Alles nur wegen dem Traudchen

Charis Nass ist das Mädchen, mit dem Kinder die Kinder nicht verkehren durften. 
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Eine brillante Charis Nass ist das Mädchen, mit dem die Kinder nicht verkehren durften

Alles nur wegen dem Traudchen. Warum petzt das Nachbarskind auch alles brühwarm bei der Mutter? Das muss natürlich Rache geben…

Charis Nass war Schauspiel-Studentin an der Werdener Folkwang-Hochschule. Gerne kehrt sie zurück und tritt bei „kunstwerden“ auf mit dem Einpersonenstück „Das Mädchen, mit dem die Kinder nicht verkehren durften“ nach Irmgard Keun. Die „Horde der rasenden Banditen“ hat im Stadtpark eine Höhle. Mit der Kinderbande erlebt das namenlose Mädchen Abenteuer im ewigen Kampf gegen das Erwachsenwerden. Ihr Schlachtruf: „Java und Togo!“ Sie verteidigen Ritterlichkeit und Tapferkeit: „Es ist unsere Pflicht, den Schwachen und Bedrückten zu helfen. Dagegen können wir gar nichts machen. Und wenn es die Erwachsenen nicht verstehen, müssen wir es trotzdem tun.“

Kampf gegen das Erwachsenwerden

Mit den Augen des Mädchens erleben wir im Sommer 1918, wie der erste Weltkrieg zu Ende geht. Noch kindliche Unschuld wächst zu frühreifer Einsicht. Das gibt Hoffnung, das ist tieftraurig, auf jeden Fall ist das anrührend. Zuweilen auch brüllend komisch. Die naive Erzählerin lässt ihr Publikum schmunzeln, um es im nächsten Moment in jähe Abgründe blicken zu lassen. Das ständige Spannungsfeld zwischen Anpassung und Eigensinn lässt die Zuschauer zurück in die eigene Kindheit blicken. Nicht wenige erkennen sich wieder. Wie war das mit der Rache? Also: Das Traudchen hat so aufgedrehte Locken, sieht auf dem Kopf aus wie ein Wischmopp. Flugs wird sie blaugefärbt, ihr Äußeres hat dabei eigentlich nur gewonnen. Doch das Traudchen heult und ihre Mutter fordert keifend Schadensersatz. Wieder so ein Missverständnis. Das Mädchen weiß gar nicht, wie ihr geschieht: Sie wollte doch nur Gutes. Wie können die Eltern das so schrecklich falsch verstehen? Die Erwachsenen sind halt dumm. Allen voran Traudchens Mutter und das Fräulein Knoll in der Schule. Nur der Herr Kleinerz von nebenan, der unterstützt sie in ihrem Tun: „Ein Kind muss gut sein. Aber es darf sich nicht zum Deppen machen lassen.“ Ganz schlimm wird es, als ein Brüderchen kommt. Zunächst einmal ist es ja wohl lachhaft, wenn die Eltern behaupten, das Brüderchen hätte der Storch gebracht. Tsss. Doch irgendwoher müssen die Kinder ja kommen. Das wird sie noch früh genug spitzkriegen. Der Vater freut sich: „Endlich ein Sohn.“ Die Mutter küsst das kleine Etwas ständig. Das Mädchen muss sich wundern: „Wenn die Eltern doch lieber ein braves Kind, einen Sohn wollten, warum haben sie dann erst mich angeschafft?“ Immer wieder hinterfragt das Mädchen die Welt der Erwachsenen, deckt so manchen Widerspruch auf. Warum darf sie nicht fragen, woran die Schulleiterin gestorben ist? Warum soll sie jetzt spontan traurig sein, obwohl sie die Frau gar nicht kannte? Was soll sie der Mutter daheim berichten? Deren erste Frage lautet nämlich: „Woran ist sie denn gestorben?“

Krieg ist doof

Charis Nass ist ungestüm, zaghaft, ihr virtuoses Spiel fesselt und bewegt. Dazu werden Musikfetzen und Klänge pointiert eingesetzt. Ein karges, umso stimmigeres Bühnenbild, wenige multifunktionale Requisiten, das reicht. Großes Theater in ganz kleinem Format. Auf Hamstertour wird eine alte Frau von einem Offizier schikaniert, die kostbaren Kartoffeln rollen über den Bahnsteig, die Eier zerschlagen. Die Erwachsenen murmeln, der Mann tue doch nur seine Pflicht. Das Kind denkt: „Was soll die arme Frau jetzt essen?“ So eine Kindheit im Krieg ist kein Zuckerschlecken. Aber noch schlechter geht es dem fremden Soldaten. Der Kriegsgefangene sitzt da traurig auf einem Stein, das Mädchen denkt: „Der will bestimmt nach Hause.“ Krieg ist doof, aus Kindermund klingt das so: „Das ist eine Schweinerei!“ Weil er als oberster Heeresführer das doch gewiss ihn der Hand hat, schreibt sie dem Kaiser. Der Krieg dauere nun schon viel zu lange und Frieden sei sehr viel besser. Also bitte…
Doch der Monarch antwortet nicht und ein kleines Mädchen ist schwer enttäuscht von ihm: „Wenn der Kaiser keinen Frieden macht, ist er doch gar nichts wert.“ Dann ist doch und plötzlich Frieden. Der Krieg ist vorbei. Und was lehrt uns das? „Einer muss immer verlieren.“

Charis Nass ist das Mädchen, mit dem Kinder die Kinder nicht verkehren durften. 
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„Java und Togo!“ lautet der Schlachtruf der „Horde der rasenden Banditen“. 
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Autor:

Daniel Henschke aus Essen-Werden

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