Jetzt mal Hochdeutsch 2

Wer war der Herr von Masoch?

…oder wo wird Höflichkeit therapiebedürftig?

Entschuldigen Sie, bitte, dass ich geboren bin! Dieser Satz noch, dann wäre ich komplett gewesen. Niemals hätte ich vor meiner Therapeutin Platz genommen, niemals hätte ich auf Einhaltung der vereinbarten Zeit bestanden, ja, wenn wildfremde Damen ins Wartezimmer kamen, stand ich auf um sie zu begrüßen.
An der Kasse im Supermarkt ließ ich klaglos jeder telefonierenden Kundin
mit und ohne Schreihals den Vortritt, und im Bus überließ ich wie selbstverständlich oft den telefonierenden Abiturientinnen meinen Sitzplatz. Meine Therapeutin rang Hände und Füße – was mir die Höflichkeit, der Anstand gebot, nannte sie Anzeichen von Selbsterniedrigung. Ob ich schon mal was von Masochismus gehört hätte.
Nun kenn ich mich im österreichischen Adel nicht sonderlich aus….
Auf dem Gehweg vor mir schieben zwei Damen nebeneinander ihren Nachwuchs im Kinderwagen, beide rauchend, beide telefonierend, wie es aussieht sogar miteinander. Der entgegenkommende Herr hinterm Rollwagen weicht ihnen notgedrungen in eine Hofeinfahrt aus bevor sie ihn zur Strecke bringen. Ich biege in eine Seitenstraße ab und nehme einen Umweg von zwei Kilometern gern in Kauf – wer bin ich, dass ich die Damen unterbrechen dürfte? Auf dem Gehweg kommt mir hier ein Vater mit seinem Kleinen vor sich auf dem Fahrrad entgegen, zwar auf der falschen Seite, aber zumindest führt er seinen Labrador neben dem Rad an der Leine, so dass ich kurz auf die Straße ausweichen muss, was ein schrilles Reifenknirschen und neben einem Hupmordversuch auch eine Erweiterung meiner Sammlung „Bezeichnung für Senioren“ verursacht, Ich entschuldige mich beschämt und gestenreich und trolle mich vondannen.
Auf dem ca. 2 m breiten Deich durch das Altrheingebiet war ich mit meinem Wanderfreund und mit meinem Hund unterwegs, notgedrungen und dennoch bereitwillig hintereinander gehend, denn es wuselten uns ungezählte Frauen an Teleskopstäben ums Geläuf, von vorn von hinten und grundsätzlich in Gefechtsformation, d.h. mindestens zwei nebeneinander, bei dreien trat ich auch gern schon mal zwischen die Herkulesstauden beiseite. Um nichts in der Welt würde ich mich der körperlichen Ertüchtigung älterer Menschen entgegen- oder in den Weg stellen.
Nach einer halben Stunde waren die Nordwanker weg vom Deich, denn nun war das Zweirad angesagt: die Rennausführung, windschnittig und ohne jeden Schnickschnack wie Klingel, dazu kamen die geländegängigen Ausführungen – beide im Wettbewerbstempo aber einzeln; dazu die Tourenräder mit und ohne E-Unterstützung, meist paarweise unterwegs und mit Satteltaschen versehen, als wäre eine Wohnungsauflösung im Gange, und grundsätzlich nebeneinander. Obwohl wir bereits zwischen Indischem Springkraut und Brombeerranken uns einen Weg bahnten, wurden wir durch Brüllen, im günstigsten Fall Rufen, auf unsere Unerwünschtheit als Hindernisse hingewiesen. Wir trugens lange mit Gleichmut, hatten wir uns doch auf den Spaziergang gefreut, ja, wir erwiderten die Bemerkungen der Radler mit freundlichem Guten Tag.
In den Kämpen ist alles etwas weniger eng – da fuhren sie dann auch zu dritt oder viert nebeneinander – und wir legten eine kleine Pause ein, und während ich meinem Hund ein paar Leckerchen gönnte, wuchs in mir die Frage: Wie hieß nochmal dieser Ritter in Österreich?

Autor:

Paul Scharrenbroich aus Monheim am Rhein

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