Aus dem Buch „Harkort in Eickel“ von Wolfgang Viehweger, 2012 Hermannschüler erinnern sich

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Am 18. März 2012 hielt Wolfgang Viehweger im „Meistertrunk“ in Eickel eine Lesung über die ehemalige Hermannschule, die von 1892 bis 1944 im Eickeler Bruch stand und in ihrem Bildungskonzept auf Friedrich Harkort zurückgeht. Das Besondere an der Veranstaltung bestand darin, dass ehemalige Schülerinnen und Schüler die Erinnerungen selbst vortrugen, die sie bereits als Interviews zu dem Buch über Harkort beigetragen hatten. Für die 40 Gäste war es ein unvergesslicher Eindruck, als die Geschichte ihre Stimme erhob und in den Vorträgen der über 80jährigen lebendig und authentisch wurde.

Interview von Erika Höfener, geb. Mülder

Ich bin geboren am 19. Juli 1927 als Tochter des Schlossers Wilhelm Mülder und seiner Ehefrau Antonie. Wir wohnten Pionierstraße 9, heute Distelkamp. Der Vater arbeitete im Übertagebetrieb auf der Zeche Pluto – Wilhelm, die Mutter war Hausfrau.
Meine Schwester Ilse war zwei Jahre älter als ich, sie wurde 1932 an der Hermannschule eingeschult, ich zu Ostern 1934. Meine Klassenlehrerin war drei Jahre lang Fräulein Gerhard, danach übernahm uns Herr Schulte – Gosewinkel, ein feiner Mann, bei dem wir viel lernten. Wir waren mit 52 Schülern /-innen in der Klasse. Überhaupt hatte die Hermannschule große Klassen. Die Schule hatte einen guten Ruf. Wenn man in das Gebäude wollte, musste man mehrere Stufen hochsteigen und kam dann zu einem Rundportal mit zwei Flügeltüren. Die Klassenräume befanden sich unten, der Musiksaal war oben im ersten Stock. Wahrscheinlich gab es oben noch weitere Fach- und Arbeitsräume für ältere Schüler. Ich erinnere mich, dass die Fußböden in den Klassenräumen aus Holz waren, sie rochen nach Öl, besonders nach den Ferien. Die Fenster waren hoch und breit, sie hatten keine Gardinen. Geheizt wurde im Winter über eine zentrale Koksheizung, der Ofen stand im Keller. Wir hatten auch Klassenschränke für Unterrichtsmaterialien. Sportunterricht hatten wir auf dem Schulhof, wo sich seitlich die Toiletten befanden. Im Fachbereich Handarbeit lernten wir zunächst Stopfen, Häkeln und Stricken. Während dieser Zeit hatten die Jungen „Raumlehre“ (angewandte Mathematik/Physik). Es wurden u.a. Würfel berechnet. Wenn wir Wandertage machten, ging es meist zum Hertener Busch, wo wir Bäume, Kräuter und Blumen bestimmten. Auch Vogelstimmen lernten wir zu unterscheiden. Die Ausflüge waren also lebendige Naturkundestunden.
Im Frühjahr 1939 kam ich wegen der Aufteilung nach Jungen und Mädchen zur Südschule. 1942 war ich ein halbes Jahr mit der Kinderlandverschickung auf der Bühler Höhe im Schwarzwald in einem vornehmen Hotel. Entlassen wurde ich 1943 und konfirmiert an der Zeppelinstraße in der Zwölf-Apostel-Kirche von Pfarrer Hensel. Schon 14 Tage später kam ich in die hauswirtschaftliche Lehre nach Bielefeld. Diese Lehre war eine Alternative zum Pflichtjahr in der Landwirtschaft. Wegen meiner Schmächtigkeit brauchte ich nicht zu den Bauern auf das Land. Ich half im Haushalt und passte auf das einjährige Kind der Gastfamilie auf. Einmal in der Woche ging ich nach Bethel zur Hauswirtschaftsschule. Dort lernte ich das Kochen.
Im Herbst 1943 kam ich nach Haus zurück . Ich setzte meine Lehre im Evangelischen Krankenhaus in Herne fort. Es wurde von Diakonissen geleitet. Dort blieb ich, bis das Krankenhaus 1944 bombardiert und zerstört wurde. Danach sollte ich als Luftwaffenhelferin eingezogen werden, wurde aber zurückgestellt und arbeitete in der Maschinenfabrik Knapp in der Alarmzentrale. Am 29. September 1944 wurde die Fabrik ebenso durch Bomben zerstört wie die Hermannschule. Ich weiß noch, dass auf der Kurfürstenstraße die meisten Häuser in Trümmern lagen, nur das Schuhhaus Philipps rechts neben der Hermannschule blieb verschont.
Nach dem Krieg habe ich meinen „Feldpostfreund“ Hans Höfener aus Bochum geheiratet, dem ich im Krieg Briefe und Päckchen geschickt habe, ohne dass wir uns vorher kannten. Ich hatte nur seine Feldpostadresse bei der Marine. Wir haben zusammen noch die Silberne Hochzeit gefeiert. Mein Mann ist 1975 gestorben. Meinen Lebensunterhalt verdiente ich als Fachverkäuferin im Lederwarengeschäft Droste in Bochum. Ich war bei Droste 29 Jahre angestellt.

