Interview mit Düsseldorfs ehemaligem Oberbürgermeister Thomas Geisel
Ein Leben als Oberbürgermeister - und danach

Einweihung der Max Schmeling Straße in Düsseldorf-Benrath am 02.02.2020 mit Oberbürgermeister Thomas Geisel, Box Profi Robert Tlatlik und Andreas Vogt.
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  • Einweihung der Max Schmeling Straße in Düsseldorf-Benrath am 02.02.2020 mit Oberbürgermeister Thomas Geisel, Box Profi Robert Tlatlik und Andreas Vogt.
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Thomas, was geht Dir gerade so durch den Kopf?  Was bewegt Dich?

Persönlich treibt mich die eine oder andere Sorge um, die man so hat, wenn mein Vater von fünf Töchtern, von denen zweieinhalb in der Pubertät sind, ist. Im Moment bin ich dabei, das eine oder andere aus meiner Amtszeit aufzuschreiben, solange die Erinnerung daran noch frisch ist. Außerdem mache ich mir Gedanken, was ich in den nächsten Jahren beruflich machen möchte. Und natürlich bewegt mich die Frage, ob es richtig ist, wie wir mit der Corona Pandemie umgehen. Und ein wenig mitgenommen haben mich auch die jüngsten Ereignisse in den USA. Immerhin habe ich da einmal drei Jahre lang gelebt

Am 19. April 2013 wurdest Du als Düsseldorfer SPD Oberbürgermeisterkandidat der Öffentlichkeit vorgestellt. Hättest Du Dir zu dieser Zeit träumen lassen, einmal den schönsten Job in Düsseldorf als Oberbürgermeister zu machen? Politisch hattest Du bis dahin wenig Erfahrung und kein entscheidendes Amt?

Ja, ganz ehrlich: ich war von Anfang an sehr optimistisch, dass ich zumindest eine Chance habe. Vielleicht lag das ja gerade an meiner fehlenden politischen Erfahrung. Aber, wie das Ergebnis ja letztlich gezeigt hat, hat dieser Optimismus bestimmt nicht geschadet.

2014 wurdest Du Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf. In 6 Jahren hast Du Düsseldorf kennengelernt wie kein anderer Mensch. Was war Dir persönlich für Dein Amt besonders wichtig? Gab es eine ganz besondere Herzensangelegenheit? Wenn ja, konntest Du diese umsetzen?

Natürlich gab es eine ganze Menge Dinge, die ich umsetzen wollte und die ja auch umgesetzt wurden: Schulen, Bäder, Wohnungsbau beispielsweise. Eine Sache die mir aber auch sehr wichtig war, ist, dass unsere Stadt nicht mehr als arrogante „Schickimicki-Bling-Bling-Metropole“ wahrgenommen wird, sondern als die sympathische und solidarische Stadt, die wir wirklich sind. Und das ist nach meinem Eindruck auch ganz gut gelungen. Die Art, wie wir etwa mit der Flüchtlingskrise umgegangen sind, war da gewiss sehr hilfreich.

In diesen sechs Jahren haben Dich die Bürger als innovativen, empathischen Macher für unsere Stadt kennengelernt. Du zeigtest mit der "Licht aus Aktion" eine ganz klare Kante gegen Rechts und hattest immer wieder sehr mutige, kreative Ideen für unsere Stadt. Du wirkst eigentlich nicht wie ein typischer Politiker. Für die Bürger sind typische Politiker mittlerweile sogenannte Amtsinhaber, die ihr Amt lediglich verwalten, nichts falsch machen möchten, andere für ihr Tun verantwortlich machen, langweilig wirken, ihren eigenen Status und Prestige herausstellen und sich selbst feiern, egoistisch sind, polarisieren, Aussitzen, ohne konkrete Ergebnisse für die Menschen zu erwirken. Wie kommst Du überhaupt mit solchen Leuten klar? Du kommst ursprünglich aus der freien Wirtschaft. Da herrscht ein anderes Klima. Da kann man schnell ungeduldig werden?

Na, da sollte man nicht verallgemeinern. Jeder Jeck ist anders und jeder Politiker hat seinen eigenen Stil. Natürlich gibt es zu viele Politiker, die in erster Linie darauf aus sind, Fehler zu vermeiden, und sich an Statussymbolen zu erfreuen. Aber solche Typen gibt es auch in der Wirtschaft. Und man sollte sich lieber nicht darüber aufregen, dass so ein Amtsverständnis manchmal auch Erfolg hat. Nach meiner Erfahrung ist es für den eigenen Seelenhaushalt am besten, so zu sein und zu bleiben, wie man ist, und immer daran zu denken, dass man sich am nächsten Morgen auch noch im Spiegel anschauen können mag.

