Das Stahlbuch der Stadt Essen - eine kriegerische Hinterlassenschaft aus der nationalsozialistischen Diktatur

18. April 2012
12:00 Uhr
Rathaus Essen, 45127 Essen
Das Essener Stahlbuch aus der Nazi-Zeit - hier in nochmal in erschlagender Übergröße in einer Ausstellung ( Mai 2019) vor dem Ratshauseingang. Mit freundlicher Völkerverständigung hatte dieses Buch in den ersten 11 Jhare seiner Geburt nichts zu tun. | Foto: Walter Wandtke
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  • Das Essener Stahlbuch aus der Nazi-Zeit - hier in nochmal in erschlagender Übergröße in einer Ausstellung ( Mai 2019) vor dem Ratshauseingang. Mit freundlicher Völkerverständigung hatte dieses Buch in den ersten 11 Jhare seiner Geburt nichts zu tun.
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Viele Großstädte im Ruhrgebiet leiden weiterhin darunter, dass sie verwechselbar erscheinen und Ehrengäste aus der großen weiten Welt kaum Unterscheidungspunkte finden, ob sie nun in den Einkaufsstraßen von Bochum, Essen oder Duisburg flanieren.
Zum Glück hat Essen hier mindestens drei Alleinstellungsmerkmale:
Wir besitzen immer noch Deutschlands höchstes Rathaus. Wir haben ein Weltkulturerbe Zeche Zollverein und nur wir haben statt eines Goldenen Buchs der Stadt, seit 1934 ein Stahlbuch. Warum die Stadtväter vordem nie auf die Idee verfallen sind, sich ein Goldenes Buch zuzulegen, wäre eine eigene Untersuchung wert. Auf jeden Fall besteht aller Grund zum Zweifel, dass unsere Stadt auf dieses Stahlbuch stolz sein darf.

Ein nationalsozialistisches Ehrenbuch

Tatsächlich sprechen viele Argumente für die Abschaffung dieses nationalsozialistischen Ehrenbuchs aus den Anfängen des Dritten Reichs. Bereits der frühere sozialdemokratische Essener Kulturdezernent Dr. Wilhelm Godde und langjährige Weggefährte von Gustav Heinemann hatte sich in einem vor 12 Jahren veröffentlichten Buchaufsatz darüber beschwert, dass Essen weiterhin dieser martialischen Erfindung eines Nazi-Oberbürgermeisters huldigt.
Dieses Stahlbuch der Stadt Essen, verfertigt natürlich aus feinstem Kruppschen Edelstahl, wurde 1934 ausdrücklich angelegt, um symbolisch mit dem Dritten Reich eine „ neue Epoche der Stadt“ einzuläuten. Auch ein Jahr später, auf dem Reichsparteitag 1935 kam die besondere liebe Adolfs Hitlers für den Kruppstahl zu Ehren: „Die deutsche Jugend muss,flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl werden.“ Für eine Ruhrmetropole im „Tausendjährigen Reich“ war Gold da natürlich ein viel zu weiches Material.


Zur Eröffnung Hitler und Göring

Im Juni 1934 war das Stahlbuch auf Anregung des ersten nationalsozialistischen Essener Oberbrügermeisters Dr. Theodor Reismann-Grone anläßlich der Stadtbesuche der damaligen Essener Ehrenbrger Adolf Hitler und Hermann Göring eingeführt worden. Der bisherige Stolz der Stadtwerbung über das bundesrepublikanische Alleinstellungsmerkmal eines Stahlbuchs könnte kurzfristig schrumpfen, wenn einmal Ehrengäste der Stadt erfahren sollten, dass sie mit ihren Stahlbucheintragungen eine faschistische Tradition weiterführen.
Die Gründe dafür wären nicht aus der Luft gegriffen. Wir zitieren den Eintrag für den 28. Juni 1934 aus der Chronik des Stadtarchivs über Hundert Jahre Großstadt "Vom Kaiserbesuch zum Euro-Gipfel":

„Auf Anregung von Oberbrügermeister Theodor Reismann-Grone wird als Gästebuch der Stadt ein Stahlbuch angelegt, da die Stahlstadt Essen und die eiserne Zeit kein Goldenes Buch dulde. Für den Einband wurden Stahlplatten verwandt, die bei der Firma Fried. Krupp aus einem 1500 Kg wiegenden, gegossenen Block aus nichtrostendem Chrom-Nickel-Stahl herausgearbeitet wurden.“

