Still-Leben A40 - Der "Theaterensemble Scusi-Erlebnisbericht“

18. Juli 2010
Ausfahrt Hamme, Bochum
Das Ensemble von Scusi?! machte sich für "Schauspiel & Spaß" auf der A40 breit
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  • Das Ensemble von Scusi?! machte sich für "Schauspiel & Spaß" auf der A40 breit
  • hochgeladen von Enzo L. Caruso

Mit dem kleinen aber feinen Wortspiel „Auf nach Bochum – Hamme alles?“ schloss Kerstin Heumann-Wasserkamp die morgendliche Verladeaktion am "Scusi-Räumchen" verbal ab. Hier hatte sich das Ensemble zur gemeinsamen Abfahrt um 09:30 Uhr getroffen und gut gelaunt ein paar Requisiten und reichlich Wasser für den langen Tag auf der A40 verstaut.

Am Sonntag sollen mehr als 3 Millionen Radfahrer und Fußgänger zwischen Duisburg und Dortmund über die Autobahn flaniert sein. Manche Besucher legten Teile der 60-Kilometer- Strecke auch mit Inlineskates zurück; andere ließen sich an einem der 20 000 Biergartentische nieder und hielten einfach nur das Gesicht in die warme Sommersonne.

Scusi?! belegte pünktlich ab 11:00 Uhr am vergangenen Sonntag insgesamt 5 Tische für die EN-Kreisstadt – das „Straßen-Schauspiel“ wurde dabei aber auf einen sehr viel größeren Umkreis ausgedehnt. Vor Ort konnte man an zwei der fünf Tische gemeinsam mit dem Ensemble Dönekes machen oder einfach eine kurze Rast einlegen sowie sich über die Kreisstadt und/oder das Theaterensemble Scusi?! informieren. Sonnenschutz boten unseren Gästen unsere „Scusi-Sonnenschirmchen“, die in einer Nachtschicht freundlicherweise noch ganz schnell von "Kreativ-Solutions" am Neumarkt für uns und unsere Gäste „gefertigt“ wurden. Unser „Tu doch ma dat Mäh ei“-Tisch (…eine absolut ernst gemeinte Scusi-Ode an das wohlklingende Ruhrpott-Platt…) wurde, besonders von den Ruhrpott-Jungs und Mädels, belustigt aufgenommen, hier und da gehuldigt und am Ende öfter fotografiert als das Ensemble selbst!

„Wir wollten Euch nur mal besuchen kommen, damit ihr nicht so alleine seid“, sprach uns in den Mittagsstunden eine Familie aus der Heimat an. „Wir haben in der Zeitung gelesen, dass ihr die einzigen Vertreter aus Schwelm seid und da wollten wir euch doch wenigstens die Stange halten“, hieß es weiter. Daraufhin wurde das Lunch-Paket ausgepackt und direkt am „Scusi-Tisch“ eine ausgedehnte Brotzeit eingelegt, bei der es natürlich beim Essen auch reichlich Programm zu gucken gab. Eine Frikadelle bot man uns allerdings nicht an, was einige im Ensemble (magenknurrend) traurig stimmte, denn die eigentlich für die A40 angekündigte Gastronomie ließ leider etwas zu wünschen übrig.

Halbstündig wurden dann auf der A40 so genannte Flash-Mob veranstaltet. In angeblicher Zusammenarbeit mit dem TV-Sender ARTE ließ das Scusi-Ensemble das Laufpublikum gemeinsam bekannte Melodien singen, sich hinsetzen oder für die nächsten 5 Minuten die Arme heben und war des Öfteren erstaunt, wie viele Menschen dem Gebot folgten und das Gesagte für „bare Münze“ nahmen. Neben lustigen Improvisationen direkt an den Tischen wurde auch das Straßen-Publikum oftmals zum Mitakteur des Geschehens ohne es zu merken. So wurden ein paar hundert Meter vor dem Scusi-Tischen Passanten als vermeintliche Prominente aufgegriffen und in Begleitung von Bodyguards begleitet. Okay, es freute sich zunächst nicht jeder über den unerwarteten Personenschutz und auch die anderen Passanten wussten oftmals nicht so Recht um welchen Promi es sich denn jetzt da handelt, aber am Ende blickten wir fast immer in eine lachendes, nettes Gesicht! Am Scusi-Tisch angekommen warteten dann nämlich bereits die restlichen Ensemblemitglieder auf den angeblichen Star, kreischten lautstark, vielen spontan in Ohnmacht oder verlangten Autogramme! „Wer ist denn das? Muss man den kennen?“, fragte uns ein reichlich aufgeregter Rentner aus Gelsenkirchen-Hassel – beste Gelegenheit dem netten Herrn ausschweifend über die Karriere des Promi-Herrn zu erzählen, den wir bis vor wenige Minuten selbst noch nicht kannten. Auch er versprach uns, nachdem wir ihm etwas über das „versteckte Theater“ erzählten, mit seinen theaterbegeisterten Enkelkindern sicherlich mal zu einer Theateraufführung nach Schwelm zu kommen. Hoffentlich hält er Wort!