In sechs Jahren hast Du eine Menge in Düsseldorf erlebt, darunter ernsthafte Probleme wie die Folgen des Orkans ELA, Flüchtlingskrise und Corona. Was war für die die größte, für Dich verantwortliche Herausforderung, welche Dir schlaflose Nächte bereitet hat und wie bist Du damit umgegangen?

Ehrlich gesagt: Schlaflose Nächte hatte ich eigentlich nie. Da half mir die Begabung, abschalten zu können, und wahrscheinlich war ich abends, wenn ich – meistens recht spät – ins Bett gegangen bin, einfach auch zu müde.
Belastend fand ich die eine oder andere Ratsdebatte, insbesondere zur Tour de France. Bei aller Sympathie für sachliche Kritik wurden hier bisweilen die Grenzen zur persönlichen Diffamierung überschritten.

Was war das definitiv schönste Erlebnis für Dich als Oberbürgermeister? Was oder wer hat Dich in Düsseldorf besonders positiv inspiriert?

Es gab viele schöne und bewegende Erlebnisse in meiner Zeit als Oberbürgermeister. Ein Highlight war natürlich die Tour der France mit dem Einzelzeit fahren an dem Kraftwerk-Konzert am Abend. Bewegend fand ich auch die Kirmeseröffnung 2016 einen Tag nach dem schrecklichen Terroranschlag von Nizza, zu der die „Marseillaise“ gespielt wurde und die ganze Festwiese in den Farben der Trikolore erstrahlte. Inspiriert haben mich insbesondere die vielen Menschen, die sich in unserer Stadt ehrenamtlich engagieren, etwa in Initiativen und Projekten wie fifty-fifty, vision.teilen oder #tues.

Was war das definitiv negativste Erlebnis für Dich als Oberbürgermeister?

Sehr belastend empfand ich die Tage nach dem vorsätzlich herbeigeführten Absturz der EuroWings-Maschine im März 2015. Da war es schwer, wieder zur Tagesordnung überzugehen.

Welchen Menschen bewunderst Du und welchen Menschen würdest Du gerne einmal zum persönlichen Austausch treffen?

Natürlich gibt es bedeutende Persönlichkeiten, die ich bewundere: Nelson Mandela, Willy Brandt, Mutter Teresa, Dietrich Bonhoeffer, um nur einige zu nennen. Aber genauso bewundere ich die Helden des Alltags: einfache Menschen, die selbst kämpfen müssen, um über die Runden zu kommen und dennoch ein großes Herz für ihre Mitmenschen haben.

Als Oberbürgermeister warst Du extrem sehr bürgernah und stets präsent bei den Bürgern vor Ort. Aber Du warst nicht nur präsent, sondern hattest auch immer ein offenes Ohr für die Menschen mit ihren Problemen, aber manchmal auch Luxusproblemchen. Ist es dabei nicht wahnsinnig schwierig, denn man kann es ja wirklich nicht allen Recht zu machen?

Eines ist in diesem Amt besonders wichtig: Man muss lernen, auch Nein sagen zu können. Das gilt insbesondere für die von dir erwähnten Luxusproblemchen, von denen es in Düsseldorf auch eine ganze Menge gibt. Natürlich konnte ich mich nicht um alles kümmern, was persönlich an mich herangetragen wurde. Allerdings gab es auch das eine oder andere Anliegen, das ich manchmal eher zufällig aus dem Berg von Post, der mich täglich erreicht hat, ausgewählt habe, und um das ich mich dann persönlich gekümmert habe. So bleibt man zum einen dran an den Themen, die den Bürgerinnen und Bürgern auf den Nägeln brennen, und kann sich einen Eindruck von der Arbeit „seiner“ Verwaltung verschaffen.

Wie hast Du das geschafft, die Probleme und zahlreiche Arbeit Deines Amtes nicht mit nach Hause zu nehmen? Ist "Gelassenheit" dabei eine besondere, zu erlernende Disziplin?

Ich habe zwar jeden Tag eine ganze Menge Arbeit mit nach Hause genommen, die ich dann allmorgendlich zwischen 4:30 Uhr und 7:30 Uhr erledigt habe, aber ich habe zum Glück die Gabe, abschalten zu können. Zu Hause bei meiner Frau und meinen Kindern war ich nicht Oberbürgermeister, sondern ziemlich normaler Familienvater.

Als Politiker kann man es nicht jedem Recht machen. Es bedarf einer klaren Struktur, Regeln aber auch eigene Entscheidungen zu treffen, auch wenn diese nicht in diesem Moment besonders populär sind. Gibt es da ein Beispiel, wo Du Dir gedacht hat "Bis hierhin und nicht weiter"?

