Epochen eines Hauses

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Dieses Haus hat wahrlich einiges zu erzählen: Das Haus Ende am Ostender Weg diente als Alterswohnsitz eines Industriellen, wurde Anfang der 20er Jahre von Franzosen besetzt, war Wohnsitz der NS-Wirtschafts-Größe Albert Vögler, diente als Kinderheim und ist heute Standort einer Zivildienstschule.
So versteckt, wie es am Ost-ender Weg zwischen Bäumen und Rhododendronbüschen liegt, hat das Haus Ende etwas Unscheinbares.
Doch die große vorgelagerte Terrasse und der große Saal zeigen deutlich, dass mit diesem, in einer wunderbaren Parklandschaft mit kleinen Skulpturen gelegenen, Landsitz die gesellschaftliche Stellung des Hausherren repräsentiert werden sollte.

Im Jahr 1913 ließ sich Kommerzienrat Robert Müser, Leiter der Harpener Bergbau AG, von den Dortmunder Architekten Pinno und Baumann diesen neobarocken Bau errichten - als Alterssitz.
Die Villa ist mit ihrem Gemisch aus verschiedenen Bauformen des Neobarock, des Jugendstils und klassizistischen Elementen fast schon ein Paradebeispiel für Repräsentativbauten des ausgehenden wilhelminischen Zeitalters.
Es geht die Geschichte, dass sich Müser nach einem Aufenthalt auf der Schlossanlage seines adeligen Industriellenkollegen Romberg in Brüninghausen auf die Suche nach einem geeigneten Alterssitz in der Gegend gemacht haben soll und schließlich in Ende fündigwurde.
Nachdem sich zu Beginn der 20er Jahre französische Soldaten während der Ruhrbesetzung des Landsitzes bemächtigt hatten, verkaufte Müser Haus Ende an den Stahlindustriellen Albert Vögler.

Mit Vögler verbindet sich die schillerndste und zugleich dunkelste Periode der Historie von Haus Ende: Vögler stieg während der Weimarer Republik zum Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke und führenden Vertreter der Ruhrindustrie auf. Während der Zeit des Nationalsozialismus wird Haus Ende so etwas wie eine „Schaltstelle“ der Ruhrindustrie. Ab 1942 ist Vögler als so genannter „Wehrwirtschaftsführer“ entscheidend an der Organisation der deutschen Rüstungswirtschaft für den Zweiten Weltkrieg beteiligt.
Im Dezember 1944 ernennt der Reichsminister für Bewaffnung und Munition, Albert Speer, Vögler zu seinem Generalbevollmächtigten für das Rhein-Ruhr-Gebiet. Als Chef des Ruhrstabes leitet Vögler die im Ruhrgebiet arbeitenden Dienststellen des Reichsministeriums für Rüstungs- und Kriegsproduktion. Am 14. April begeht Albert Vögler Selbstmord.

Nach dem Krieg wurde Haus Ende zum Schauplatz sozialer Aktivitäten: die Arbeiterwohlfahrt nutzte den Landsitz als Säuglingsheim und seit 1982 beherbergt Haus Ende nun eine Zivildienstschule. In den Räumen der Villa befinden sich die Verwaltung, die Küche und die Speiseräume sowie der große Plenarsaal mit der Bibliothek. In den drei Neubauten auf dem Gelände des Landsitzes verfügt die Zivildienstschule über sieben Seminarräume, einen Krankenpflegeraum und mehrere Freizeiträume.

Haus Ende ist eine von 20 Zivildienstschulen bundesweit, ihr Einzugsgebiet ist das Ruhrgebiet und die Rheinschiene von Düseldorf bis Bonn. Gut 150 Zivildienstleistende können hier untergebracht werden.
„Wir führen hier zwei Arten von Lehrgängen durch“, erklärt der Schulleiter Hans-Otto Garling. „In einem einwöchigen Pflichtlehrgang lernen die jungen Leute die Rechten und Pflichten eines Zivildienstleistenden kennen. Daneben bieten wir noch dreiwöchige Fachlehrgänge an, etwa über den speziellen Umgang mit kranken und behinderten Menschen.“
Bestandteil der einwöchigen Einführungskurse ist auch ein Kursus zur politischen Bildung.: „Hier geht es um Themen wie Klimaschutz und Gentechnik, aber auch um Euthanasie in der NS-Zeit.“

Steht auch die Geschichte der Villa und ihres Eigentümers Albert Vögler auf dem Lehrplan? „Nein, in den Kursen gehen wir da nicht näher drauf ein. Natürlich antworten wir auf die Fragen der jungen Leute, wenn sie sich dafür interessieren“, so Garling. „Außerdem käme man da nur durch Archivrecherchen weiter, und das sprengt einfach den Rahmen unserer Kurse.“
Garling führt uns durch die Innenräume des unter Denkmalschutz stehenden Hauses. Das große Wohnzimmer beeindruckt noch heute die Besucher mit seiner raumgreifenden Architektur. „Dass muss damals schon sehr schön ausgesehen haben, auch mit den Palmen, die damals hier für eine besondere Atmosphäre sorgten“, erzählt Garling. Salonräume im Rokokostil schließen sich an.

Mit den Worten „Das könnte sie auch noch interessieren“ öffnet Garling eine Tür und führt uns treppab in die Kellerräume der Villa. Nach einer weiteren Schlüsseldrehung stehen wir in einem eindrucksvollen „Partykeller“, der wie die gesamte Villa noch den Geist des Wilhelminischen Zeitalters zu atmen scheint.
Diverse in die holzvertäfelten Wände geritzten Sprüche wie „Eintracht hält Macht“ vertiefen diesen Eindruck noch. „Für Freizeitzwecke können wir diesen Raum leider nicht nutzen“, bedauert Garling. „Aber ab und zu halten wir hier unsere Mitarbeiterversammlungen ab.“
In der ersten Ausgabe der „Herdecker Blätter“ resümiert der Autor Gerhard Brune die wechselvolle Geschichte des herrschaftlichen Landsitzes mit feiner Ironie: „Errichtet durch einen Großindustriellen der Gründerzeit, bis 1945 im Besitz der Familie Vögler, nun (...) bewohnt von jungen Leuten, die sich unter Berufung auf das Grundgesetz vom Dienst an der Waffe haben befreien lassen, um im zivilen Bereich ihren Dienst für die Allgemeinheit zu leisten.“
Haus Ende: eine wechselvolle Geschichte zwischen Rhododendronbüschen...

Autor:

Jens Holsteg aus Herdecke

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