Gehörlos: "Endlich kann ich mein Kind verstehen"

Die Teilnehmer des Kurses formen gemeinsam mit Silvia Cichy (Bildmitte sitzend), die Gebärde für „Kurs“. Rechts neben ihr ihre Mutter Monika Schäper, ganz rechts im Bild Schulleiterin Cornelia Oesterreich. Foto: Pielorz
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  • Die Teilnehmer des Kurses formen gemeinsam mit Silvia Cichy (Bildmitte sitzend), die Gebärde für „Kurs“. Rechts neben ihr ihre Mutter Monika Schäper, ganz rechts im Bild Schulleiterin Cornelia Oesterreich. Foto: Pielorz
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Silvia Cichy (48) hat einen Partner, zwei erwachsene Kinder und einen Job bei der Stadt Bochum. Also alles ganz normal. Doch Silvia Cichy wurde im Alter von sieben Monaten, vermutlich aufgrund einer Impfung, gehörlos. Auch das Sprechen unterblieb in der Folge des Nichthörens. Der STADTSPIEGEL berichtete im letzten Jahr über die Hattingerin, die sich mehr Kontakte zur Außenwelt wünschte und Teilnehmer und Räume für den Unterricht in der Gebärdensprache suchte. Ihr Wunsch ist mittlerweile in Erfüllung gegangen.

„Ich habe die Geschichte im STADTSPIEGEL gelesen und sie hat mich sehr bewegt. Per E-Mail habe ich den Kontakt zu Silvia Cichy gesucht und jetzt führt sie zur Zeit in den Räumen der Awo-Schule für Logopädie einen Kurs mit 13 Teilnehmern in der Gebärdensprache durch. Nach den Sommerferien startet ein zweiter Kurs. Im laufenden Kurs sind nur weibliche Teilnehmer, viele von ihnen berufsbedingt mit dem Thema Sprache beschäftigt. Im nächsten Kurs werden wir auch einige männliche Teilnehmer haben. Bis jetzt können alle Teilnehmer hören und sprechen und wollen die Gebärdensprache quasi wie eine Fremdsprache erlernen“, erklärt Cornelia Oesterreich, Schulleiterin der Awo-Schule für Logopädie an der Martin-Luther-Straße.
Seit rund zwölf Jahren ist die Gebärdensprache in Deutschland in Gesetzen eine offiziell anerkannte Sprache. „Silvia hat im Alter von acht Jahren durch andere Kinder die Gebärdensprache gelernt. Ich konnte sie bis heute nicht. Wir haben uns natürlich schriftlich verständigt und durch Mimik und Gestik, aber das hat immer wieder auch zu Missverständnissen geführt. Durch meine Teilnahme an diesem Kurs hat sich für uns viel verändert. Ich verstehe zum ersten Mal mein Kind und ich habe sie noch nie so lustig erlebt“, sagt, sichtlich bewegt, Monika Schäper, Silvias Mutter. Das sei damals einfach eine ganz andere Zeit gewesen und Gebärdensprache etwas Exotisches.

Neuer Kurs im Sommer

Heute genießt Inklusion einen höheren Stellenwert in der Gesellschaft. Die Teilnahme von Menschen mit einem Defizit am gesellschaftlichen Leben wird immer selbstverständlicher. Silvia Cichy freut sich darüber, denn das eröffnet ihr mehr Kontaktmöglichkeiten. Sie will einen Stammtisch ins Leben rufen und ist mit Begeisterung bei den Kursen dabei. Auch die Teilnehmer finden das Angebot gut. „Es gibt 16.000 Gebärden, die wir natürlich nicht alle lernen können. Aber manche haben wir im Alltag immer schon eingesetzt, ohne zu wissen, dass es Elemente der Gebärdensprache sind. Der bewusste Einsatz der Gebärden, verbunden mit Mimik und Gestik, ermöglicht uns, mit gehörlosen Menschen zu kommunizieren und das ist sehr spannend“, sagt eine Teilnehmerin.
Silvia Cichy arbeitet mit Tafel und Computer. Das ist vergleichbar mit dem Vokabeln lernen. Sie hat sich auch die Mühe gemacht, Bilder mit den Gebärden und den dazu passenden Worten zusammen zu stellen. Der Kurs läuft seit gut einem Monat einmal in der Woche für neunzig Minuten und hat insgesamt zehn Termine. Die Teilnehmer wiederholen Gelerntes, schauen Silvia Cichy dabei an und gebärden. Sie können sagen, ob es ihnen gut geht, ob sie verstehen oder nicht. „In der ersten Stunde gab es noch einen Dolmetscher, danach nicht mehr. In der Stunde wird nicht gesprochen, sondern die Teilnehmer kommunizieren nur durch Gebärden“, erläutert Cornelia Oesterreich. Und das klappt gut. Zusammen mit Mimik und Gestik wird durch die Gebärde deutlich, was gemeint ist. Alle haben dabei viel Spaß und bringen auch das durch Gebärden zum Ausdruck.
Dabei ist die Gebärdensprache in ihrer Struktur schlichter als die Lautsprache, enthält keine Füllwörter. In der Lautsprache heißt es beispielsweise „Danke, mir geht es gut“. In der Gebärdensprache werden die Gebärden für „Danke, gut“ genutzt.
Silvia Cichy hat sich durch ihre Geschichte im STADTSPIEGEL ihren Wunsch erfüllen können. Doch auch für die Kursteilnehmer ist das Erlernen der Gebärdensprache eine Bereicherung, die sie mit viel Freude absolvieren. Wer an dem neuen Kurs ab 31. August, 18 Uhr (zehn Termine) teilnehmen möchte, kann sich mit der Awo-Schule für Logopädie, Martin-Luther-Straße 13, Telefon 02324/500430, in Verbindung setzen. Dort ist der Anmeldebogen für den kostenpflichtigen Kurs erhältlich.
Kontakt zu Silvia Cichy gibt es über E-Mail unter silvia.cichy@googlemail.com.

Die Teilnehmer des Kurses formen gemeinsam mit Silvia Cichy (Bildmitte sitzend), die Gebärde für „Kurs“. Rechts neben ihr ihre Mutter Monika Schäper, ganz rechts im Bild Schulleiterin Cornelia Oesterreich. Foto: Pielorz
Diese Gebärde verstehen alle. Foto: Menke
Autor:

Dr. Anja Pielorz aus Hattingen

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