Emotionale Ausstellung zu "Arbeitskämpfen"

Michael Kerstgens in der Ausstellung „Arbeitskämpfe“. Foto: Pielorz
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Am Mittwoch, 24. Mai, eröffnet der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in seinem Industriemuseum Henrichshütte Hattingen die Ausstellung „Arbeitskämpfe“ (bis 8. Oktober). Im Foyer zeigt der LWL über achtzig Fotografien von Michael Kerstgens, der unter anderem auch für „Stern“ und „Spiegel“ arbeitet. Die Arbeiten der Ausstellung entstanden zwischen 1984 und 2013 in England, Wales, im Rheinland und in Westfalen.

Kerstgens wurde 1960 in Llanelli, Süd-Wales, geboren. Er wuchs ab 1965 in Mülheim an der Ruhr auf, studierte an der Essener Folkwang-Hochschule Fotografie und ist heute Professor für Dokumentar-Fotografie an der Hochschule Darmstadt. Mit seiner Familie lebt er in Oberhausen.
Das Thema „Arbeitskämpfe“ zieht sich wie ein roter Faden durch seine Arbeiten. Den Anfang machte der große „Miners‘ Strike“ in England und Wales, Höhepunkt des unter der Regierung von Margaret Thatcher eingeleiteten Niedergangs der Bergbau- und Stahlindustrie in Großbritannien. „Mein Vater arbeitete damals in Wales als Kaufmann für deutsche Bergbaufirmen. 1965 gingen wir zurück nach Deutschland und als der Streik 1984 begann, war ich hier Student. Ich fühlte mich dem Thema und vor allem den Menschen dort verbunden, bin dorthin gereist und habe mir von einem Polizisten einen VW-Bus geliehen, bin zu den Bergleuten gefahren. Ich konnte ihr Vertrauen gewinnen und lebte wochenlang bei Spud und Marsha Marshall. Ich habe damals eine unglaubliche Solidarität kennengelernt. Die Bergleute verschuldeten sich mit jeder Woche des Streiks mehr – es gab kein Streikgeld. Marsha war eine flammende Rednerin, sie hatte regelmäßigen Kontakt mit der Schauspielerin Vanessa Redgrave. Ein Jahr dauerte der Streik und zeitweilig legten rund 130.000 Arbeiter ihre Arbeit nieder. Die Fotografien, die entstanden, zeigen nicht nur den Streik, sondern das Leben der Menschen, ihre Sorgen und Bedürfnisse. Marsha starb 2009, zu Spud habe ich heute noch Kontakt. Er wurde mit 36 Jahren arbeitslos und fand nie wieder Arbeit. Heute ist er 63 Jahre alt und krank und lebt in einem betreuten Wohnen“, erzählt Kerstgens.

1984 Wales, 1987 Rheinhausen, Hagen und Henrichshütte

Diese Zeit sollte den Fotografen prägen. „1987 wurde bekannt, dass die Schließung des Stahlwerkes in Rheinhausen bereits 1988 stattfinden sollte. Die mit großer medialer Unterstützung geführte Auseinandersetzung geschah unmittelbar vor dem Werkstor. Es gab Konzerte, eine Brücke der Solidarität und die Erstürmung der Villa Hügel. Die Schließung des Werkes wurde deutlich verlängert und eine Beschäftigungsgesellschaft wurde eingerichtet – eine Art Pyrrussieg. Mittendrin in dieser Zeit war Michael Kerstgens mit der Kamera.

Nach Rheinhausen kam Hagen, dann Hattingen. Die Forderung der Walisischen Bergleute „Coal not Dole“, frei übersetzt „Arbeit statt Stütze“, ließe sich nun auch auf das kleine Städtchen an der Ruhr übertragen. Wieder löste Kerstgens seine Kamera aus. Während sich die Stahlproduktion weltweit seit 1985 mehr als verdoppelte, schrumpfte die europäische Stahlindustrie um zwanzig Prozent. „Der Strukturwandel ist keine lokale Herausforderung“, erläutert Robert Laube, Leiter des Hattinger Industriemuseums. „Ob Kohle oder Stahl, Wales oder Ruhrgebiet: Die Krise der Montanindustrie ist seit einer Generation international.“ Kerstgens weitet den Blick von der individuellen, lokalen Betroffenheit zum Verstehen von Mechanismen, die weltweit wirkungsmächtig sind.

Mut und Verzweiflung - Hand in Hand

„Arbeitskämpfe“ zeigt in eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Fotografien Mut und Verzweiflung jener Menschen, die den Strukturwandel an der eigenen Haut zu spüren bekommen. Berührend sind farbige Fotografien, die 30 Jahre später in Yorkshire entstanden. Rund um das Hauptquartier der Bergarbeitergewerkschaft ist ein Revier im permanenten Ausverkauf entstanden. „Statt des Arbeitsplatzes vererben die Eltern ihren Kindern heute ihre Arbeitslosigkeit“, so Kerstgens über die Bilderserie, die er „Poundland“ betitelt hat. „Während wir hier wenigstens von einer Industriekultur sprechen, wurde in England alles platt gemacht.“

Zur Eröffnung der Ausstellung am 24. Mai, 19.30 Uhr, begrüßt Monika Schnieders-Pförtzsch, stellvertretende Vorsitzende der LWL-Landschaftsversammlung, die Gäste. Dr. Burkhard Zeppenfeld, Kurator der vom LVR-Industriemuseum entwickelten Ausstellung, führt in Kerstgens‘ Fotografie ein. „Marta an der Leine“ begleitet den Abend mit Arbeiterliedern.

Zur Ausstellung sind zwei Publikationen erschienen: Coal not Dole. The Miners‘ Strike 1984/85, sowie: Aufruhrgebiet – Uproar Area, herausgegeben von Michael Kerstgens. Außerdem gibt es verschiedene Filme zum Thema, die bis zum Herbst gezeigt werden. Beispielsweise wird am 20. September, 19 Uhr, der Film „Pride“ über den „Miners‘ Strike“ in Wales gezeigt. Am 8. Oktober findet eine Lesung statt unter Beteiligung des Fotografen Michael Kerstgens. Infos zum Begleitprogramm unter www.lwl-industriemuseum.de

Übrigens: Erstmals ist durch das „Büro für leichte Sprache der Lebenshilfe“ in Bochum ein Text zur Ausstellung ein Text in leichter Sprache erschienen – für alle Menschen, die lernbehindert sind oder sich mit der deutschen Sprache einfach schwer tun.

Autor:

Dr. Anja Pielorz aus Hattingen

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