Leipzig. Vergangenheit trifft auf Moderne!

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Leipzig, die zweitälteste Universitätsstadt in Deutschland. Mit der S-Bahn von Stötterits, einem beschaulichen Vorort von Leipzig, sind wir ruck-zuck mitten in der Innenstadt. Am Augustusplatz, in der Nähe des 120 Meter hohen MDR-Touers starten wir unsere Tour zu Fuß durch die sehenswerte Altstadt. Mein Bild von Leipzig ist bisher geprägt von historischer Baukultur. Dachte ich. Doch heute erlebe ich überraschender Weise etwas völlig anderes. Modernste Fassaden und Gebäude treten in den direkten Dialog zu geschichtsträchtigen barocken Bürgerhäusern aus der Gründerzeit- Vergangenheit trifft auf Moderne! Unkompliziert und bereichernd für beide Epochen einer Baukultur.

Eine spannende Auseinandersetztung. Ein Symbiose an vielen Orten in Leipzig.

Ich stehe auf dem Augustusplatz, vor einem super modernen Gebäude mitten in Leipzig und bin beeindruckt. Ich entdecke einen Kirchturm auf dem Gebäude, wo er eigentlich gar nicht hin gehört und eine weiße Fensterrosette, die nicht symmetrisch über dem angedeuteten Portal installiert ist. "Komisch!" schießt es mir durch den Kopf. Etwas irritiert und von Natur aus neugierig will ich´s wissen: „Warum ist das so? Welche Bedeutung hat diese eigenwillige Architektur?“ Ich bin mir sicher. „Da steckt mehr dahinter!“

Gedankenverloren stehe ich auf dem Augustusplatz. Eine freundliche hochbetagte Dame kommt mit ihrem prallgefüllten Einkaufskorb vorbei. Bleibt stehen. Lächelt mich an und fragt mich unverhohlen „Jetzt wüssten Sie wohl gern, wat dat bedeutet, oder?“ „Na, klar. Ist ja sicherlich nicht zufällig passiert“, antworte ich ihr. Sie scheint meine Gedanken lesen zu können. Sie lädt mich ein zu einem netten kleinen Plausch auf der benachbarten Park-Bank. Sie erzählt mir eine authentische Geschichte aus der Historie der Stadt Leipzig, die ich so schnell nicht wieder vergessen werde.

Eine Zeitzeugin blickt zurück: Todesurteil für die traditionsreiche Paulinerkirche im Jahr 1968.

Am 30. Mai 1968 wurde die völlig intakte Paulinerkirche gesprengt. Einfach so. Nur weil sie im Weg stand. 500 Jahre war sie ein Ort des universitären Lebens in Leipzig, dann fiel sie der sozialistischen Umgestaltung der Universität zum Opfer. "Das Ding muss weg!" – so soll sich laut Leipziger Volksmund SED-Chef Walter Ulbricht beim Anblick der Paulinerkirche geäußert haben. Überliefert ist ein Besuch Walter Ulbrichts in seiner Geburtsstadt Leipzig bei der Eröffnung des Opernhauses im Oktober 1960. Nach der Vorstellung bleibt Ulbricht zusammen mit dem SED-Bezirkssekretär Paul Fröhlich auf der Vortreppe stehen, Rundblick über den weiten Platz, 100 Meter entfernt die Paulinerkirche mit ihrem gotischen Spitzgiebel neben den Trümmern der im Krieg zerstörten Universität. Missmutig bemerkt Ulbricht: "Wenn ich aus der Oper komme, will ich keine Kirche sehen.“ Und dieser Ausspruch bedeutete das Todesurteil für das traditionsreiche Gebäude im Leipziger Stadtzentrum.

Die Umgestaltung des Platzes war fällig, die Universität brauchte endlich neue Gebäude, nachdem ihre Hörsäle und Labore zerstört worden waren. Kein geringerer als der berühmte Architekt Herbert Henselmann entwirft den sogenannten "Uni-Riesen", das Hochhaus in Form eines aufgeklappten Buches. Die Neubebauung des Platzes nimmt Rücksicht auf die im Krieg wundersamerweise unbeschadet gebliebene Paulinerkirche – vormals eine Klosterkirche und seit der Universitätsgründung von 1409 ein zentraler Ort des universitären Lebens in Leipzig. Sie wurde als Aula benutzt und als Hörsaal, dort predigte Martin Luther, dort musizierte Johann Sebastian Bach. Die Kirche barg in ihrem Inneren Kunstschätze: mittelalterliche Grabplastiken, Kircheninventar aus mehreren Jahrhunderten.

