammelt.
Oberschwester Hiltrud, auch die Spritze genannt, steht keuchend im Zimmer und blickt schwer atmend und schwer verständnislos von einem zum anderen. Bizeps nickt ihr anerkennend zu. »Wir haben gewettet und Sie haben es uns allen gezeigt. Sie sind die schnellste Oberschwester der Welt.«
»Kein Wunder bei den Waden«, wirft Lippe ein.
Die Oberschwester zupft gedankenschnell ihren Kittel nach unten, um ihre von zehn Jahren Schwesterndienst trainierten Waden in den Oberschwestersocken mit Tigerentenmuster zu verdecken. Sie haucht ein tonloses »aber die Lampe« heraus. »Das war der Startschuss damit ich die Zeit stoppen konnte. Uns geht es gut. Setzen Sie sich erst mal, sonst müssen wir Sie noch ins Krankenhaus bringen«, grinst Bombe und schiebt der Schwester einen Besucherstuhl unter den Po. »Und einen Schluck Wasser. Sie sind ja ganz außer Atem. Sie sollten mehr Sport machen«, feixt Lippe und reicht der Schwester ein Glas Humpelbacher Krötenquelle, aus gesundheitlichen Gründen ohne Kohlensäure.

Spritze öffnet ihren Mund. Und schließt ihn wieder. Und öffnet ihn wieder. Sie wirkt ein bisschen wie ein Karpfen im Kittel, aber ohne Teich. Oberschwester Hiltrud, die Spritze, dreht sich wortlos um, schnappt wortlos nach Luft und verlässt ebenso wortlos das Zimmer. Ohne eine Silbe, aber mit all ihrer Autorität stampft sie zurück ins Schwesternzimmer, lässt sich auf ihren in die Jahre gekommenen Oberschwesternstuhl fallen und öffnet die beiden obersten Knöpfe ihres Oberschwersternkittels. Sie greift zu einem Stück Verbandsmull und tupft einige glänzende Schweißtröpfchen von ihrer Oberlippe und fasst in die unterste Schublade des schmucklosen Schreibtisches. Sie muss ein bisschen wühlen, bis sie in die Finger bekommt, was sie händeringend sucht: die Flasche mit ihren Beruhigungstropfen. extra groß. extra stark. Xl Forte, wie das Etikett sagt.

Der Chefarzt sieht es zwar gar nicht gerne, dass sie hier Medikamente nimmt, aber bei dieser Bande bleibt ihr nichts anderes übrig, wenn sie nicht hier und jetzt an Herzinfarkt und Schnappatmung sterben will. Und das will sie nicht. Spritze wirft ihren hochroten Kopf in den fleischigen Nacken, sperrt ihren Mund weit auf, schließt die Augen und lässt die beruhigenden bitteren tropfen auf ihre nervöse Zunge Tropfen: eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, zehn. Sie atmet tief durch, öffnet die Augen, wirft einen Blick auf die Mickymausuhr über der Stationstür und erkennt mit Schrecken, dass ihre Schicht noch 10 Stunden und 25 Minuten dauert. Sicher ist sicher, denkt sie sich und gönnt sich noch mal 10 tropfen Beruhigung. Vorsichtshalber. Sie ist auf diese Bande reingefallen. Schon wieder.

Frank Dopheide

Das war die erste Geschichte der Strahler-Bande!
Fällt Euch auch etwas Lustiges ein, wie die Geschichte weitergehen könnte? Schreibt Sie hier in Lokalkompass und mit etwas Glück findet Ihr Eure Geschichte dann in im nächsten Strahler-Buch wieder!

Infos über das neue Buch findet Ihr HIER

Autor:

Lokalkompass .de aus Essen-Süd

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