Starke Frauen: Else Willnecker
"Es war immer nur schön!"

Else Willnecker blickt auf hundert glückliche Lebensjahre zurück. | Foto: Dunja Vogel
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Ihre Gäste schon in der Eingangshalle zu begrüßen, lässt sich Else Willnecker nicht nehmen. Obwohl sie allen Grund dazu hätte, mit hundert Jahren in ihrem Zimmer in der Senioreneinrichtung St. Elisabeth in Spellen sitzen zu bleiben und zu warten, bis ihre Pflegerin den Besuch zu ihr bringt. Aber dies würde nicht zu ihrer Einstellung passen, dass man auch in ihrem Alter noch ein „relativ normales Leben nach seinen Möglichkeiten“ führen sollte. Also wartet sie bereits.

Bis Anfang dieses Jahres lebte sie noch allein in einem großen Haus mit Garten. Weil „ihre Beine nicht mehr mitmachen“, sitzt Else Willnecker jetzt im Rollstuhl. Oder: „Wie das Leben einem so mitspielt“, wie sie später sagt. Ihre Augen sind wach und strahlen – sie könnte Anfang achtzig sein. Mit fester Stimme und einem Lächeln begrüßt sie mich freundlich.

Alle versorgt

Gedanken an das Altern schrecken uns oft ab. Wenn es um Hundertjährige geht, ist es eigenartigerweise ganz anders: Ihr Alter bekommt einen Glanz, weil ihre Erfahrungen sie gelehrt haben, welche Werte im Leben wirklich zählen und was es für ein gutes Leben braucht.
In Else Willneckers Geburtsjahr 1922 kehren die letzten Kriegsgefangenen des Ersten Weltkriegs aus Frankreich heim. Mit 14 Jahren verließ sie die Schule. Kümmerte sich um ihre fünf Jahre jüngere Schwester, kochte für die Familie und half im Kartoffelgroßhandel ihrer Eltern mit. Damals lebten sie in einem Vorort von Mainz, ihre Großeltern in Wiesbaden. „Ich habe jeden Morgen gekocht und bin dann mit dem Bus zu meinen Großeltern gefahren, um sie mit Essen zu versorgen“, erzählt sie. Heute wäre das eine 30-minütige Fahrt über die Autobahn.
Als der Zweite Weltkrieg begann, war sie 17 Jahre alt. Über den Großhandel der Eltern bezog die Bevölkerung dann das vom Staat rationierte Lebensmittel. „Den ganzen Tag habe ich Kartoffelsäcke geschleppt. Meine Beine sahen abends schlimm aus“, sagt sie. Als ihr Vater zum Kriegsdienst einberufen wurde, musste sie einen LKW-Führerschein machen, um den Warentransport zu gewährleisten. Mit 18 Jahren saß sie tagsüber am Steuer eines 7,5 Tonners mit Anhänger. Und abends? „Meine Eltern hatten damals noch eine Gaststätte. Dort habe ich ab 17 Uhr gekellnert und ab und zu Musik gemacht“, schmunzelt sie, es sei eine schöne Zeit gewesen. Da habe sie auch ihren späteren Ehemann Anton kennengelernt. „Ich habe Gitarre gespielt, er Akkordeon.“ Ihre Augen strahlen wieder. Kurz darauf, nach Kriegsende, musste die Gaststätte geschlossen werden. 1946 wurde geheiratet. Das junge Ehepaar zog mit ihrem ersten Sohn Konrad zu den Schwiegereltern nach Duisburg-Rheinhausen. Im Krupp-Werk fand Anton eine neue Anstellung. „Die Arbeit im Werk machte meinen Mann aber keinen Spaß“, weiß sie. Überhaupt sei man mit der Lebenssituation nicht glücklich gewesen. Sie schlug ihrem Anton vor: „Wenn du mitmachst, machen uns selbstständig.“ 1953 gründeten sie in Rheinhausen einen Obst- und Gemüsegroßhandel. Ein Jahr später brachte sie ihren zweiten Sohn Rainer zur Welt. „Unseren Schwiegereltern kauften wir ein Haus im Westerwald. Wir sind in Rheinhausen geblieben und führten unseren Betrieb“, erzählt Else. Das habe allen gutgetan.

Zusammenhalt

25 Jahre ist das Ehepaar morgens um zwei Uhr aufgestanden. 1978 habe Anton sie gebeten aufzuhören, weil er mitbekommen hatte, dass eine ältere Frau auf der Arbeit zusammenbrach und verstarb. „Mach du dir mal ein schönes Leben, ich arbeite noch ein wenig als Fahrer“, sagte er damals zu ihr. „Wir hatten ein super Geschäft“, resümiert sie rückblickend. Dennoch habe man es mit gutem Gewissen an eine jüngere Generation abgegeben. Die „freie Zeit“ danach haben sie genossen und sind viel gereist. Gerne in den Süden, wo es warm ist. 2008 verstarb Anton. Der schlimmste Einschnitt in ihrem Leben. Ihre Ehe war geprägt von Zusammenhalt und gegenseitiger Wertschätzung, ebenso das Verhältnis zum Rest ihrer Familie, mit der sie viel Zeit verbracht hat. Die Söhne „sind ihren Weg gegangen“, sagt sie stolz. Drei Enkelkinder hat sie und ein „Urenkelchen“, welches genau ein Jahrhundert jünger ist als sie – anno 2022. Sie lacht viel, während sie zurückdenkt. Auf die Frage, ob es denn etwas gäbe, was sie negativ in Erinnerung hat, antwortet sie prompt: „Nee. Es war immer nur schön. Ich kann verzeihen und keinem böse sein. Ich würde dasselbe Leben jederzeit wieder leben!“
Nach einem Jahrhundert Leben, trotz aller Höhen und Tiefen, die es mit sich bringt, durchweg positiv zurückzublicken: Hut ab!

Autor:

Dunja Vogel aus Voerde (Niederrhein)

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