Braune High-Society-Hochzeit

Die ersten Eintragungen werden anläßlich der Hochzeit des Essener NSDAP-Gauleiters Josef Heinrich Terboven zelebriert. Terboven, der im zweiten Weltkrieg zum Reichskommissar des von der deutschen Wehrmacht besetzten Norwegen ernannt wird, tritt bereits 1923 der NSDAP bei und gründet 1925 deren Essener Ortsgruppe. Am 29. Juni 1934 heiratet Josef Terboven in der Essener Münsterkirche Ilse Stahl, eine ehemalige Sekretärin von Propagandaminister Josef Goebbels. Terboven ist ein alter brauner Kämpfer, der schon 1923 am fehlgeschlagenen Münchener Hitler-Ludendorff- Putsch teilgenommen hatte. Jetzt wird dem prominenten Nazi die Ehre zuteil, dass sowohl Reichskanzler Adolf Hitler, wie der preußische Ministerpräsident Hermann Göring an seiner Hochzeit als Trauzeugen teilnehmen.
Oberbürgermeister Theodor Reismann-Grone, der schon vor 1933 als einflussreicher Chefredakteur der in Essen erscheinenden RWZ, der Rheinisch-Westfälischen Zeitung die Kanzlerschaft Hitlers gefordert hatte, glaubt hier einen historischen Moment zu erkennen:
"Wenn heute zu diesem hochzeitlichen Fest Sie, mein Führer erschienen sind, mit ihren alten getreuen Gefolgsmannen, vor allem mit Ihnen, Herr Ministerpräsident Göring, wenn wir so die beiden Ehrenbürger der größten Metallstadt Deutschlands gleichzeitig begrüßen dürfen, so setzt sich für uns heute diese stattliche Reihe der kaiserlichen erlauchten Besuche fort, welche für die Stadt ein Ruhm und für die Geschichte ein Ereignis sind. Um diese Stunde in etwa festzuhalten, hat die Stadt Essen heute ein Gästebuch begonnen.
Es soll Ausdruck dafür sein, dass heute mit dem Dritten Reich und diesem Buch eine neue Epoche der Stadt eingeläutet wird."

Epochale Zerstörung in 12 Jahren

Tatsächlich hatte sich Essen und ganz Deutschland dann in wenigen Jahren Essen völlig gewandelt. Millionen von Menschen waren ermordet worden, weitere Menschen und ganze Stadtviertel dem Bombenkrieg zum Opfer gefallen. Die großen und modernen Kruppschen Stahlwerke in Essen werden nach 1945 als Reparationskosten der Kriegschäden ehemals besetzter Länder demontiert. Nur das Stahlbuch selbst besteht nach vielen weiteren Einträgen nationalsozialistischer Würdenträger, befreundeter faschistischer Diplomaten aus Italien oder einer japanischen Olympiamannschaft und vieler Ritterkreuzträger der Wehrmacht, wohl gesichert viele Bombardements und das Kriegsende im Frühjahr 1945.

Neustart des Stahlbuchs mit Bundespräsident Theodor Heuss

Acht Jahr später holt Essens CDU-Oberbrügermeister Dr. Hans Toussaint das Stahlbuch wieder aus dem städtischen Magazin und lässt die vielen Schmuckseiten für nationalsozialistische Funktionäre heraustrennen. Der Neustart des Stahlbuchs beginnt nach der Kriegsunterbrechung dann 1953 mit dem Eintrag von Bundespräsident Theodor Heuss.
Allerdings blieb ein bisschen Erinnerung an Hitler-Deutschland damit doch erhalten. Theodor Heuss hatte als Reichstagsabgeordneter der liberalen "Deutschen Staatspartei" der Selbstentmachtung des Parlamentes zugestimmt. Mit seinem Votum für das sogenannte rmächtigungsgesetz vom 24. März 1933 hatte er mit dafür gesorgt, dass dann 12 Jahre lang Adolf Hitler und die NSDAP ihre diktatorische Alleinregierung scheinbar legal aufrecht erhalten konnten.

