Gut behütet

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Tragen Sie noch Hut?
Herr Müller trägt Hut. So einen großen mit riesiger Krempe. Die Kollegen belächeln ihn, doch er steht zu seinem Hut. Sie passen auch zusammen, der Hut und Kollege Müller.

Nicht viele meiner männlichen Kollegen tragen noch einen Hut. Früher war das anders. Da gehörte der Hut zum guten Ton. Mein Vater trug immer Hüte. Wenn er des Morgens zur Arbeit fuhr, war sein letzter Handgriff der zum Hut, danach bekam meine Mutter den Abschiedskuss. Mit Hut, obwohl es ja ungehörig war, denn beim Zusammentreffen mit einer Dame hatte Mann den Hut zu lüften. So tat es Vater während des Sonntagsspaziergangs mit dem Sonntagshut, wenn uns die Damen aus dem Dorf begegneten.
Einige der damaligen Exemplare besitzt er heute noch, er hat sogar noch einen Zylinder im Kleiderschrank.

Auch meinen Großvater sah ich oft mit Hut. Er besaß ein ganzes Sortiment Strohhüte, die er nicht nur im Urlaub trug, sondern auch zu Hause auf seinen Spaziergängen in der Umgebung. Es war eben üblich, dass die Männer einen Hut trugen wenn sie aus dem Haus gingen.

Stelle man sich doch Joseph Beuys ohne Hut vor. Unmöglich. Auch Humphrey Bogarts Charakterkopf ist ohne Hut nicht denkbar. Udo Lindenberg oben ohne – nie gesehen.

Aber auch in Mutters Kleiderschrank befanden sich einige solcher Kopfbedeckungen, oben auf der Hutablage, die früher ja Bestandteil jeder Garderobe war.
Mutter tat sich schwer mit Hüten. Sie habe kein Hutgesicht, betonte sie immer, und der Hutkauf war eine Tortur. Doch bei Familienfesten wie Kommunion oder Hochzeit war das Tragen eines Hutes unumgänglich, zumindest in der Kirche.
Hut und Frisur in Einklang zu bringen, war eine Kunst für sich. Saß der Hut, war die Frisur zerstört, war die Frisur gut, passte der Hut nicht mehr drauf.

Hüte, die nicht mehr getragen wurden, kamen in eine Kiste. Denn einige Wochen vor Karneval lief meine Großmutter zu Hochformen auf. Mit Seidenblumen, Tüllresten und allem was die Fantasie zuließ verwandelte sie die ausrangierten Kopfbedeckungen in wundervolle Accessoires für die alten Weiber am Wieverfastelovend. Keine Plastikblume, kein Samtbändchen oder Kunststoffvögelchen wanderte in den Mülleimer, nein alles kam in den Fundus. Sie hätte wirklich das Zeug zur Putzmacherin gehabt. Was hatte ich als Kind eine Freude, wenn die Cousinen meiner Mutter zur Anprobe erschienen und wie Models auf dem Laufsteg durch die Küche schritten, immer ein anderes Prachtstück auf dem Kopf.

Meinen ersten Hut besaß ich bereits als Baby. Es war ein Herrentaschentuch, mit Knoten an allen vier Ecken, das mich vor der Sonne schützen sollte.
Zu den Karnevalskostümen in meiner Kinderzeit gehörte auch immer eine Kopfbedeckung. Mal war es der Schwarzwaldhut mit den roten Bollen, mal ein Häubchen wie es Frau Antje trägt oder aber der klassische Cowboyhut.

Zwei Strohhüte nenne ich heute mein eigen, einen schwarzen und einen strohfarbenen. Sie leisten im Sommer gute Dienste, sei es im Biergarten oder beim Open-air-Konzert.
Zwei „richtige“ Hüte habe ich aus Schwiegermutters Nachlass übernommen. Ich gestehe jedoch, dass mir meist der Mut fehlt, sie zu tragen. Sie kamen bislang nur zu ein paar Gelegenheiten zum Einsatz, wenngleich ich mich mit Hut nicht unwohl fühle.
Sozusagen sogar ein wenig behütet.

Autor:

Birgit Schild aus Düsseldorf

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