Vom Wert der Ausbildung - ein Kommentar

Marvin Schnippering, Vorsitzender der JU Essen-Nord, schreibt, dass die betriebliche Ausbildung dieselbe Anerkennung verdient wie ein Studium.
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Plädoyer für einen gerechten und realistischen Blick auf Ausbildung und Studium

Im Januar kam ich mit einem Abiturienten zusammen, der noch nicht wusste, in welche Richtung es nach dem Abitur gehen solle, nur ein Punkt stand bereits fest: Die Uni müsse es schon sein.
In unserem Gespräch schlug ich auch Ausbildungsberufe vor und nannte Argumente, die aus meiner Sicht für eine betriebliche Ausbildung sprechen.
Meinem Gesprächspartner war deutlich anzumerken, dass er sich mit meinen Gedankengängen nicht anfreunden konnte und schließlich versuchte er mich mit der Feststellung: „Ja, aber du studierst! Nicht wahr!?“, zu widerlegen.
Mir wurde schnell klar, dass wir uns nicht einig würden, denn bei meinem Gesprächspartner lag ein Problem vor, sein Auswahlkriterium war das Ansehen des Studiums, welches vermeintlich hoher anzusetzen wäre als das einer Ausbildung.

Es ist kein Wunder, dass der Abiturient mit dem ich sprach diese Einstellung vertritt, wo eine höhere Studenten- und Abiturientenquote von der Politik gefordert wird, die dabei auch die Unterstützung der Leitmedien findet. Es gibt einen immer stärkeren Zwang zum Abitur und zum Studium, der bereits bei der Grundschulempfehlung beginnt, an deren Ende Eltern zuweilen verzweifeln, weil ihr Kind keine Gymnasialempfehlung bekam, setzt sich durch die Lehrer in der Mittelstufe fort und steigert sich bis zum Ende der Schulzeit zu einem unheimlichen Druck.

Ist aber die Akademisierung unserer Gesellschaft wirklich notwendig und ist ein Studium einer Ausbildung vorzuziehen?

Es gibt viele Gründe, die für eine betriebliche Ausbildung sprechen.
Für ein Studium wird häufig der höhere Verdienst angeführt, aber auch bei vielen Ausbildungsberufen werden gute Löhne gezahlt z.B. in der Chemie, öffentlichen Verwaltung, Metallindustrie (…) und man muss bedenken, dass es zwischen den Einstiegsgehältern der verschiedenen Studiengänge massive Schwankungen gibt und bei manchen Studienabschlüssen sind die Aussichten einen festen Job zu finden düster, denn auch der Arbeitsmarkt für Akademiker wird von Angebot und Nachfrage bestimmt.
Ein starker Pluspunkt für eine Ausbildung ist, dass man vom ersten Tag an bezahlt wird, dadurch erlangt man im Endeffekt schneller Unabhängigkeit, während viele Studenten neben ihrem Studium jobben müssen oder über Jahre finanziell von ihren Eltern abhängig sind.
Ich möchte keine Klischees bedienen und nicht vom akademischen Elfenbeinturm sprechen, aber das Ergreifen einer Ausbildung geht häufig auch mit stärkerer Lebensnähe einher.
Ich selber ging zum Beispiel vor meinem Abitur zur Realschule und dort wurden wir schon früh auf die Entscheidung vorbereitet, welchen Berufen wir später würden ergreifen wollen, während meine Mitschüler und ich uns zu Abiturzeiten über den Tag der Abiturprüfungen hinaus kaum Gedanken machten.

Wenn man nun über die Verschulung der Lehre an den Universitäten und dem Phänomen der sogenannten Helikoptereltern liest, muss man sich fragen, in welchem Maße einem Lebenserfahrung und Unabhängigkeit durch das Studium näher gebracht werden.

An dieser Stelle sollte auch ausgesprochen werden, dass jedem, der sich für einen beruflichen Lebensweg entschieden hat und eine Ausbildung wählte Respekt gebührt. Wir alle können uns wohl erinnern, dass wir am Ende der 10. oder auch der 13. Klasse vor einer schwierigen Entscheidung standen und wer eine Ausbildung wählte hat in gewisser Weise Mut bewiesen, denn während es niemanden stört, wenn jemand nach einem oder zwei Semestern das Studienfach wechselt, wirkt eine abgebrochene Ausbildung im Lebenslauf schon weniger schön.

