Abitur - und was dann?

uliane Beutel (20) hat ein freiwilliges soziales Jahr an einer Förderschule für geistige Entwicklung begonnen.
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  • uliane Beutel (20) hat ein freiwilliges soziales Jahr an einer Förderschule für geistige Entwicklung begonnen.
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von Lisa Römer

Kurzer Rückblick: Die Einführung der verkürzten Oberstufe mit nun insgesamt zwölf Jahren Unterricht bis zum Erreichen des Abiturs anstatt wie zuvor 13 Jahre hat zum ersten Mal ihre Auswirkungen gezeigt: Letztes Jahr im Sommer hat der Doppeljahrgang rund 538 Hattingern und Sprockhövelern gleichzeitig ihr Abitur an den vier hiesigen Schulen beschert. Heute, ein Jahr später, hört der STADTSPIEGEL nach und möchte wissen, wie es den damaligen Abiturienten bisher ergangen ist.

Fragen sind, ob der große Ansturm auf die Universitäten begonnen hat und somit die Zulassungsbeschränkungen in die Höhe gegangen sind oder ob die Schule rückblickend betrachtet doch nicht so schlimm war, wie es sich vielleicht immer angefühlt hat, ob sich die Wünsche der vielen Abiturienten erfüllt haben und ob sie glücklich sind, mit dem, was sie tun, oder ob sie ihre Entscheidungen vielleicht schon bereuen und sich nach etwas Neuem umsehen.
Eines lässt sich zumindest schon mit Sicherheit sagen: Die Zukunftspläne, welche die Abiturienten noch während ihrer Schulzeit geschmiedet haben, sind nicht immer in Erfüllung gegangen.
Beispielsweise Juliane Beutel und Lara Neick. Beide haben ihr Abitur nach 13 Jahren am Gymnasium im Schulzentrum Holthausen gemacht, sich „für danach“ aber etwas anderes vorgestellt.
Juliane Beutels Wunsch war es Deutsch und Naturwissenschaften auf Grundschullehramt zu studieren. Doch ihr Plan scheiterte zunächst an den durch den Doppeljahrgang entstandenen hohen NCs (Numerus Clausus, die von der Abiturnote bestimmte Zugangsbeschränkung) und sie hat stattdessen ein freiwilliges soziales Jahr an einer Förderschule für geistige Entwicklung begonnen.
Bei Lara Neick lief es ähnlich. Sie wollte eine Ausbildung zur Immobilienkauffrau beginnen, fand jedoch nicht sofort eine freie Ausbildungsstelle und hat sich zunächst an der Ruhr Universität Bochum für den Studiengang Umwelttechnik und Ressourcenmanagement eingeschrieben und sich einen Nebenjob gesucht.
Doch auf die Erkenntnis, dass diese Entscheidung nicht die richtige war und dass der Wunsch, Karriere in der Immobilienbranche zu machen, immer noch sehr stark war, musste Lara Neick nicht lange warten. Sie hat also einen zweiten Versuch gestartet, um einen Ausbildungsplatz zu finden, und war damit letzten Endes doch noch erfolgreich.„Ich fange bald mit einem Praktikum in meinem zukünftigen Ausbildungsbetrieb an und freue mich schon sehr. Die Entscheidung, mein Studium abzubrechen, bereue ich kein Bisschen, da ich jetzt meinen Traum leben kann“, versichert die 19-jährige.
Bei der Frage, wie die beiden auf ihre Schulzeit zurück blicken, sind sie sich dann völlig uneinig. Während Juliane Beutel sich nichts sehnlicher wünscht als die Schulzeit zurück, ist sich Lara Neick sicher: „Ich vermisse sie nicht im geringsten. Lieber arbeite ich 40 Stunden die Woche, als noch mal eine einzige Stunde Physik zu ertragen. Auf die viele Freizeit blicke ich jedoch eher mit einem weinenden Auge zurück.“
Juliane Beutel jedoch merkt allmählich, dass die Arbeitswelt durchaus ihre Tücken besitzt: „Ich bin von morgens sechs Uhr bis abends sechs Uhr unterwegs und habe es mit wirklich anstrengender, stressiger Arbeit zu tun, wie beispielsweise das Füttern oder Wickeln von Kindern.“
Auch der Wunsch ein Jahr nach dem Abitur im Ausland zu verbringen ist in dieser Abitur-Generation sehr groß. Robin Breßgott, Lousia Schoppmeyer und Karina Maucksch teilen ihn sich auf die eine oder andere Weise.
Für Robin Breßgott war es klar: „Nach dem Abitur am Gymnasium Holthausen mache ich erstmal einen langen Urlaub und starte dann mit einem Vorpraktikum für meinen Wunschstudiengang Sozialarbeit und wenn alles gut läuft, fange ich im Sommersemester an zu studieren.“
Der Urlaub hat geklappt, das Studium noch nicht ganz. „Die NCs waren einfach zu hoch“, klagt Robin Breßgott. Momentan jobbt der 20jährige in einem Getränkehandel. Doch ein Hoffnungsschimmer bleibt: „Wahrscheinlich kann ich mich noch über ein Stipendium für meinen Wunschstudiengang freuen. Außerdem ist Geld verdienen auch nicht schlecht und ich habe später noch genug Zeit zum Arbeiten, da macht es mir auch nichts, wenn ich mal ein Jahr auf einen Studienplatz warten muss. Für meinen Traum ist es mir das allemal wert.“
