Keine Antwort ist auch eine Antwort

Unsitte, Bequemlichkeit, Zeitmangel oder einfach nur Desinteresse?

„Sie haben keine neuen Nachrichten erhalten“ sagt das Postfach und du guckst etwas irritiert. Du wartest auf eine Stellungnahme der Firma XY zu einer Beschwerde anlässlich einer fehlerhaften Lieferung, hast schon drei Erinnerungen abgeschickt, aber man antwortet dir nicht. Langsam wirst du sauer, denn wenn du bei dem Unternehmen anrufst hängst du in einer Warteschleife, die an Endlosigkeit kaum zu überbieten ist und ebenso viel Geld wie Nerven kostet.
Du wartest.
Und je länger du wartest umso ungeduldiger und ungehaltener wirst du.
Auch deine Zeit ist kostbar, du kannst und willst dort nicht hinfahren, um dir Luft zu verschaffen. Und ob man dich dort an der Tür wieder abweist, ist genauso ungewiss wie die Tatsache, ob du jemals Antwort auf deine schriftlich gestellte Frage erhalten wirst.
Dein Anliegen wird ausgesessen. Man agiert in der Annahme, dass du irgendwann aufgibst, das Interesse verlierst, dir deine Reklamation selbst als ungerechtfertigt und somit aussichtslos erscheint und du es irgendwann schlicht und ergreifend vergisst, dass du jemals um Antwort gebeten hast.

Szenenwechsel.

Du möchtest mal wieder mit einer alten Bekannten telefonieren, mit der du lange keinen Kontakt hattest. Mal nachfragen, wie es so geht, ein bisschen über dies und das plauschen. Bekunden, dass du sie nicht vergessen hast, auch wenn du lange im Funkloch entschwunden warst. Daran erinnern, dass es dich selbst noch gibt. Mehrmalige Versuche landen immer wieder auf dem Anrufbeantworter und irgendwann sprichst du dann drauf, obwohl du Anrufbeantworter noch nie so richtig leiden konntest.
Du wartest.
Ein paar Tage, eine Woche, wochenlang. Sie meldet sich nicht und du fragst dich nach den Gründen, machst dir Sorgen, versuchst es noch einmal. Vielleicht ist der Anrufbeantworter ja auch defekt, man weiß das ja nie so genau, wo die Tücken der Technik gerade lauern. Vielleicht mag sie aber auch keinen Kontakt mehr herstellen, aus welchen Gründen auch immer. Und es bleibt ein flaues Gefühl und die Frage nach dem „warum wohl?“.

Szenenwechsel.

Du hetzt gerade zwischen deinen Terminen hin und her, bemüht darum, nicht zu spät von A nach B zu kommen und erhältst mitten in der Einflugschneise deiner selbst auferlegten Hetzjagd eine SMS. Du kannst die Worte nur überfliegen, freust dich über die Mitteilung und lässt das Handy schnell im Rucksack verschwinden, weil du dir Zeit nehmen willst für die Antwort. Zeit, die du gerade nicht hast. Später denkst du, später, wenn du zur Ruhe gekommen bist, dann wirst du dich melden, in aller Ausführlichkeit, die niemals in so eine SMS passen wird. Und dann hetzt du weiter, treibst dich durch den Großstadtdschungel, und bemühst dich, all die wichtigen Nichtigkeiten nicht zu vergessen, die du auf deiner Agenda stehen hast. Irgendwo im Irgendwann zwischen Supermarkt, Tankstelle und Fitness-Studio fällt dir die SMS ein, die es immer noch zu beantworten gilt.
Du wartest.
Auf den Zeitpunkt des Zeithabens.
Und in einem Sekundenbruchteil vor der lang ersehnten Einschlafphase ärgerst du dich über deine Nachlässigkeit, denn du hast die SMS immer noch nicht beantwortet. Und wirst es womöglich auch morgen nicht tun, angesichts deines straffen Zeitmanagements.

Es kommt häufiger vor als einem lieb sein kann, dass Fragen und Kontaktaufnahmen unbeantwortet bleiben und damit ein Vakuum hinterlassen, das nicht gefüllt wird. Der Fragende muss sich seine Antwort selbst zusammenbasteln, und dass dies Frust erzeugt, ist wohl unbestritten. Warum gehen wir Menschen oft nachlässig miteinander um und lassen es an Respekt mangeln? Fühlen uns so wenig in das Gegenüber ein und sehen nur unsere Bedürfnisse, wenn wir etwas wollen oder eben nicht wollen?

Wir reden uns raus mit Zeitmangel und entschuldigen uns vor uns selbst mit „ja, ich hätte schon noch...“ und wissen doch, dass wir eben nicht hätten. Oder vielleicht erst dann, wenn das Gegenüber schon gar nicht mehr mit einer Antwort rechnet und sich die erste Enttäuschung bereits manifestiert hat.

Ist es der neue Zeitgeist? Ist es eine immer mehr um sich greifende Unsitte? Oder einfach nur Bequemlichkeit und Desinteresse? Steckt dahinter System?

Oder ist es so, wie es das alte Sprichwort schon sagt:

Keine Antwort ist auch eine Antwort?

[In asiatischen Kreisen bedeutet keine Antwort übrigens ein klares „nein“. Also eine Antwort, mit der entsprechenden Aussage. Selbst, wenn man gar keine konkrete Frage gestellt haben sollte.]

Autor:

Annette Kallweit aus Düsseldorf

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