Umweltministerium und Wirtschaftsministerium legen Risikogutachten zu Fracking vor

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Quelle: Ministerium für Klimaschutz, Umwelt,
Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz
des Landes Nordrhein-Westfalen

Experten stellen in allen Bereichen erhebliche Wissens- und Informationsdefizite fest – Breites Dialogverfahren wird gestartet

In NRW wird es bis auf Weiteres keine Genehmigungen für Erkundung und Gewinnung unkonventioneller Erdgas-Lagerstätten unter Einsatz von schädlichen Substanzen (Fracking) geben. Darauf haben sich das zuständige Umweltministerium und das Wirtschaftsministerium nach der Auswertung einer Risikostudie zur Bohrtechnologie geeinigt. „Der Schutz der Menschen und der Umwelt hat für die Landesregierung oberste Priorität. Daher nehmen wir die Ergebnisse des Gutachtens ernst. Der Einsatz der Fracking-Technologie kann derzeit und bis auf Weiteres in NRW nicht genehmigt werden”, sagten Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) und Wirtschaftsminister Garrelt Duin bei der Vorlage des Gutachtens in Düsseldorf. Die Landesregierung folgt damit den Empfehlungen der Gutachter.

Wegen der derzeit unsicheren Datenlage und der nicht auszuschließenden Umweltrisiken empfehlen die Gutachter aus wasserwirtschaftlicher Sicht, Fracking-Aktivitäten in Wasserschutzgebieten, Wassergewinnungsgebieten der öffentlichen Trinkwasserversorgung, in Heilquellenschutzgebieten sowie im Bereich von Mineralvorkommen nicht zuzulassen und die genannten Gebiete für diese Zwecke auszuschließen. Es soll aber der Versuch gestartet werden, gemeinsam mit Unternehmen und der Wissenschaft zu überlegen, welche konkreten Erkenntnisse die Erkundungen letztlich liefern müssen, um die Informations- und Wissensdefizite zu beseitigen und eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung über mögliche nachfolgende Schritte zu schaffen. Dies soll in einem transparenten und breiten Prozess erfolgen. Im Dialog mit allen Beteiligten (Unternehmen, Behörden, Wissenschaft und den an der Thematik interessierten Bürgerinnen und Bürger) sollen Forschungsbohrungen ohne Fracking erörtert werden, um ein unter Abwägung aller relevanten Belange sinnvolles Vorgehen zu gewährleisten. Im Anschluss an diesen Dialog soll dann der notwendige Untersuchungsumfang, den Erkundungsbohrungen leisten sollen, gemeinsam auf Basis der Gutachterempfehlungen definiert und die anstehenden Untersuchungen des Untergrundes entsprechend ausgelegt werden. Danach sollten die zuständigen Behörden mit ihrem Sachverstand und Fachwissen Anträge zur Genehmigung von Erkundungsbohrungen ohne Fracking im Einzelfall prüfen. Bis zu diesem Zeitpunkt gilt unser Erlass vom 18.11.2011 zunächst weiter. In wieweit der Erlass schon jetzt geändert werden kann, um geothermische Bohrungen und Erkundungsbohrungen für konventionelles Erdgas ohne Fracking sowie seismische Untersuchungen genehmigen zu können, wird gegenwärtig geprüft. So hat es auch die Landesregierung im Kabinett vor wenigen Tagen besprochen.

Minister Remmel betonte: „Fracking birgt erhebliche Gefahren für Umwelt und Menschen. Das ist nun zum dritten Mal durch ein Gutachten belegt worden. Es handelt sich um eine neuartige Risikodimension mit derzeit nicht voraussagbaren Folgen.“

Die Gutachter sehen eine weitere Erkundung und Erforschung des Untergrundes ohne Fracking als sinnvoll an, um bestehende Wissensdefizite zu beseitigen. Dazu sagte Duin: „Die Landesregierung sieht hierin den Auftrag, Bohrungen zur Erkundung und Erforschung des Untergrundes unter Ausschluss von Fracking zu nutzen, um weitere Daten und Erkenntnisse zu sammeln und offene Fragen beantworten zu können. Mir liegt daran, dass wir alsbald auch rechtsverbindlich regeln, was heute tatsächlich entscheidungsreif ist.“

Im Dezember 2011 hatte das Umweltministerium in Abstimmung mit dem Wirtschaftsministerium ein Gutachten mit Risikostudie zur Exploration und Gewinnung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten in NRW in Auftrag gegeben. Ziel des Gutachtens war es, die Auswirkungen auf den Naturhaushalt und insbesondere die öffentliche Trinkwasserversorgung zu untersuchen.

Das Gutachten kommt zu folgenden zentralen Aussagen:Bei den unkonventionellen Erdgas-Lagerstätten in Nordrhein-Westfalen handelt es sich um vermutete Kohleflözgas- und Schiefergas-Vorkommen, die mit Tiefenlagen von teilweise weniger als 1.000 m im Vergleich zu den konventionellen Erdgas-Vorkommen (z.B. in Niedersachsen ca. 3.500 bis 5.000 m) in geringerer Teufe liegen. Das bedeutet auch, dass der Abstand zu Grundwasservorkommen, die für die Wassernutzung oder für Ökosysteme relevant sein können, entsprechend geringer ist.