Eigentlich waren halbstündige Theateraktionen geplant – am Ende spielte das Ensemble aber pausenlos von 11:00 bis 15:00 Uhr durch. Die letzte Stunde nutzte man um auch mit anderen Theatergruppen oder sonstigen Vereinen an den benachbarten Tischen ein wenig ins Gespräch zu kommen und auch hier „Werbung für Schwelm“ zu machen. In der übrigen Zeit wurde improvisiert was das Zeug hält: Die A40 wurde zum Laufsteg für ein Autobahn-Model-Shooting, was regelmäßig in einem Chaos endete – durchs Bild laufende Passanten störten „unsere Heidi Klum“ und nicht wenige unserer „Mitspieler wider besseren Wissens“ ärgerten sich über den rüden Umgangston, der unserem Model gegenüber eingeschlagen wurde und wetterten heftig mit, um unser Top-Model in Schutz zu nehmen. „Gehen Sie weiter – hier gibt es nichts zu sehen“ hieß es dann später. Eine Menschentraube bildete sich dennoch, denn jeder wollte natürlich wissen "was da wohl passiert ist". Abgeschirmt von den Scusi-Akteuren konnte der eine oder andere „Gaffer“, dann doch noch einen schnellen Blick auf unsere Theater-Inspizientin Simone Gräbner erhaschen, die nichts weiter tat, als sich für das Sonnenbad –mitten auf der A40 – einzucremen. Etwas erschreckend war allerdings der Umstand das sobald es hieß „Kommen Sie her, wir brauchen Hilfe“ (selbstverständlich war nur das Eincremen des Rückens gemeint…) die Leute ihren Schritt beschleunigen! Hmm, kein schönes Zeichen für unsere heutige Gesellschaft.

Bürgermeister Jochen Stobbe ließ es sich ebenfalls nicht nehmen, mit seiner Familie über die A40 zu flanieren und einen längeren Zwischen-Stopp an den Schwelmer Tischen einzulegen. Die Zeit wurde sinnvoll mit einem ebenso netten wie gemütlichen Gespräch bei einem (noch) kühlen Mineralwasser in der Mittagssonne verbracht. Apropos Mittagssonne! Diese inspirierte das Ensemble zur aktiven „Zuschauer-Beschattung“. Mit den „Scusi-Regenschirmen“ wurden Passanten über mehrere hundert Meter von den „Schattenmännern“ bzw. „Schirmherren“ begleitet , quasi als kostenlose Dienstleistung der Stadt Schwelm, damit die Sonnenbrandgefahr im Zeitalter der globalen Erderwärmung etwas reduziert wird – die „Mitspieler wider besseren Wissens“ reagierten hier ganz unterschiedlich, nicht wenige waren genervt, einige flüchteten sogar aber die meisten fanden es lustig und nahmen die laufenden Schattenspender gerne in Kauf. Wenn sich am Ende aufklärte, dass man Teil eines Theaterspiels geworden ist, war die Reaktion aber immer gleich: Lautes Lachen und anerkennendes Nicken und „ob man nicht mal ein Kärtchen haben dürfte“…

„Hallo Schwelm!“, hörten wir (kurz vor Feierabend) von der Mobilitätsspur! Hier hatten sich schon mittags einige Schwelmer Scusi-Freunde mit Inline-Skates auf den Weg gemacht um das Ensemble live und in Farbe bewundern zu können. Fix und fertig, kamen diese dann bei uns an und wurden erst einmal mit frischem Wasser versorgt. „Wir haben fast nur in der prallen Sonne gestanden, da ist ein Fahrradstau nach dem anderen“, hieß es.

