Hans

„Ich bin Hans“, sagt er bei unserem Kennenlernen. „Alle guten Menschen heißen Hans.“ Hans im Glück, denke ich sofort und schaue meinem Gegenüber in das von Lebensjahren gegerbte Gesicht. Kraft, Witz, Leid spiegeln sich wider – die Erfahrungen aus 93 Jahren blitzen unter den buschigen Augenbrauen hervor. Lacht Hans mich aus? Nein, er lacht nicht. Er freut sich, weil sich jemand die Zeit nahm, ihn im Pflegeheim zu besuchen und mit ihm zu plaudern.

„Was habe ich schon zu erzählen?“, fragt er rhetorisch und beginnt bei seiner Kindheit in Potsdam, verharrt bei seinem Vater, dem Polizeibeamten, der sich immer ein Stückchen höher gearbeitet hat, bis am Haustürschild zu lesen stand: Mertinkat, Polizeiobersekretär. Der Sohn war stolz auf den Vater. Auch wenn der ihn einmal fast in den Tod getrieben hat: Hans liebäugelte mit dem Schauspielerberuf. Doch sein Vater wollte auch stolz sein auf ihn und nicht irgendwann mal auf einen alternden Clown. So verschaffte er seinem Jungen eine richtige Arbeit, bis dem alles zu viel wurde – auch sein Leben. Schockiert holte ihn der Vater wieder nach Hause zurück und verschaffte ihm ein Engagement am Theater. Dort lernte der Glückliche ein Mädchen kennen. „Ehrenmann, der ich war, habe ich sie geheiratet.“ Und damit war`s aus mit der Schauspielerkarriere. Hans wurde zuerst Elektriker und zog später in den Krieg. Zwischendurch hat auch er sich immer ein bisschen „hochgearbeitet“. Dann war er Gefangener der Amerikaner, danach der Russen. Fast wäre er hingerichtet worden, Weihnachten 1945, aber dann hatten sie ihn einfach vergessen. Und dieser Mann fragt, was er zu erzählen hätte?

Er liest jetzt noch den „Spiegel“, aber den braucht er nicht, um zu sehen, wie verrückt sich die Menschen auf dieser Welt benehmen. „Wegen religiöser Probleme schlagen sie sich die Köpfe ein.“ Hans schmunzelt: Er habe einmal eine Nachricht gelesen, in der stand, dass sich ein Oran-Utang menschlich verhalten hätte. „Der hat den Stock genommen und seine Frau verprügelt. Ach Mensch!“
Nein, auch 93 Lebensjahre haben Hans zu keinem politischen Menschen gemacht, weil er weiß, dass die „ganzen Politikaster reden können, wie sie wollen. Wo es lang geht, bestimmt sowieso wer ganz anderes: Das Geld!
Vielleicht bin ich wirklich Hans im Glück“, sagt er nachdenklich, „doch eigentlich sollte ich jetzt bald gehen.“

Autor:

Silvia Dammer aus Hagen

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