Natürlich gibt es in diesem Amt immer wieder Situationen, wo man auch Kompromisse mit eigenen Überzeugungen machen muss. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist vielleicht das Video mit dem Rapper Farid Bang. Natürlich kann ich verstehen, dass viele diese Musikrichtung und ihre Texte als abstoßend und widerwärtig empfinden. Ich bin auch kein Fan davon. Ich habe am Schluss dem Druck nachgegeben und das Video gelöscht. Im Nachhinein bin ich nicht sicher, ob das richtig war. Auch Farid Bang und seine Fans gehören zur Vielfalt in unserer Stadt, die man eben nicht immer nur „feiern“ kann, sondern manchmal auch ertragen muss. Und mit seinem Video hatte er sich in den Dienst einer guten Sache gestellt; dafür hätte er eigentlich Anerkennung statt Ablehnung verdient gehabt.

Würdest Du Dich in Zukunft wieder um ein politisches Amt bewerben? Gibt es einen Plan für die nächsten Jahre?

Ich wüsste im Moment nicht, um welches politische Amt ich mich bewerben sollte. Immerhin habe ich sechs Jahre lang eines der schönsten Ämter, die ich mir vorstellen kann, ausgeübt. Aber ich bleibe natürlich ein politischer Mensch. Konkrete Pläne für meine berufliche Zukunft habe ich im Moment noch nicht. Ich freue mich, dass ich eine ganze Reihe von Anregungen und Angeboten diesbezüglich bekommen habe. Ich habe vor, mich für solche Themen und Bereiche zu engagieren, an denen ich Spaß habe und wo ich mit Blick auf meine Ausbildung und Erfahrung einen Unterschied machen kann.

Wer wird im Oktober 2021 Bundeskanzlerin oder Bundeskanzler?

Ganz ehrlich? Ich schätze – man könnte auch sagen: ich befürchte –, es bleibt alles beim alten: auch 2021 heißt die Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Wie bewertest Du die Zukunft der Landeshauptstadt Düsseldorf gerade in Zeiten der Corona-Pandemie? Was müssen wir tun, um eine attraktive Metropole mit Herz zu bleiben?

Ich bin überzeugt, Düsseldorf ist eine so attraktive Stadt, dass ihr auch Corona nichts anhaben kann. Wichtig aber ist, dass diese Stadt neugierig bleibt und ihren Appetit auf das Neue, auf Fortschritt, Innovation und Veränderung nicht verliert. Ich habe einmal in einer Haushaltsrede gesagt, wer glaubt, wenn wir nichts ändern, ändert sich nichts, ist auf dem Holzweg. Stillstand ist Rückschritt und das Rezept für die Erfolgsgeschichte unsere Stadt war immer schon Offenheit und Neugier für Veränderung. Das dürfen wir nicht verlieren.

Abschließend: Du bist mit Deiner Familie seit 2003 waschechte Düsseldorfer. Für welche Tugenden steht für Dich der "typische Düsseldorfer"? Was macht den "Düsseldorfer" eigentlich aus und wie unterscheidet er sich beispielsweise vom Schwaben?

Wir haben uns in Düsseldorf von Anfang an wohl gefühlt, weil man sich hier willkommen fühlt, schnell Kontakte knüpfen und mit den Menschen ins Gespräch kommen kann, und dennoch in einer Metropole lebt, die unterschiedliche Lebensentwürfe zulässt und wertschätzt. Insofern trifft der Claim des Stadtmarketings durchaus den Punkt: Hier trifft Nähe auf Freiheit! Dies habe ich in meiner schwäbischen Geburtsheimat manchmal anders erlebt.

Thomas, danke für das interessante Gespräch!
Dir und Deiner Familie alles Liebe und Gute.

Das Interview mit Herrn Thomas Geisel führte der Düsseldorfer Bürger Andreas Vogt am 17. Januar 2021.

Anfangs, als Thomas Geisel zum Oberbürgermeisterkandidaten nominiert wurde, war Vogt noch sehr skeptisch. Diese Skepsis legte sich sehr bald. Beruflich, Ehrenamtlich und in seiner Freizeit begegneten sich Andreas Vogt und Thomas Geisel in den letzten Jahren sehr oft, lernten sich kennen und es entstand eine Freundschaft. Nicht immer waren sie einer Meinung, stritten, diskutierten und suchten nach Kompromissen, wie beispielsweise rund um das Thema „Baumschutz und das geplante Open Air Gelände am Rheinstadion“.

Autor:

Andreas Vogt aus Düsseldorf

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