Die Animation der Mobilitätsspur lag Scusi?! selbstverständlich auch am Herzen. Somit wurde die Zuschauerperspektive zwischendurch auch auf die andere Autobahnhälfte verlegt. Über die Abgrenzung, die wir selbstverständlich nicht überschreiten durften, wurden „Gruppenaufrufe zum Massenklingeln“ durchgeführt, den Radlern die Route Richtung Paris erklärt, einfach charmante Komplimente ausgesprochen. Geschwindigkeitskontrollen durchgeführt und der eine oder andere Spaß mit „rastenden Radlern“ absolviert. Aber auch ganz weit weg vom Scusi-Tisch konnte man vor den Theaterakteuren nicht sicher sein. Hinter den Spaziergänger wurde das eine oder andere laute Streitgespräch geführt: Mit einem „Hast Du der auf den Popo geglotzt“ wurde direkt hinter den Spaziergängern ein handfester Streit aufgebauscht, der viele zum schnelleren Laufen, belustigten Blicken oder sogar zum „einmischen“ animierte. Am Scusi-Tisch erfolgte dann immer „die Auflösung“, wenn das Ensemble im Chor geschlossen brüllte „Der hat der auf den Ar*** geglotzt“.

Aber auch die Besucher direkt am Tisch konnten sich über allzu viel Ruhe freuen. Wer am Scusi-Tisch verweilte wurde gnadenlos ins „offene Theater“ eingebaut. Bei rastenden Fußgängern wurden Phantasie-Bestellungen aufgenommen! Ein Akkordeon-Spieler musizierte direkt am Tisch, während das Ensemble als Chor funktionierte und auch das Publikum zu lautstarken Mitsingen animierte. Der Menschenauflauf wurde nur noch dann größer als Scusi Besuch von der Polizei bekam. Die beiden Polizeibeamten spielten aber (nach einem Seitenblick auf unser Theater-Schild) lustig mit, während sie von einigen Ensemblemitgliedern mit improvisierten Sprüchen und Geschichten witzig auf die Schippe genommen wurden. Am Ende folgte einer der Beiden sogar dem Aufruf doch bitte mal den schönsten „Bullen-Witz“ zu erzählen! Das macht von einem Polizisten doppelt Spaß! Mit der mitgebrachten Gitarre wurde dem Herrn noch ein Song improvisiert. Weitere Lieder improvisierte man über die A40, das Stillleben, Schwelm, das heiße Wetter und den einen oder anderen Passanten… Gereimt hat sich dabei nicht immer alles, aber lustig war’s…

„Seit ihr Schwelmer alle so verrückt?“, fragte ein Besucher aus Dortmund-Brackel, der das Ensemble für die innovativen Ideen und die abwechslungsreiche Street-Comedy ausgiebig lobte. Nach eigenen Angaben habe er auf den letzten Kilometern nichts Vergleichbares erleben dürfen und würde nun sicherlich für einen Theaterbesuch einmal nach Schwelm reisen, auch wenn er ehrlich gesagt keine Ahnung habe, wo das genau ist…

Wo genau am Ende unser Parkplatz war, dass wussten wir Gott sei Dank noch: Weit (sehr weit) weg und somit machten wir uns um halb Fünf, nach einem spaßigen, sonnigen und abwechslungsreichen Tag, wieder auf den Weg Richtung Autos. Reichlich „kaputt“ saßen wir dann eine halbe Stunde später auch im Auto und freuten uns schon da auf ein leckeres „Abendbrot“ mit allen Akteuren in Schwelm – da wurde dann auch nur noch geschlemmt und nicht mehr improvisiert, was besonders die Bedienung gefreut haben sollte…

Besucher haben wir gestern jede Menge gesehen, von dem was sonst noch so geboten wurde, aufgrund der eigenen Aktivitäten, aber leider wenig. Wie auch immer: Vom Motorsportclub über Tanzformationen bis hin zu Spiel-Club und Fußballfans waren einfach völlig verschiedene Gruppen vertreten um in friedlichem Ambiente einen Tag „Ihr Ding“ zu präsentieren. Nach dem großen Erfolg wird über eine Wiederholung des Festes nachgedacht.

Nach diesem spektakulären Kulturhauptstadtprojekt erwartet die Polizei nun wieder den ganz normalen Berufsverkehr auf dem viel befahrenen Ruhrschnellweg – naja, zumindest können sich die im Stau stehenden Autofahrer heute (rechts und links) jede Menge Kreidenmalerei ansehen (irgendwo in Bochum-Hamme ist auch Scusi verewigt…), zumindest solange, bis der nächste Regen kommt. Oder der nächste „lange Tisch“...

Autor:

Enzo L. Caruso aus Schwelm

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