ZIMMERBRAND

Solange ich Klaus kannte, trug er schulterlanges Haar. Aber selbst dann, wenn er seine verfilzten Strähnen noch nie gebürstet hatte, so konnte man trotzdem auf seinem Kopf eine Art Scheitel erahnen.
Klaus hatte nicht nur früher seine Vorstellungen wie er aussehen wollte - oder eben auch nicht.
Wohlwollend formuliert war seine Art sich zu kleiden lässig, um nicht das Wort abgerissen zu benutzen. Denn Klaus spielte immer die „proletarische Note“, wie er es nannte, um sich von „dieser Gesellschaft“ zu befreien.
Aber dann entdeckte man an seinem Outfit auch modische Accessoires, die es nur in dieser Gesellschaft gab. Da Klaus aber auch die abwegigsten Fremdworte kannte, glaubte er ein Intellektueller zu sein.
Wenn ich Klaus also besuchte, saß er ständig an einem wackligen Tisch, der verdammt nach Camping aussah und er schrieb. Bei dieser Arbeit grunzte er vor sich hin wie ein Schwein, das im Abfall wühlte. Auf dem Fußboden lagen seine gekritzelten Botschaften herum, die er „Notizen“ nannte.
Wenn er mich dann aber sah, lächelte er nur und wischte mit einer Handbewegung das Schreibpapier vom Tisch, als würden so geheimnisvolle Kräfte freigesetzt.
„Du weißt ja noch, mein Elternhaus war sehr autoritär…, “ sagte Klaus und sog an seiner Zigarette, „… und so bin ich schon früh ausgezogen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, während meines Studiums zu Hause zu leben. Ich war doch kein Nesthocker. Da hätten meine Eltern noch so liberal sein können.
Ich war da durchaus pragmatisch. Ob ich nun zu Hause lebte oder nicht, die Miete konnte ich allein sowieso nicht aufbringen.
Aber für mich war gleichzeitig jeder, der ab einem gewissen Alter noch immer unter dem Dach seiner Eltern schlief, ein Untertan, der es versäumt hatte sich vom Zwang seiner Familie zu befreien.“
„Du warst der Revolutionär, der sich aus der Wohnung seiner Eltern befreite...,“ lächelte ich und trank mein Bier.
„ Ja…, “ lachte Klaus, „…ich glaube das ist die bittere Wahrheit.
Irgendwann muss ich an einer Kreuzung falsch abgebogen sein. Denn damals gab es für mich nur diese „böse Realität“ oder die Illusion von einer „besseren Welt“.
Immerhin hatte ich noch Glück. Denn irgendwie habe ich diesen Totalschaden trotzdem überlebt. Da war mein Versuch zu schreiben sicher der Ausdruck mit meinen Enttäuschungen umzugehen.
Aber irgendwann genoss ich auch das Gefühl mich an die Schriftstellerei zu verlieren. Und plötzlich fühlte ich mich wie ein Süchtiger, der seine Sucht geradezu zelebrierte. Aber von dieser Sucht wollte ich auch nie mehr befreit werden.
So schreibe ich also schon vierzig Jahren ohne Erfolg zu haben. Das kann nicht jeder von sich behaupten, “ lächelte Klaus und bot mir eine Zigarette an.
„In dieser Zeit, “ sagte ich nüchtern, “ ich meine in den vierzig Jahren, hätte der Odysseus seine Irrfahrten wiederholen können.“
Klaus lachte:
„Im Gegensatz zu anderen Autoren musste ich zu meinem Leben nicht viel hinzu fantasieren. Wenn ich aber nachts das Licht lösche, um einzuschlafen, denke ich oft:
Jetzt bin ich nicht mehr das Schlusslicht der Gesellschaft.“
Ob Klaus jemals auch zusammenhängende Texte schrieb, weiß ich bis heute nicht. Denn er starb durch einen Zimmerbrand.

Autor:

Dr. Mathias Knoll aus Arnsberg

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