Wann ist man Wirtschaftsflüchtling aus einem sicheren Herkunftsland?
Muttersprache und Vaterland

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Gedanken von Stephan Leifeld

Ellis Island hat viele von diesen auf dem Foto abgebildeten Menschen gesehen.

"Frauen oft mit Kopftuch, geringe Sprachkenntnisse, kinderreich, bildungsfern..."

Nicht nur um 1900 sind viele Deutsche ausgewandert. In die USA. Wenn sie nicht in anderen Erdteilen versucht haben, ihr Glück zu finden. Ellis Island war vor New York das Portal in die Neue Welt. Ein Nadelöhr, um eine neue Heimat zu erreichen. In der alten Heimat hat es zu dieser Zeit nicht gut ausgesehen. Ein tiefer Riss teilt das soeben nach außen geeinigte Land. Bismarck stellte Einheit über Freiheit. Es hat kaum eine Mittelschicht gegeben. Teilweise reiche Bürger und besitzende Junker auf der einen Seite. Auf der anderen Seite massenweise Erwerbslose oder Menschen, die zu niedrigen Löhnen in den entstandenen Fabriken arbeiten mussten. Fehlende Wohnungen, Hunger, Arbeitslosigkeit. 

Zudem entpuppte sich in der neuen deutschen Gesellschaft der Reserveoffizier als das gesellschaftliche Ideal.

Sozusagen "sexiest man alive" war der deutsche Mann im Alltagsleben mit einer Uniform.

Mancher Deutscher hatte es schwer, in diesem neuen Deutschen Reich eine Perspektive auszumachen. Bildung war nicht in allen Schichten verbreitet. Der gesellschaftlich gelenkte Wille sorgte auch nicht für allgemeine Bildung. Wohlfahrt durch Kirchen, Arbeitervereine von Sozialdemokraten, um derartige Missstände ausgleichen versuchen, wurden von Bismarck und seinen Beamten nicht freundlich geduldet. Es gab schwelende soziale Unruhen... 

Kaum eine Bevölkerungsgruppe hat die USA in der Vergangenheit geprägt, wie die Deutschen. Binnen vier Jahrhunderten sind etwa sieben Millionen Deutsche nach Amerika ausgewandert. Auch wenn Deutsche in Übersee nicht so auffallen, geben doch heute beinahe soviel US-Bürger als "Heimat" Germany an, wie Deutsche in Deutschland leben. Etwa 70 Millionen dort, circa 80 Millionen hier. Das ist erstaunlich, meines Erachtens. Es zeigt auch, wie vielschichtig man eigentlich die Ursachen für Flucht und Migration betrachten sollte.

Ende des 17. Jahrhunderts beginnt die Welle der Deutschen Einwanderer in die entstehende USA. Nach dem 30jährigen Krieg haben sich nicht sämtliche Wogen kirchlicher Spaltungen derart glätten lassen, dass ein Zusammenleben ohne Weiteres denkbar war. Das bedenkt nur heute kaum noch jemand. Insbesondere in ländlichen Gegenden blieb es schwierig, was die Differenzen der christlichen Konfessionen angeht. Vielschichtige Gründe für Flucht. Beispielsweise gemischt konfessionelle Ehen. Womit ich katholisch-evangelisch meine, muslimisch war damals noch kein Thema.

Die später aufkommende Industrialisierung Deutschlands führt zu einem extremen Landverlust bei den Bauern. Etwa zwei Drittel von ihnen, können nicht mehr auskömmlich leben. Es zieht Deutsche Landwirte nach Amerika und Australien. Mit dem Ende der Zeit Bonapartes in Europa - und der neuen Organisation des Kontinents - kann man bereits von Massenauswanderung Richtung USA sprechen. Gerade für Deutsche scheint es das gelobte Land der 1000 Möglichkeiten...

Als dann noch 1848 die reformbürgerliche Revolution in Deutschland scheitert, sich Deutschland eher in eine andere Richtung entwickelt, als von Teilen der Bevölkerung gewünscht, zieht es wieder einige Menschen über den "großen Teich". Man spricht von den 48er-Auswanderern. 

Deutsche ziehen von Ost nach West durch die USA, lassen sich überall nieder. Teilweise leben sie über Generationen mit Doppel-Identitäten, um an ihrer Heimat festzuhalten. Auch die Deutsche Sprache wird in vielen Ortschaften - denen man auch deutsche Städtenamen gegeben hat - behalten und gefördert. 

Erst mit den beiden Weltkriegen ändert sich alles für die Deutschen-Amerikaner...

Sie müssen nun Farbe bekennen. Für ihre neue Heimat streiten und kämpfen - oder in einer antideutschen Hysterie untergehen, die komplette Existenz aufs Spiel setzen.

Besonders im II. Weltkrieg wird es deutlich. Während weiße Soldaten, englischer und deutscher Herkunft zumeist, offiziell für die Befreiung der Juden kämpfen - werden gleichzeitig Soldaten in den eigenen Reihen, die afrikanischer Herkunft sind, wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Eine regelrechte Doppelmoral, die man nicht besonders aufgearbeitet in den amerikanischen Geschichtsbüchern lange suchen muss. 

So frage ich mich, wenn ich diese Tage immer wieder die Bilder sehe, von Flüchtlingsströmen in Richtung Europa - wenn ich mal alle andere Hintergründe ausblende - wann ist der Mensch ein Wirtschaftsflüchtling - und wann flieht er ums Überleben... seiner Familie, seiner eigenen, nackten Existenz? Was wäre wirklich schlimm und verwerflich daran, wenn zwischen den Flüchtenden, die aus einem gerade tobenden Krieg weglaufen, ein Teil der Menschen weglaufen, weil sie zu Hause keine Perspektive haben. Dann frage ich mich auch: Ist gar der Mauerfall zwischen beiden Deutschen Staaten mehr aus wirtschaftlichen Gründen passiert - als aus politischen...? Wäre das schlimm...?

Die angehängten Bilder zeigen Slums aus Asien und Afrika. Das letzte Bild stammt aus einer Stadt in Syrien. Solche Bilder können m.E. normale Menschen nicht einfach kalt lassen...

copyright der Fotos frei - pixabay 

Autor:

Stephan Leifeld aus Schermbeck

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