Diskussionsrunde mit vier Essener OB-Kandidaten im Stadtgarten Steele
„Demokratisches Leben verteidigen“ – Diskussionsrunde mit Essener OB-Kandidaten

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Vier Oberbürgermeister-Kandidaten aus Essen kamen unter Einhaltung der Corona-Schutzmaßnahmen im Steeler Stadtgarten zusammen, um mit engagierten Bürgern über ein aktuelles Problem zu diskutieren. Das Interesse der Bürger war sehr groß. Der große Kuppelsaal war ausgebucht.
Eingeladen hatten das „Bündnis Mut machen – Steele bleibt bunt“ und das Kulturzentrum Grend.

Mit großer Mehrheit verabschiedete der Rat der Stadt Essen im Mai 2020 eine Resolution für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit.
Diese Werte scheinen in Gefahr zu geraten. „Kaum wurden die Corona-Regeln gelockert, sind erneut die Kräfte in Steele unterwegs, die für Ausgrenzung, Rassismus und Rechtsextremismus stehen“, heißt es in der Einladung. „Die ‚Steeler Jungs‘ marschieren wieder und reklamieren den Stadtteil für sich. Gewalt, Intoleranz und Menschenfeindlichkeit haben in Essen keinen Platz. Was muss passieren, um rechtsextremen Kräften im Stadtteil Steele Einhalt zu gebieten?“

Darüber sollte mit den OB-Kandidaten diskutiert werden, mit Thomas Kufen (CDU),
Oliver Kern (SPD), Mehrdad Mostofizadeh (Grüne) und Daniel Kerekeš (Die Linke).
Moderiert wurde die Veranstaltung von Claudio Gnypek, Sprecher des Bündnisses "Mut machen - Steele bleibt bunt".

Gemma Russo-Bierke stellte sich als neue Leiterin des „Kulturzentrum Grend“ vor, begrüßte die OB-Kandidaten, den Moderator und die Zuhörer. Dann stellte Claudio Gnyprek, der Moderator, die OB-Kandidaten einzeln vor und stellte die erste Frage zum Thema des Abends an den amtierenden OB Thomas Kufen.

„Wir haben einen klaren Blick für das Problem. Wir sind gegen Rassismus“, sagt Kufen. „Die Steeler Jungs sind aus dem Nichts gekommen. Wir müssen dem Rassismus Paroli bieten. Wir wollen ein Zusammenleben in Weltoffenheit.“

Mehrdad Mostofizadeh von den Grünen pflichtet Kufen bei: „Was wir sehen, ist ganz klar Rassismus. Man muss sich nur die Homepage der ‚Steeler Jungs‘ ansehen, dann erkennt man ihre antidemokratische Einstellung. Wir sind für eine Stadtpolitik, die weltoffen ist. Wir wollen zeigen, dass wir eine pluralistische Gesellschaft sind. Aber wir müssen noch besser darin werden, aufzuklären und entgegenzusteuern. Da sollten wir auch die Bildungsinstitutionen, auch die Schulen einbeziehen.“

Oliver Kern von der SPD betont, er habe als Geschäftsführer der AWO die besorgniserregende Entwicklung in Steele mitbekommen und kritisiert scharf die Sparpolitik der Verwaltung: „ Wir haben uns kaputtgespart bei der Ausstattung von Schulen und Polizei. Dann dürfen wir uns über die jetzigen Probleme nicht wundern. Demokratie ist nicht mit der schwarzen Null zu erreichen.“

Moderator Gnyprek erläutert das Erscheinungsbild der „Steeler Jungs“, die seit 2018 durch ihre wöchentlichen Märsche, die sie selbst als „Spaziergänge“ bezeichnen, die Bürger und Geschäftsleute im Stadtteil verunsichern. Inzwischen sind sie bundesweit bekannt Provozierend fragt er Kerekeš nach seiner Gesprächsbereitschaft mit problematischen Gruppen: „Würden Sie sich mit besoffenen Bürgern auf ein Gespräch einlassen?“

„Mit besoffenen Bürgern kann man nicht reden", sagt Kerekeš. „Aber hier handelt es sich um Rassisten, Faschisten, Kriminelle. Seit Jahren nehmen rassistische und faschistische Übergriffe zu. In Essen sind neben den 'Steeler Jungs' etliche rechtsradikale oder teilweise faschistische Gruppen entstanden. Es ist bisher zu wenig getan worden, um gute Projekte zu fördern, die der Erhaltung von demokratischen Strukturen dienen.“

Gnyprek verweist auf Stimmen, die behaupten, dass die Aufmerksamkeit auf die „Steeler Jungs“ erst durch die Gegendemonstrationen erzeugt worden ist.

