Zeitzeuge des Faschismus

Foto: Krusebild

Eine ehrfürchtige Stille herrscht im Klassenzimmer des Max-Born-Berufskolleg in Recklinghausen als Leslie Schwartz den Raum betritt. Man sieht dem New Yorker sein Alter und seine Geschichte nicht an: Sehr lebensbejahend, fröhlich und humorvoll wirkt der 83-jährige. Und wenn er zu erzählen beginnt, ist eben diese Lebensfreude sehr bewundernswert.
Leslie Schwartz mit dem eigentlichen Namen Laszlo Schwartz wird 1930 in einem kleinen Dorf in Ungarn geboren. Er erlebt eine ganz normale Kindheit mit Vater, Mutter und einer kleinen Schwester. Dann beginnt das Grauen, welches er in seinem Buch „Durch die Hölle von Ausschwitz und Dachau- Ein Junge erkämpft sein Überleben“ festgehalten hat. Es beschreibt den Leidensweg eines 14- jährigen ungarischen, jüdischen Jungen zur Zeit des Faschismus.
Im April 1944 sollen sich alle jüdischen Einwohner des kleinen ungarischen Dorfes vor der Synagoge einfinden. Ohne großartige Erklärungen werden sie eingesammelt und in ein Ghetto in Kisvárda gebracht. Zwei Wochen später fährt die SS vor und treibt die Einwohner kommentarlos in Viehwagons. Mit 80 Mann pro Wagon und nur einem Rucksack voll Verpflegung beginnt der lange Weg nach Ausschwitz. Erst ist es Neugier, welche dann Verzweiflung und Angst weicht, als der 14-jährige Leslie Schwartz das riesige Tor und die glühenden und rauchenden Schornsteine sieht. Er weiß: „Hier stimmt was nicht.“. Der Zug stoppt. Umgeben von hohen Zäunen, verängstigt und erschöpft steigen die Gefangenen aus -auch Schwartz, seine Mutter, sein Stiefvater, sein 6-Monate alter Bruder und seine 13-jährige Schwester.
Empfangen werden sie von dem berühmt-berüchtigten Lagerarzt Josef Mengele, der die sogenannte Selektion durchführt. Hier sieht Schwartz das letzte Mal seine Familie. Auf die Frage nach seinem Alter lügt er und sagt, dass er 17 sei, da er lieber bei den Männern bleiben will. Dennoch soll er dem Kinderlager zugewiesen werden, was später seinen sicheren Tod bedeutet hätte, so weiß er heute.
Aber durch eine Schicksalsfügung trifft er im Lager auf den Bruder eines Freundes, der ihn überredet, mit ihm und anderen Männern auf den Zug nach Dachau zu steigen. In Dachau angekommen werden die Häftlinge auf die 165 Außenlager verteilt. Im Außenlager Karlsfeld muss Schwartz in einem bayrischen Motorenwerk arbeiten und wird später dem Eisenbahnbau zugeteilt. Dort muss er unter Schmerzen und Hunger schwere Arbeiten, wie Zementsäcke schleppen, verrichten.
Doch auch hier hat er Glück: Ein Offizier hatte Mitleid mit dem halbtoten Kind, nennt ihn Lazarus und beschützt ihn. Auch steckt er ihm hin und wieder etwas zu essen zu. Einen weiteren Schutzengel findet er in einer älteren Dame namens Agnes Riesch, die mit dem Fahrrad seinen Weg kreuzt. Er fragt sie nach etwas Brot, sie beäugt ihn kurz und blickt auf seine Markierung: „Politischer Häftling? Du bist doch kein politischer Häftling.“, zitiert Schwartz. Fortan bringt sie ihm jeden Donnerstag ein Stück Brot oder auch mal eine Mark, obwohl sie selbst nicht viel hat.
Jedoch hält diese Hoffnung nicht lange, denn Schwartz wird zusammen mit 3600 Häftlingen im KZ Mühldorf in einen Zug gezwängt, der als der Mühldorfer Todeszug bekannt ist. Während dieser Fahrt gibt es weder Lebensmittel noch Wasser. Der Zug muss jedoch aufgrund eines technischen Defekts in Poing (Nähe München) Halt machen. Drei SS- Wachen öffnen die Zugtüren und sagen: „Ihr seid befreit.“. Voller Hoffnung stürmen die Häftlinge in den Wald. Schwartz findet Unterschlupf in einem Bauernhof. Sich in Sicherheit wiegend hört er auf einmal eine Stimme hinter sich: „Hände hoch!“ Schwartz versucht zu fliehen, wird jedoch im Nacken und Gesicht getroffen und geht zu Boden. Mit vielen anderen wird er zurück zu den Wagons gebracht. Einige Zeit später greifen zwei amerikanischen Flugzeuge wegen einer militärischen Fehleinschätzung den Zug an. Nach unzähligen Verlusten befreien die amerikanischen Soldaten die Häftlinge. Schwartz wird aufgrund seiner Verletzungen und der Erkrankung an Typhus in ein Krankenhaus gebracht. Die notwendige Operation erfolgt- von einem SS-Arzt.
„Die Zusammenarbeit mit Schülern ist für mich ein Heilungsprozess.“, sagt Schwartz. Und die Schüler danken es mit Ehrfurcht und Wissbegier. Besonders sind sie an seinen Gefühlen den Deutschen gegenüber interessiert. „Das erste Mal als ich nach diesen Ereignissen nach Deutschland kam, war schwierig. Ich war aufgeregt und nervös. Aber ich fühlte keinen Hass.“.
Heute ist Leslie Schwartz in zweiter Ehe mit einer Deutschen verheiratet, lebt in New York und zeitweise auch in Münster. Daniela Holz

Autor:

Lokalkompass Recklinghausen aus Recklinghausen

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