Am Ende der Schullaufbahn stehen wir an einem Scheidepunkt, an diesem Punkt sollte man nicht nur überlegen, welchen Beruf man favorisiert, sondern auch welchen Lebensentwurf man sich für die Zukunft vorstellt. Denn bei vielen akademischen Berufen wird eine hohe Flexibilität verlangt, häufig müssen vielfach Praktika absolviert werden (Stichwort: Generation-Praktikum) und in manchen Branchen wird häufig nur mit befristeten Verträgen gearbeitet, das Ergebnis sind mangelnde finanzielle Planbarkeit und ggf. mehrere Umzüge bis man eine langfristige Stelle gefunden hat.

Jemandem, der seine Heimatstadt nicht verlassen will und in näherer Zukunft eine Familie gründen möchte, ist eine Ausbildung bei einem mittelständischen Unternehmen vielleicht lieber – wo momentan beste Chancen bestehen einen Ausbildungsplatz zu bekommen und sehr gute Aussichten festangestellt übernommen zu werden.
Überhaupt kann der Wert unseres dualen Ausbildungssystems nicht hoch genug angesetzt werden, wir haben die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit Europas! In den südlichen Krisenländern wird momentan nach deutschem Vorbild das Ausbildungssystem reformiert.

Kommen wir zum Ausgangspunkt meines Kommentars:
Das gesellschaftliche Ansehen von Ausbildung und Studium sollte nicht Entscheidungsgrundlage sein, denn beide Wege sind mit Anstrengungen verbunden und verdienen Respekt.
In den Worten meines Gesprächspartners schwank Geringschätzung mit; die betriebliche Ausbildung hat scheinbar ein Imageproblem, aber gibt es einen Grund das Ansehen eines Studiums so viel höher zu bemessen?

Nein, einen Grund zu akademischen Dünkel gibt es nicht, denn wenn das Studium immer mehr zum Regelfall wird, dann wird ein elitärer Kreis nicht größer und steht über einem vermeintlich an Kultur und Bildung ärmeren Kreis, sondern verliert seinen elitären Charakter.
Die Schlussfolgerung ist logisch und diejenigen, die schon immer „Aufstieg durch Bildung“ forderten werden nun sagen, dass man damit dem Ziel von mehr gesellschaftlicher Gleichheit näher gekommen sei, wenn man sich die unterschiedliche Bewertung von Ausbildung und Studium anschaut, scheint es jedoch, dass diese Logik noch nicht ins Bewusstsein getreten ist.

Ich möchte die Losung „Aufstieg durch Bildung“ und die mit ihr einhergehende Forderung nach mehr Abiturienten und einer weiteren Akademisierung aufgreifen, was schön klingt ist ebenfalls mit Hochmut versehen – der Mensch beginnt nicht erst mit dem Abitur!

Denn die Forderung nach einer höheren Studienquote impliziert auch einen speziellen Begriff von Bildung und lässt außer Acht, dass es verschiedene Arten von Bildung, Intelligenz und Kompetenzen gibt.
Das Ziel ist auch nicht sozial, denn die zunehmende Akademisierung der Gesellschaft schließt eine große Gruppe vom gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben aus.
Dieser Kommentar soll nicht dazu dienen Ausbildung und Studium gegeneinander auszuspielen, sondern wirbt um eine gerechte Bewertung beider Alternativen.
Studium oder Ausbildung – das ist eine Entscheidung, die nicht leicht getroffen werden sollte, denn für beide Wege gibt es persönliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Argumente.

Als Entscheidungshilfe bieten Schulen und Institutionen begrüßenswerter Weise Informationsveranstaltungen an, die nächste Veranstaltung dieser Art wurde von der JU Essen organisiert und findet am 26.03.14 , um 15.00 Uhr, in den Räumlichkeiten der Johanniter-Unfallhilfe (Henricistr. 100, 45136 Essen) statt.

Weitere Informationen unter:

Liste der Referenten und weitere Terminangaben

Pressemitteilung der JU Essen

Autor:

Marvin Schnippering aus Essen-Nord

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