„Nein“, sagt Kerekeš. „Wir dürfen nicht weggucken. Wir haben das im 3.Reich erlebt, was passiert, wenn zu viele weggucken. Wir müssen weiter aufklären und die Bildungspolitik stärken. Die Stadt muss mehr tun.“

„Nein“, sagt auch Kern: „Gegendemonstrationen sind notwendig. Weltoffene Demokratie ist nur mit Haltung zu erreichen. Aber bisher gibt es kein Handlungskonzept gegen Rassismus.“

„Die ‚Steeler Jungs‘ sind zwar das Problem“, sagt Kufen. „Die Hoffnung mancher, dass sie sich totlaufen, hat sich nicht erfüllt. Aber auch die Gegendemonstrationen sind geschäftsschädigend. Ich habe dafür gesorgt, dass Mittel für Steele bereitgestellt werden. Aber es gibt nicht nur den einen Hebel, den man umlegen muss. Bürgerschaften, Sportvereine müssen in die Strategien einbezogen werden. Gute Antirassismus-Projekte müssen gefördert werden.“

Im weiteren Verlauf der Diskussion ist das Verhalten der Polizei bei den Demonstrationen ein wichtiges Thema. „Bei den von uns mitorganisierten Gegendemonstrationen hatte ich den Eindruck, dass wir durch die Polizei ferngehalten werden sollten“, klagt Kerekeš.
„In NRW steht die Polizei unter Druck“, sagt Kern. „Es gibt zu viel Stellenabbau, zu viele Überstunden. Ein großes Handlungskonzept fehlt mir. Die Effektivität der polizeilichen Einsätze sollte nicht durch Haushaltssperren beeinträchtigt werden.“
„Wir brauchen Aufklärungsstrukturen bei der Polizei“, fordert Mostofizadeh. „Ich habe es auch schon erlebt, dass das 'etwas andere' Aussehen (Racial Profiling) bei der Polizeikontrolle eine Rolle spielt. Und es ist nicht hinzunehmen, dass in Hessen Bürger vom Polizeicomputer aus ausgespäht wurden. Trotzdem habe ich Vertrauen in die Polizei.“
Das Vertrauen teilt auch OB Kufen, der der Meinung ist, dass die Polizei besonnen vorgeht.

Die anschließende Diskussion mit den Zuhörern war aus technischen Gründen problematisch, weil das Mikrophon nicht herumgereicht werden konnte. Da musste Russo-Bierke oft wiederholen. Es ging hauptsächlich um die Frage, warum nicht schon früher etwas gegen Rassismus und gegen die „Steeler Jungs“ unternommen worden ist, und um Belästigung durch die „Steeler Jungs“. Ein Zuhörer verweist auf eine Aussage von Ordnungsdezernent Christian Kromberg bei einer Veranstaltung zum Thema „Steeler Jungs“ in der Friedenskirche in Steele im Februar 2020, in der Kromberg gesagt habe, er könne den Vereinen keine Gespräche mit den Steeler Jungs empfehlen.

„Wenn Sie zum OB gewählt würden, was wäre Ihr nächster Schritt?“ fragt der Moderator.

Kufen: Ich würde den Gesprächsbedarf fördern. Durch die Aktivitäten der Kirchen ist Steele hätten sich auch Bürger der Bewegung gegen die Steeler Jungs angeschlossen, die nicht zu „Steele bleibt bunt“ tendierten.

Kern: Ich würde Stadtteilbüros einrichten.

Mostofizadeh: Ich würde die Kommunikation mit Geschäftsleuten und Bürgern suchen und nicht nur über die „Steeler Jungs“ sprechen. Ich würde für ein neues Erwachen der Stadtteile sorgen.

Kerekeš: Ich würde den Kampf gegen Rassismus fortsetzen, Bildungsprogramme ausbauen, die Probleme auch in Schulen thematisieren, gemeinsam im Rat diskutieren, Projekte gegen Rassismus stärken.

Gnyprek schließt die Veranstaltung mit einem Dank an alle, die zum Gelingen des Abends beigetragen haben.

Autor:

Manfred Jug aus Essen-Steele

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