Karina Maucksch hingegen hatte ihren Auslandsaufenthalt etwas anders geplant: „Seit ich 14 Jahre alt bin, weiß ich, dass ich nach dem Abi für ein Jahr lang als Aupair nach Frankreich gehen möchte. Am allerliebsten wäre mir Marseille.“
Doch Erwartung und Realität liegen oft weiter auseinander als zunächst gedacht. Karina Maucksch ist nach ihrem Abitur zwar wirklich nach Marseille gegangen, doch haben sich ihre damit verbundenen Wünsche von Integration in das normale französische Familienleben und die Kultur nur bedingt erfüllt.
„Stattdessen habe ich jetzt viel mehr Eigenständigkeit und kann tun, was ich möchte und habe mehr Freiheiten meinen Aufenthalt zu gestalten, zum Beispiel mit Herumreisen in der Provence“, berichtet die 20-jährige, „Ein weiterer Grund, warum ich ins Ausland gehen wollte, war, um in mich hineinzuhören und herauszufinden, was ich wirklich machen möchte. Doch leider habe ich in mir nur Verwirrung gefunden und stehe jetzt genau dort, wo ich schon vor einem Jahr gestanden habe.“
Doch mindestens eine Erkenntnis hat das Jahr als Aupair dann doch gebracht: „Ich habe gelernt, dass einem Dinge und Tätigkeiten auch langfristig Spaß machen müssen, sonst kann man nicht glücklich werden.“
Für Louisa Schoppmeyer war klar: „Ich möchte ein freiwilliges soziales Jahr außerhalb Deutschlands absolvieren.“ Und genau das hat sie auch getan – nur dass es aus finanziellen Gründen lediglich ein halbes Jahr im afrikanischen Ghana wurde. Der Mittlerverein zwischen ihrer Organisation „weltwärts“ und ihrem Hilfs-Projekt ist insolvent gegangen und somit gab es keinerlei finanzielle Unterstützung für die Hattingerin.
Über ihre Zeit in Ghana schwärmt die 19-jährige dennoch: „Meine Arbeit war wirklich sinnvoll und ich habe das Gefühl, etwas Bleibendes erreicht zu haben.“ Momentan bereitet sich die engagierte Weltenbummlerin auf ihren nächsten Traum vor: „Seit ich ein kleines Kind bin, möchte ich Ärztin werden“, und absolviert dazu gerade ein 90-tägiges Krankenpfleger-Praktikum und einen ärztlichen Erste-Hilfe-Kurs. „Zum Sommersemester beginne ich an der Ruhr Universität Bochum meinen Studiengang Humanmedizin.“
Dass sie die Schule vermissen, da sind sich die Drei einig. Der Sprockhövler Robin Breßgott erinnert sich ein wenig wehmütig: „Man hatte nie sonderlich viel zu tun und das Beste war: Man hat seine Freunde jeden Tag gesehen. Jetzt verläuft sich das alles ein wenig, da alle an verschiedenen Orten studieren.“
Louisa Schoppmeyer schließt sich an: „Goooooood ol‘ times – die Schule war eine super Zeit! Ich bin tatsächlich immer recht gern hingegangen, hatte riesigen Spaß in meinen Leistungskursen Englisch und Biologie und bin auch mit meinem Abitur zufrieden. Die Schulzeit ist für mich definitiv nichts, was ich möglichst bald vergessen oder gar durch meine Unizeit ersetzen will. Lieber wäre mir, eine nächste schöne Zeit der anderen anzuschließen!“
Auch Karina Maucksch kann nicht widersprechen: „Ich wollte es zwar nicht wahrhaben, als ich gegangen bin, aber irgendwie vermisse ich schon, dass man ein bisschen von allem lernt, in einer Atmosphäre in der man sich auskennt. Veränderung ist anstrengend. Aber auch gut. Ich würde allerdings nicht sagen, dass ich es lieber hätte, nach dem Jahr wieder in die Schule zu gehen. Damit habe ich jetzt abgeschlossen. Jetzt kommt wohl oder übel etwas neues, auch wenn noch nicht feststeht was.“
Die Hattingerin weiß zwar noch nicht hundert prozentig, wie sich ihre Zukunft gestalten wird, doch eines weiß sie: „Das Jahr in Frankreich hat mich weltenbummlerisch gemacht und ich werde mir in Deutschland erstmal einen Job suchen, um mir Reisen und Abenteuer während meiner Semesterferien zu erfüllen. Träume kosten nun mal leider Geld. Aber die reichen Erfahrungen sind es mir definitiv wert“.
Die junge Frau ist sich bezüglich ihrer Studienwahl allerdings noch nicht ganz sicher: Entweder soll es Französisch und Politik/Wirtschaft werden oder Erdkunde und Französisch auf Lehramt – beides jeweils an der Ruhr-Universität Bochum.

Autor:

Dr. Anja Pielorz aus Hattingen

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