Interview von Christel Kokott, geb. Winter

Ich wurde geboren am 29. November 1928 als Tochter des Reichsbahnbeamten Eugen Winter und seiner Ehefrau Hertha, geb. Quelle. Wir wohnten auf der Göbenstraße 128 (heute: Kurhausstraße 128). Eingeschult wurde ich an der Hermannschule zu Ostern 1935. Rektor war Herr Becker, der eine „Igelfrisur“ hatte. Unser Klassenlehrer war Herr Schulte-Gosewinkel, der nach meiner Erinnerung auf der Reichsstraße wohnte. Ein anderer Lehrer war Herr Steinke, der ein steifes Bein hatte. Wir hatten auch eine junge Lehrerin, Fräulein Quinke, mit der ich nicht zurecht kam. Ich war nämlich Linkshänderin und musste mit der rechten Hand schreiben, was mir sehr schwer fiel. Weil ich bei Diktaten so langsam schrieb, nannte mich Fräulein Quinke immer „Oma“. Auch andere Linkshänder hat sie ausgeschimpft. Deshalb haben sich die Eltern beschwert. Das Schimpfen hörte danach auf. Ab 1937 war unser Klassenlehrer Rektor Artur Koch. Im Jahr 1939, als Jungen und Mädchen getrennt wurden, wechselte ich für zwei Monate zur Liboriusschule, dann einen Monat zur Kirchschule, schließlich kam ich zur Südschule nach Röhlinghausen.
Ich erinnere mich, dass wir in der Stadthalle „Käseglocke“ neben der Löwenkirche bei einem Schulfest „Die Zaubergeige“ aufgeführt haben, ein rührseliges Stück von einem Sohn, der in die weite Welt wollte und dort viele Abenteuer erlebte. Er wurde immer wieder gerettet von Frau Holle und guten Feen. Eine Gruppe von Mädchen tanzte dazu in Kostümen von der Tanzschule Diel den „Schneeflockenreigen“, eine andere Gruppe tanzte den „Elfenreigen“. Das geschah noch während meiner Zeit an der Hermannschule.
Den Schulabschluss machte ich 1943. Danach begann das Pflichtjahr in Spenge bei Herford. Ich kam zu einem Bauern und lernte alles, was zur Landwirtschaft gehört: das Anschirren der Pferde, das Eggen und Walzen; im Haushalt das Kochen und Buttern, beim Schweinschlachten das Wursten. 1944 bestand ich die Aufnahmeprüfung an der Handelsschule in Bielefeld. Anfang 1945 sollte ich noch in die Rüstungsindustrie, bin aber nach Hause gefahren und wurde nicht mehr zur Rechenschaft gezogen. Nach dem Krieg arbeitete ich im Büro der „Lichtburg“, schließlich im Büro der Brauerei Hülsmann. 1952 heiratete ich und wurde Hausfrau. Mein Mann war beschäftigt bei den Stadtwerken in Bochum. Seitdem wohnen wir in Bochum-Hordel.

Autor:

Gerd Kaemper aus Gelsenkirchen

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