Die Erkundung der potenziellen Erdgas-Vorkommen steht in NRW noch am Anfang. Die vergebenen Aufsuchungserlaubnisse betreffen ca. 60 % der Landesfläche von NRW. Mit einer Aufsuchungserlaubnis ist keine Genehmigung von Probebohrungen verbunden.

Da die Erkundung vermuteter Kohleflözgas- und Schiefergas-Vorkommen noch ganz am Anfang steht, ist die Frage nach der wirtschaftlichen Gewinnbarkeit bisher nicht geklärt.

Die Erkundung und Gewinnung von Erdgas aus unkonventionellen Erdgas-Lagerstätten können mit einer Reihe von erheblichen Umweltauswirkungen und Umweltrisiken verbunden sein. Sie resultieren hauptsächlich aus dem Gefährdungspotenzial der eingesetzten Frack-Fluide, der Formationswässer und des Flowback in Kombination mit möglichen Wegsamkeiten, über die eine Verbindung zu Schichten mit genutztem und nutzbarem Grundwasser geschaffen werden könnte.

Insbesondere im Hinblick auf die Langzeitintegrität von Bohrungen müssen Bewertungs- und Genehmigungskriterien erarbeitet werden, die den dichten Abschluss der Bohrungen während der Betriebszeit und in der Nachsorgephase sicherstellen.

Die Gutachter haben festgestellt, dass auch für die weiterentwickelten Frack-Fluide immer noch von einem hohen Gefährdungspotenzial ausgegangen werden muss.

In allen Bereichen wurden erhebliche Wissens- und Informationsdefizite identifiziert. Dies betrifft Daten und Informationen, die nicht frei zugänglich sind oder nicht vorlagen, wie etwa Stoffdatenblätter oder belastbare statistische Daten zu Eintritts- und Versagenswahrscheinlichkeiten.
Eine abschließende Bewertung aller Risiken ist auf der Betrachtungsebene des Gutachtens derzeit – insbesondere aufgrund der festgestellten Defizite – nicht möglich.

Die Vorlage eines vollständigen und konkreten Katalogs von Bewertungs- und Genehmigungskriterien ist nach Auffassung der Gutachter vor dem Hintergrund der Wissens- und Informationsdefizite derzeit nicht möglich.
Hinsichtlich der zukünftigen Vorgehensweise sollte ein landesweiter Abstimmungsprozess unter den Genehmigungs- und Fachbehörden zu den weiteren erforderlichen Erkundungen initiiert werden. Hier ist abzustimmen, welche Erkenntnisse die Erkundungen liefern müssen, um vorhandene Wissensdefizite zu beseitigen und eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung über weitere Schritte zu schaffen. Dabei sollte eine klare Trennung zwischen den Entscheidungen über Vorhaben zur Erkundung ohne Fracking und den Entscheidungen über eventuelle spätere Erkundungs- oder Gewinnungsmaßnahmen mit Fracking erfolgen. Die geologischen und hydrogeologischen Erkenntnisse sollten vom Land transparent veröffentlicht und zur Verfügung gestellt werden.

Für Tiefbohrungen, die im Rahmen der Erkundung unkonventioneller Erdgas-Lagerstätten abgeteuft werden und in denen kein Fracking erfolgt, müssen aus Sicht der Gutachter keine anderen Anforderungen gelten als für andere nicht auf unkonventionelle Erdgas-Vorkommen zielende Tiefbohrungen soweit sie nicht für Fracking in einer ggf. nachfolgenden Phase genutzt werden sollen.

Der interdisziplinär besetzte Gutachterkreis schlägt zudem vor, den weiteren Arbeitsprozess transparent zu gestalten und alle wichtigen gesellschaftlichen Gruppen bei der weiteren Gestaltung und weiteren Entscheidungsfindung mit einzubinden. Die Landesregierung wird daher das Gutachten mit allen Beteiligten (Wirtschaft, Umwelt, Städte und Gemeinden, Bürgerschaft) im Rahmen des Dialogs „Umwelt und Wirtschaft“ sowie „Dialog schafft Zukunft“ diskutieren.

Beide Minister forderten CDU/CSU und FDP im Bundesrat auf, ihre Blockadehaltung gegenüber einer verpflichtenden Umweltverträglichkeitsprüfung aufzugeben. Die NRW-Landesregierung hatte im Sommer 2011 im Bundesrat einen Antrag zur „Änderung der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben“ eingebracht. Ziel ist es, die Überprüfung der Umweltverträglichkeit bei der Gewinnung von Bodenschätzen über Bohrungen auszuweiten. Duin: „Die geltende Regelung reicht nicht aus, um die spezifischen Umweltauswirkungen von Frackingvorhaben zu beurteilen. Mit einer verpflichtenden Umweltverträglichkeitsprüfung erhöhen wir die Transparenz und kommen bei der Beteiligung der Öffentlichkeit einen entscheidenden Schritt voran.”

Minister Remmel (Grüne) : „Trinkwasser ist das wichtigste Lebensmittel, das wir besitzen. Das ist ein Schatz, den wir auch für künftige Generationen bewahren müssen. Wir dürfen es daher nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, weil wir Technologien einsetzen, deren Folgen und Wirkungen über lange Zeiträume derzeit nicht geklärt sind. Dass CDU/CSU und FDP mit diesem Risiko spielen, anstatt klare Kante zu zeigen, ist nicht zu akzeptieren.“
Weitere Informationen:

Autor:

Sven Hustadt aus Ennepetal

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