Schnadegang Schicht 24 - Thomas Totzauer berichtet

In der Friedhofskapelle ist es wenigstens trocken - da kann man den Ausführungen des Friedhofsverwalters entspannter folgen.
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  • In der Friedhofskapelle ist es wenigstens trocken - da kann man den Ausführungen des Friedhofsverwalters entspannter folgen.
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Um 10 Uhr trifft sich die Gruppe von Nachbarn des Schichtes 24 zum diesjährigen Schnadegang vor dem Paulushaus; dort kreist westfälisch traditionell zur Begrüßung die Flasche mit dem Lebenswasser und den „3 Fliegen“ - erfahrungsgemäß beginnt man den Morgen am besten damit, womit man am Abend aufgehört hat! Weil ich am Abend zuvor gar nicht aufgehört habe, muss ich heute aussetzen.

Gemeinsam gehen wir mit geöffneten Regenschirmen (schon blöde Tradition) zum evangelischen Friedhof. Den haben wir 2011 schon oberflächlich besucht und jetzt dringen wir in die Tiefe - nicht ins Erdreich, sondern in die Materie der Begräbniskultur.

Herr Schroer, der Leiter des 90 ha großen, 1885 erstmals belegten Nachfolgers des Friedhofs hinter St. Viktor, erläutert uns die Entwicklung der Bestattungskultur von der Erbgrabstätte zur fast anonymen Baumbestattung.

Wir hören von 10 Prozent Feuerbestattungen vor 20 Jahren, als Herr Schroer hier seine Arbeit aufnahm, zu 80 Prozent heute, vom bedrückenden Bahnhofshallenflair der alten Trauerhalle, von der Ausrichtung der Gräber nach Osten und vom Bewahren der ganz alten Familiengrabsteine, um der Nachwelt von der früheren Kultur des Gedenkens zu künden.

Wir erfahren vom Vorzug der Friedhofspflicht und dass Holländer, die diese Pflicht nicht kennen, alte Urnen gern in Grachten entsorgen; in der Ergster Grachtensiedlung wird das wohl nicht passieren!

Wir erhalten Einblick in den lebhaften Konkurrenzkampf der Beerdigungsunternehmer von denen einer sogar den Trend zum Kolumbarium begründet hat und so seinen Keller als Alternative zum Friedhof vermarktet; wahrhaftig, die als farblos verschriene Branche schläft nicht - auf unserem Weg bemerkten wir schon, dass der Fuhrpark der Firma Kritzler in ähnlich freundlichem Weiß erstrahlt wie die renovierte Trauerhalle.

Bevor wir den Hort der Verstorbenen an einer Reihe Lebensbäume vorbei verlassen, fordert uns Herr Schroer noch auf, zu ergründen warum Männer früher als Frauen sterben; die Inschriften der Grabmale belegen dies eindeutig.

Als nächsten Programmpunkt treffen wir vor der Pforte zu einem schottischen Spezialitätenrestaurant (MacDonald - hähä - war'n Scherz!) die Abordnung des Schichtes 16, Schichtmeister Engelhardt und Herrn Eckhardt, mit denen wir die Baustelle der Kazehnenn in Augenschein und im Hospiz einen Kaffee zu uns nehmen.

Unser Schichtmeister Ludger, der im Rat des Hospizes den Vorsitz führt, bringt uns in seinem Vortrag die Philosophie der Einrichtung, nämlich Wohnen - Gesellschaft - Ehrenamt nahe; er berichtet von der in NRW einmaligen Höhe des Ehrenamtsanteils in dieser Einrichtung und von der Wertschätzung, die auch dem verwirrtesten Bewohner zuteil wird. Er erzählt uns von der derzeit politisch unkorrekten und deshalb umso liebenswerteren Akzeptanz des Rauchens und sogar von Maßnahmen den Bewohnern ihren gewohnten Tabakgenuss gesetzestreu möglich zu machen.

Beim Stichwort Genuss kommen wir zum Verzehr des zweiten mitgebrachten Schnapses - wohl zur Erinnerung an die Grachtenbestattung ein Genever; als erster wird tatsächlich der Himmel blau ... Wir verlassen nun das Hospiz, um bei Bubi zum Abschluss unseres Schnadeganges gemeinsam Erbsensuppe zu essen.

Auf dem Weg dorthin macht sich Ernüchterung breit, angesichts des Regengusses, den der mit Genever doch gerade erst freundlich gestimmte Himmel für uns bereit hält. Nächstes Jahr ballern wir wohl besser mit ostbayerischem Bärwurtz blaue Löcher in den bedeckten Himmel ...

Autor:

Sabine Totzauer aus Schwerte

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