Wahlkampfimpressionen: Was will die SPD-Gelsenkirchen mit dem kommunalen gesetzlichen Mindestlohn?

Die Frage klingt komisch, nicht wahr? Sie stellte sich mir jedoch, als ich mir das SPD-Kommunalwahlprogramm im Internet aufrief.

Einleitend sei folgender Absatz erwähnt:

„Wir werden den Menschen in unserer Stadt weiterhin Perspektiven eröffnen und Gelsenkirchen zukunftsfest gestalten. Wir stellen uns den Herausforderungen, die mit dem Strukturwandel einhergehen. Dabei sind wir mit allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen im Gespräch. Deshalb: Heimat schreiben wir mit GE.“

Auffällig ist, dass „alle Gruppen“ durch das Wort „relevant“ geschmälert wurde. Wer ist denn relevant in Gelsenkirchen, wenn nicht alle?! Wer nicht relevant ist, erschließt sich aus folgendem Schriftverkehr, den ich mit irgendjemand, der die SPD-Gelsenkirchen-facebook-Seite betreibt, führte. Immer schön verdeckt bleiben, nie mit Namen in der Öffentlichkeit eine Position abgeben, so kam mir dieser Versuch einer inhaltlichen Auseinandersetzung vor. Nun, dann gehe ich doch mal ins Detail.

Mich interessierten natürlich die Ziele. Und da steht im Programm:

„Unsere Ziele für Gelsenkirchen auf einen Blick: Wir stehen für eine solidarische Stadtgesellschaft. Alle Bürgerinnen und Bürger müssen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können – unabhängig von Einkommen, Herkunft, Bildungsstand, Geschlecht oder Alter. Wir werden den Zusammenhalt in Gelsenkirchen weiter stärken.“

Liest sich gut und es sind nicht nur alle relevanten BürgerInnen gemeint. Aber lasst Taten folgen, denn weiter heißt es:

„wir brauchen immer noch mehr und vor allem sichere Arbeitsplätze von denen Männer und Frauen leben können. Deshalb treten wir für einen flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro ein.“

Ich rieb mir die Augen und musste stutzen. Was hat denn der gesetzliche Mindestlohn im Kommunalwahlkampf-Programm zu suchen? Dies ist ein bundesweites Gesetz, auf das eine Kommune nicht wirklich nennenswert Einfluss nehmen kann. Also stellte ich meine Frage der SPD-Gelsenkirchen.

„Frage: Der Kommunalwahlkampf beginnt und die SPD-Gelsenkirchen will für einen flächendeckenden Mindestlohn eintreten. Nun sieht ihre Partei es im Bund anders, denn nicht jeder wird mitgenommen. Wie will die SPD-Gelsenkirchen aus der Kommune heraus das bundespolitische Thema beeinflussen?“

Bezug nehmend auf die aktuelle Arbeitslosenstatistik in Gelsenkirchen fügte ich gleich noch eine Frage hinzu: „Sehe ich das richtig, dass nach dem jetzigen Gesetzentwurf etwa 20.000 BürgerInnen in Gelsenkirchen ein halbes Jahr nichts von einem gesetzlichen Mindestlohn hätten?“

Ich staunte nicht schlecht, als mir tatsächlich bei facebook das rote Fähnchen angezeigt wurde: Jemand von der SPD-Gelsenkirchen (wer auch immer das war) hat mir geantwortet. Nun müssen Sie wissen, dass das nicht dem Standard der Partei entspricht. So haben wir von Stellen anzeigen im Dezember die Partei um Unterstützung zur Inge Hannemann-Veranstaltung gebeten. Andere Parteien schrieben wir ebenfalls an. Die SPD antwortete nicht, nicht mal eine Absage waren wir ihr wert. Dann fragten wir die SPD-Gelsenkirchen bzgl. des Gelsenkirchener Appells, auch hier schwieg sie. Sebastian Kolkau meinte in der WAZ, wer den Gelsenkirchener Appell ablehne, missachtet die Probleme der Bürgerinnen und Bürger in Gelsenkirchen. Auch ihn fragte ich und er antwortete nicht. Dann baten wir die Parteien, auch die SPD-Gelsenkirchen, ob sie an unserer Veranstaltung auf dem Podium Platz nehmen möchten. Auch hier waren wir ihr keine Antwort wert. Und nun?! Eine Antwort auf facebook. Heißa, mag es an Ostern liegen, dass die Auferstehung gefeiert wird? Ich hoffte auf ein Lebenszeichen und bekam eins. Die Antwort lautete:

„Sehr geehrte Frau Stoffers,

ja, der Kommunalwahlkampf beginnt - für den flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn ist allerdings eindeutig die Bundesregierung und genauer das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit Bundesministerin Andrea Nahles zuständig. Ebenso korrekt ist, dass wir uns als gesamte SPD schon seit langem für den Mindestlohn einsetzen. Auch, wenn wir den Mindestlohn als Gelsenkirchener SPD nicht selbst einführen können, treten wir natürlich für dessen Einführung ein und tun dies u.a. in Gesprächen mit dem Gelsenkirchener SPD-Bundestagsabgeordneten Joachim Poß, mit Bundesministerin Nahles und anderen. Für weiterführende Fragen zum Mindestlohn, wie ihn die Bundesregierung vorschlägt, empfehlen wir Ihnen das Gespräch mit Herrn Poß zu suchen bzw. sich auf der Website des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zu informieren. Hier der Link.