„Diese sakralen Kostbarkeiten wurden zu Zeiten des verhängnisvollen Abrisses als „Plunder“ bezeichnet. Übriggeblieben sind Teilstücke eines Reliefs. Sehen sie nur, Dort steht noch ein Teil“, verrät mir die Leipzigerin. Ganz rote Bäckchen hat sie vor Aufregung bekommen. als sie mir dieses Geschichte erzählt. Ich spüre auch heute noch ihre Emotionen, die sie mit dem Abriss dieser Kirche verbindet.

Die alte Dame führt mich rüber zur Glasfassade am Seiten-Eingang zur Universität. Und tatsächlich. Dort steht vor einer Backsteinwand das Relikt vergangener Zeiten, inmitten modernster Baukultur, hinter einer Glasfassade, wie sie moderner nicht sein kann. "Gut, dass wenigstes dieses kleine Mosaiksteinchen der alten Kirche erhalten und restauriert ist. Sie werden es einbauen in die moderne Bausubstanz. Als Erinnerung an 1968, das Jahr des Abrisses", erzählt sie mir.

"Alle Kirchenglocken läuteten damals aus Protest. Am 30. Mai 1968 gab es einen entsetzlichen Knall, der uns allen durch Mark und Bein ging. Viele von uns hatten Tränen in ihren Augen. Die Paulinerkirche fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen, zielgenau gesprengt. Ein kulturelles Desaster für uns Leipziger. Die Turmspitze kippte zur Seite. Die Fensterrosette fiel heraus. Aus Protest läuten die Kirchenglocken der anderen Kirchen der Innenstadt. Die Leipziger durften aus 150 Metern Entfernung zusehen. Noch am selben Tag begann der Abtransport der Gesteinsmassen. „Auf einem Bauschuttplatz sollte rasch Gras über die Sache wachsen“, erklärt mir die Zeitzeugin. „Für viele Leipziger ist die Sprengung der Universitätskirche, als ginge der Stadt ein Stück Identität verloren. Noch ein Vierteljahrhundert später beweisen die emotionalen Debatten um den Neubau des Paulinums, wie schmerzhaft die Sprengung der Kirche damals empfunden wurde“.

Nun entsteht ein neuzeitlicher Bau

Am Standort der Paulinerkirche auf dem Universitätscampus im Zentrum der Messestadt entsteht nun ein Nachfolgebau: das Paulinum. Äußerlich erinnert das Bauwerk stark an eine Kirche, im Inneren sollen mit Aula und Andachtsraum weltliche und kirchliche Nutzung vereint werden. Eine reine Kirche, wie von einem Aktionsbündnis gefordert, soll das Paulinum aber nicht sein. Schön, dass der Architekt die Historie dieses Ortes in seinen Planungen berücksichtigt hat“, freut sie sich zusammen mit vielen traditionsbewussten Leipzigern und Touristen dieser wunderschönen Stadt.

"So, nun muss ich aber weiter. Sonst bleibt heute meine Küche kalt" .Ein lebendiges Geschichtsbuch verabschiedet sich von mir. Eine unvorhergesehen, spannende Begenung, die ich niemals wieder vergessen werde.

Einige Hintergrundinfos zum neuen Augusteum und das Paulinum der Universität Leipzig: Das Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli ist ein Gebäude der Universität Leipzig am Augustusplatz. Das Gebäude entsteht seit 2007 an der Stelle, an der am 30. Mai 1968 die Paulinerkirche gesprengt wurde. Das Paulinum als universitätseigenes Gebäude vereinigt unter seinem Dach sowohl wissenschaftliche Institute und die Aula der Universität als auch ihren Andachtsraum. Aula und Andachtsraum sollen für größere Veranstaltungen über einen variablen und transparenten Raumteiler miteinander verbunden werden können. Die Eröffnung des Gebäudes ist für das Jahr 2014 geplant.

Einen weiteren Artikel über den Besuch der Stadt Leipzig finden Sie hier:
http://www.lokalkompass.de/arnsberg/politik/wir-gehen-weiter-leipzig-1989-d226225.html/action/lesen/1/recommend/1/

http://www.mdr.de/damals/09oktober89/artikel120288.html

Autor:

Marita Gerwin aus Arnsberg

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