Fast sechzig Jahre nach der Wiederauflage der anachronistischen Stahlbuch-Tradition sollte es aber möglich sein, auch in der Stadt-Repräsentation die Epoche der stahlharten braunen Diktatur in den historischen Giftschrank zu legen, ohne sie damit verschweigen zu wollen. Eigentlich müsste doch immer, wenn z.B. ein norwegisches Königspaar oder Städtepartnerschaftsgäste aus Tel Aviv, Nishni Novgorod, Sunderland oder Grenoble Unterschriften in das Stahlbuch von 1934 setzen, dessen Gründungsgeschichte einen dicken Strich durch die schöne Feier machen.

Gestaltungswettbewerb für ein Gästebuch im 21. Jahrhundert

Aber all zu oft denken wohl auch Stadtväter nach der Devise, was meine Gäste nicht wissen, macht sie nicht heiß. Trotzdem sind Art und Weise der Stadtrepräsentation und ihrer geschichtlichen Ursprünge immer wieder zu überprüfen, ob sie heutigen moralischen Ansprüchen noch standhalten.
Völkerfreundlicher als ein kaltglänzendes Stahlbuch wäre stattdessen ein öfffentlicher Wettbewerb, vielleicht mit Hilfe des Design-Zentrum NRW oder der Gestaltungsfachbereiche der Universität Duisburg-Essen. Die Frage, wie im Jahr 2012 ein in Geist, Form und Material neues Gästebuch der Stadt Essen aussehen kann, könnte vielleicht sogar mit einem neuen „Alleinstellungsmerkmal“ für Essens Stadtmarketing beantwortet werden.
Gerade das Ehrenbuch unserer Stadt hätte zu zeigen, dass wir die Vergangenheit als Rüstungsschmiede des Deutschen Reichs hinter uns gelassen haben. Eine Ruhrstadt Essen immerhin ( die Thyssen/Krupp Hauptverwaltung möge es mir verzeihen), in der seit Jahrzehnten weder Stahl gekocht, noch Kohle gefördert wird und die sich als international offene Metropole sieht.

Stadtjubiläum und gescheiterter Grüner Ratsantrag

Im Jahr 2002 feierte Essen die Stadtgründung vor 1150 Jahren. Dabei wurde immer wieder beschworen, der Generationen alte Kohlenstaub sei lange abgeschüttelt und die Industrie-kathedrale, unser Weltkulturerbe Zeche Zollverein erzähle von weit zurückliegender Malocherge-schichte .
Die Erinnerung an Essen als selbsternannte "Rüstungsschmiede des Reichs", die während der 12 Jahre Nazi-Diktatur auch gern genutzter Schauplatz für großangelegte nationalsozialistische Inszenierungen neuer Ordnung und Staatsmacht war, passte weniger in die Kulturfeste des Stadtjubiläums.
Die Tradition des Stahlbuchs durch etwas besseres zu ersetzen, hätte bereits vor dem Stadtjubiläum 2002 ein kleiner, aber positiver Schritt sein können.
„Anlässlich der 1150 Jahrfeiern zur Stadtgründung Essens im kommenden Jahr werden die Eintragungen von Ehrengästen in das Stahlbuch beendet. Stattdessen wird eine zeitgemäße, nicht vom nationalsozialistischen Geist der dreißiger Jahre bestimmte neue Form des Gästebuchs der Stadt entwickelt.“
Leider wurde dieser Antrag der Ratsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen, die national-sozialistische Tradition der Stahlbucheintragungen für Ehrengäste der Stadt Essen zu beenden, im November 2001 in den Ältestenrat abgeschoben und dort beerdigt.
Braune Streifen der Stadtgeschichte sind aber nicht damit zu entsorgen, in dem nur einige ehrenwerte und kritische stadtgeschichtliche Publikationen in Druck gegeben werden, die dann ein sehr spezielles Fachpublikum erreichen.
Kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte bedeutet auch, einen für die breite Öffentlichkeit erkennbaren symbolischen Neuanfang zu setzen.
Selbst neun Jahre später, als im Jahr 2010 Essen und das ganze Ruhrgebiet sich als Europas Kulturhauptstadt feierte, gingen die Eintragungen in Essens Stahlbuch ungerührt weiter.

Bevor sich 2013 die Wiederauflage des Stahlbuchs zum sechzigsten Mal jährt, wäre es überfällig, das Stahlbuch endgültig ins Archiv zu verbannen. Jetzt endlich müssten wir doch demokratisch- friedlichere Ideen für unser Gästebuch entwickeln wollen.

Walter Wandtke

Autor:

Walter Wandtke aus Essen-Nord

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