Frohe Ostern!“

Wieso verweist mich dieser SPD-Mensch, der unerkannt bleiben möchte, auf die Bundesebene? Sie haben das Thema im Kommunal-Wahlkampf-Programm stehen. Also sollten die dort angegebenen Inhalte im direkten Bezug zu unserer Stadt liegen. Die Ziele müssen von der Kommune aus erreicht werden. Die Bundestagswahl ist schon seit einigen Monaten vorbei. Also räusperte ich mich noch ein mal:

„Vielen Dank für Ihre Antwort. Da wir uns jedoch im Kommunalwahlkampf befinden, kann ich als Bürgerin nicht erkennen, welche Auswirkung der gesetzliche Mindestlohn, wie ihn die Bundes-SPD fordert und den Sie in Gelsenkirchen unterstützen, für unsere Stadt langfristig haben soll. Immerhin steht dieser Passus in Ihrem Kommunalwahlkampf-Programm, daher richtet sich auch meine Frage an Sie und nicht an Herrn Poß. Ihre Partei lässt Langzeitarbeitslose für 6 Monate beim Mindestlohn außen vor, was natürlich entsprechende Modelle der Arbeitgeber zulässt. Es wird zu erwarten sein, dass Arbeitsverhältnisse nach 6 Monaten gekündigt werden. Eine Stabilität für Langzeitarbeitslose gibt es mit Ihrem Mindestlohnmodell nicht. Also werden viele Tausend BürgerInnen, die in Gelsenkirchen leben, nicht mitgenommen. Was gedenkt die Gelsenkirchener SPD in diesem Fall zu tun? Und noch eine andere Frage: Im Mai kommt Frau Nahles nach Gelsenkirchen. Wann und wo können wir denn an dieser Veranstaltung teilnehmen?“

Ich hoffte tatsächlich noch auf Erkenntnisse, Input, Inhalt, Material, was meine Frage beantwortet. Stattdessen erhielt ich nur eine Wiederholung des bereits Geschriebenen. Vielleicht hat die SPD-Gelsenkirchen hier einen Auto-Text oder einen Stehsatz programmiert, um nicht mehr Anstrengung bei der Beantwortung von Bürgerfragen aufbringen zu müssen.

„Sehr geehrte Frau Stoffers,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Der Besuch von Frau Bundesministerin Nahles wird keine öffentliche Veranstaltung sein. Die von Ihnen zitierte Aussage in unserem Kommunalwahlprogramm besagt, wie bereits mitgeteilt, dass wir uns natürlich auch als Gelsenkirchener SPD für den gesetzlichen Mindestlohn eingesetzt haben und einsetzen. Dies wird nun von der Bundesregierung umgesetzt - da wir uns allerdings bekanntermaßen in einer Großen Koalition mit CDU/CSU befinden, mit einigen Kompromissen.“

Fazit:

Es sind sogar zwei Fazite. Ein mal mehr wird klar, dass die SPD Gelsenkirchen mit Zuspruch an die Bundespolitik, kein Interesse daran hat, ALG-II-Empfänger mitzunehmen. Noch mal zur Erinnerung: „ Dabei sind wir mit allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen im Gespräch.“ Relevant scheinen also Langzeitarbeitslose in Sachen gesetzlicher Mindestlohn nicht zu sein. Denn diese Frage wurde von der SPD-Gelsenkirchen nicht beantwortet. Richtig wäre gewesen zu sagen, dass sie im Kommunalwahlkampf dafür eintreten, dass alle am gesetzlichen Mindestlohn teilhaben sollen und er zum jetzigen Zeitpunkt so nicht richtig ist. Das aber ist nicht geschehen und führt die hohlen Phrasen des Wahlprogramms ad absurdum. Es werden nicht alle mitgenommen.

Schaut man in die Statisk der Arbeitsagentur, so erkennen wir, dass in Gelsenkirchen alleine knapp 20.000 ALG-II-Bezieher leben. Dagegen steht ein Jobangebot von 1.870 offenen Stellen. Wir haben eine Unterbeschäftigung von beinahe 32.000. Den Unterschied zwischen Arbeitslose SGB II und Unterbeschäftigung finden Sie hier. Es steht zu befürchten, dass in Gelsenkirchen ca. 50.000 Menschen von diesem Mindestlohnmodell ausgenommen sind. Selbst wenn es alleine „ nur“ um die knapp 20.000 Menschen geht, so ist die Tendenz steigend. Wir haben nicht die Beschäftigung, von der alle leben können. Und die SPD-Gelsenkirchen steht für den gesetzlichen Mindestlohn, der so viele Gelsenkirchener ausschließt? Ein sehr fragwürdiges Kommunal-Konzept liegt da vor.

Das zweite Fazit bezieht sich auf den Gelsenkirchener Appell und den Besuch von Andrea Nahles. Darüber werde ich noch mal gesondert berichten. Komisch ist doch, dass vor einem Kommunalwahlkampf eine nicht unwichtige Bundestagsabgeordnete in der Stadt ist und ein öffentliches Thema nicht öffentlich behandelt wird. Da hätte die SPD doch mehr von, Frau Nahles der Öffentlichkeit zu präsentieren, als ihr ein inhaltsloses oder besser gesagt, nicht vorhandenes Konzept zu präsentieren. Aber dazu gibt es noch eine Fortsetzung. Mal sehen, ob ich Antwort von der SPD bekomme. Ich wünschte mir wirklich sehr, mal was Positives über diese Partei berichten zu können. Ganz wirklich und ehrlich!

Macht doch einfach mal mit, fragt Eure Bezirksvertreter, nehmt sie in die Pflicht, lasst Euch ihre Konzepte erklären. Ich werde es bis zur Kommunalwahl nicht schaffen, alle Programme bis ins Detail durchgearbeitet zu haben. Es macht Spaß und ist spannend. Wer nicht gestaltet, wird verwaltet.

Autor:

Sandra Stoffers aus Recklinghausen

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