TomTom - der Bildhauer ( eine Hommage )

Sein Atelier erinnerte an eine Lagerhalle in einem verlassenen Gewerbegebiet. Da wusste man nie, war er soeben eingezogen? Oder stand schon der Umzugsbulli vor der Tür?
Ich bin mir nicht sicher, ob er jemals seine Miete bezahlen konnte. Und wenn nicht, die Halle hätte sowieso leer gestanden.
Wenn ich aber TomTom besuchen wollte, fühlte ich mich in diesem versteppten Gelände, in dem die Halle lag, immer wie ein Verdächtiger, der ein unverschlossenes Fenster suchte, um einzusteigen.
Als hinter mir also die Eisentür ins Schloss fiel und ich im Gegenlicht TomTom unter dem großen Fenster bei der Arbeit sah, glaubte ich für einen Augenblick eine versunkene Kultur zubetreten.
TomTom hockte auf wundersamer Weise raubtierhaft auf einem langen, baumdicken Holzblock, den er schon seit Wochen bearbeitete.
Sein Hemd hing aus der Hose und seine Haare standen wirr vom Kopf. Gelegentlich zuckte er wie ein Tier, das sich lästiger Fliegen erwehrt, um sich dann mit dem Ärmel über das Gesicht zu fahren.
Dabei grinste er vor sich hin wie ein Verschwörer, der sich in seinem Versteck sicher fühlte.
Dieser Mensch brauchte kein schönes Wetter, um glücklich zu sein, dachte ich.
Gelegentlich klopfte er zärtlich das Holz ab, während er sich mit dem Oberkörper weit nach Vorne beugte und andächtig lauschte, als erwartete er aus dem Holz eine Antwort oder doch immerhin ein Lebenszeichen.
Als er mich aber sah, hob TomTom seine Hand und rief mir zu:
„Die Kunst grüßt das Handwerk!“
Und ich sagte dann jedes Mal:
„Störe ich Dich?“
TomTom aber lächelte nur, während sich sein Gesicht maskenhaft verzog:
„Wenn ich nur dann Menschen treffen wollte, wenn ich keine Arbeit habe, wäre ich immer allein…“
Ich glaube er war froh, wenn man ihn von seiner Arbeit abhielt. Dann hockte er plötzlich entspannt auf seinem Holzblock wie ein Kind, das die Beine baumeln ließ.
TomTom hielt mir die Zigarettenschachtel hin, bevor er sich selber eine ansteckte:
„Stress?!“ fragte er und sah mich dabei gutmütig an.
„Das Wort kannst Du doch gar nicht schreiben…,“ antwortete ich und ließ mich in den Sperrmüllsessel fallen.
„Ich hatte Glück in meinem Leben,“ sagte TomTom sachlich. „Mein Vater hat mich schon früh aus dem Haus geworfen. Und so lernte ich sozusagen über Nacht auf alles zu verzichten, an das ich mich hätte gewöhnen können. Damals gab es einen Punkt in meinem Leben, an dem ich erkannte: dass ich weder erwachsen werden wollte, noch war ich bereit mein Leben so ernst zu nehmen, wie es meine Umwelt von mir erwartete.“
„Diese Erkenntnis macht frei…, “ sagte ich und streckte die Beine von mir.
„Ja, “ sagte TomTom und er klang zufrieden:
„Ich verlangte noch nie viel vom Leben. Aber ich wollte immer mein eigenes Leben leben.
Selbst heute bin ich noch erstaunt, wenn die Gesellschaft sich Pläne für die Menschheit ausdenkt. Aber wenn man als Einzelner glaubt eine Vision verfolgen zu müssen, schüttelt jeder den Kopf. Dann bist du ein Paradiesvogel, der sich auf den nächsten Baum retten muß, “ lachte TomTom.
“Kurz, ich hatte noch nie Lust auf Dinge zu reagieren, die sich sowieso von selbst erledigen. Und so wollte ich auch nie im Windschatten meiner Eltern leben. Und schon gar nicht im Windkanal meines Vaters.
Das Witzige dabei ist nur, ich wurde am selben Tag wie mein Vater geboren. Sogar fast zur gleichen Stunde. Nur 27 Jahre später.“
„Also, Deinen Vater kenne ich noch, “ sagte ich sachlich.
“Und…?“ lächelte TomTom abwartend.
„Du hast wirklich viel Ähnlichkeit mit ihm…“
„Vor allem habe ich seinen Jähzorn geerbt, “ lächelte TomTom, als fühlte er sich bestätigt.
„Vielleicht bist Du deshalb Bildhauer geworden…“
„Das macht Sinn, “ lachte TomTom, der noch immer rittlings auf dem Holzblock saß. „Für dieses verdammte Material hier braucht man eine unendliche Wut. Du siehst ja selber, es wird nicht mehr lange dauern, dann werde ich meine Frau aus diesem Holzblock befreien“
„Um die Arbeit beneide ich Dich nicht, “ sagte ich sachlich.
TomTom sog an seiner Zigarette und lächelte:
„Aber sieh mal, immerhin hat sie, ich meine meine Frau, schon ein Bein ausgestreckt…“
„Du bist der Gott, der sich seine eigene Frau erschafft…, “ sagte ich und blätterte in einem zerfledderten Ausstellungskatalog.
„Aber dieses verdammte Weib hier ist noch sturer, als es die Natur erlaubt, “ sagte TomTom und stieß sein Schneidewerkzeug erneut in das Holz, als müsste er wütend werden.

Autor:

Dr. Mathias Knoll aus Arnsberg

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