Im Sommer verkauft Remona Tingelhoff zum letzten mal Kuchen und Kaffee
22 Jahre Café "Zur Alten Post"

22 Jahre war das Café "Zur Alten Post" eine feste Größe für Gäste auch über Unnas Grenzen hinaus und vor allem ein Treffpunkt für soziales Miteinander. | Foto: Stefan Reimet
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  • 22 Jahre war das Café "Zur Alten Post" eine feste Größe für Gäste auch über Unnas Grenzen hinaus und vor allem ein Treffpunkt für soziales Miteinander.
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Die Rente hätte sie eigentlich längst durch, doch das Leben im Café „Zur Alten Post“ ist ihr ans Herz gewachsen und das doppelte Schnapszahl-Jubiläum nimmt sie noch mit. Exakt 22 Jahre ihres Lebens stellte Remona Tingelhoff(66) in den Dienst der Kundschaft und Besucher. Aber leider: Nun backt sie den letzten Kuchen für ihre Kundschaft und schließt das Café zur Jahresmitte. „Ein Drittel meines Lebens habe ich hier verbracht, jetzt beginnt ein neuer Abschnitt“, gesteht sie mit Wehmut ein. In denkbar schwieriger Zeit sucht sie einen Nachfolger(in).

Fortzudenken war das Café am Marktplatz in Königsborn nie. Am 5. Februar 1999 eröffnete Remona Tingelhoff, nachdem das Leben sie auf Umwegen in die Hellwegstadt geführt hatte. Denn geboren wurde sie in Pforzheim, am Rande des Schwarzwald. Dort liegt auch der Ursprung für das Credo „Alles Selbstgebacken“. Ihre Großmutter betrieb eine Bäckerei, die Mutter kochte gerne und Remona träumte als Kind davon, die Bäckerei durch ein Café zu erweitern und zum Treffpunkt ihres Dorfes im Schwarzwald zu machen.
Morgens Uni - Abends Café
Als Industriekauffrau zog sie der Liebe wegen in den Ruhrpott, schließlich nach Unna, arbeitete hier in einem Kindergarten und machte eine Ausbildung zur Erzieherin. Ihre Kinder waren „aus dem Gröbsten“ heraus, da absolvierte sie ein Studium der Sozialpädagogik. Thema der Abschlussarbeit: „Soziales Leben in Kaffeehäusern früher und heute“.
Am Markt Königsborn stand zu der Zeit die Poststelle viele Jahre leer, drohte zu verfallen. Und Remona Tingelhoff, Mutter von drei Kindern, träumte vom eigenen Café. Der Übergang von der Uni zur Selsbtändigkeit hätte kürzer nicht sein können: Morgens schrieb sie die letzten Sätze der Diplomarbeit, nachmittags hielt sie die Schlüssel zum Ladenlokal in der Hand. Mit viel Leidenschaft renovierte sie den etwa 100 Quadratmeter großen Gastraum, brachte mit alten, teils antiken Möbelstücken ein besonderes Flair in die hellen Räumlichkeiten. Lokalen Künstlern und Musikern einen Platz zu bieten und Gästen bei Kaffee und Kuchen Gemütlichkeit zu vermitteln stand im Mittelpunkt. Ein „Kessel Buntes“ war das Kulturangebot: Vorträge über FengShui oder Schimmelbefall, Heilpraktiken aus Afrika oder 2 CV-Enten-Treffen. Zahlreiche Fans des Kultmobils aus der Umgebung trafen sich hier. Bis vor einigen Jahren parkte regelmäßig ihr eigenes Modell vor dem Café, bis heute kutschiert sie damit ihre Enkelkinder.
Kulturtreff
Für jedes Quartal stellte Remona Tingelhoff ein Kulturprogramm zusammen; Bilderausstellungen, oft zehn Stück pro Jahr, für viele Künstler ihre erste überhaupt. Künstler aus der Hellwegregion gaben sich ein Stelldichein: Simone Fleck, Markus Asmus, Peter Trautner, Anne-Katrin Schlegel, Ilona Hetmann, Raimon Weber, Bettina Lecking, Linda Peloso oder Paula Overbeck. Im siebten Jahr begrüßte sie die Gäste im Stile von "Bad Königsborn" - Wohlfühlen im stressfreien Ambiente mit reichhaltigem Frühstück in liebevoll dekorierter Atmosphäre. Und zum 10. Geburtstag stellte sie ein zeitloses Motto des Schriftstellers Alfred Polgar in den Mittelpunkt:"Lebenskünstler ist, wer seinen Sommer so lebt, daß er ihn im Winter noch wärmt."
Soziale Institution
Zwischen Antikem und Trödel, Literatur, Malereien und Kuchenvitrine, das war Remona Tingelhoffs Heimat. Und immer wieder die Kontakte und Gespräche mit den Königsbornern und Gästen aus der Region. Mancher reiste aus Dortmund an, um sich frischen Kuchen in der angenehmen Atmosphäre schmecken zu lassen. Zum 15. Geburtstag des Cafés sagte sie: „Es steckt eine Menge Koordination dahinter. Doch ich habe mit Kunst und Künstlern zu tun, handle mit Antikem und habe viele nette Gäste. Das ist ein angenehmes berufliches Umfeld.“ Mit dem Kult-Café schließt eine soziale Institution am Markt Königsborn, die selbst der Coronakrise mit ganzer Kraft trotzte. Zum 30. Juni oder früher sucht sie eine Nachfolge, „die trotz Corona den Mut hat weiterzumachen oder neu zu beginnen“. Bis zum letzten Tag bietet Remona Tingelhoff selbstgebackenen Kuchen und Kaffee to go an und Besucher können sich in der aktuellen Ausstellung umsehen. Am 7. Februar hätte sie gerne mit Gästen angestoßen, der Lockdown macht einen Strich durch die Rechnung. "Es ist fruchtbar, ich bin traurig", erklärt Remona Tingelhoff. Nicht nur die Königsborner werden das Kultur-Café vermissen.

Info
„Zur Alten Post“ ist geöffnet Mi. bis So., 14.30 bis 17 Uhr und erreichbar Tel. 02303 963495. Den 22. Geburtstag nimmt Remona Tingelhoff zum Anlass und gibt ab dem 10. Februar einen Jubiläums-Rabatt auf Alles, außer Bilder, Bücher und Speisen.

Autor:

Stefan Reimet aus Holzwickede

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