Ein Bild - Eine Geschichte
Aufgelaufen

Wütend starrte Arion aufs Meer zu seinem Schiff. Er konnte es kaum glauben, dass sie ihn wirklich über Bord geworfen hatten. Nun saß er auf dieser kleinen Inseln fest, mit nichts als seiner Kleidung auf dem Leib. Er sah sich um. Immerhin gab es ein paar Bäume, die Schatten spendeten. Er konnte in der Ferne hinter seinem Schiff die Küste erkennen, doch die war zu weit entfernt, um sie schwimmend zu erreichen. Vielleicht konnte er ein Floß bauen und so von dieser Insel entkommen. Doch was dann? Sein Schiff war dann immer noch in den Händen dieser treulosen Halunken. Zusammen mit dem Gold, das sie vor zwei Tagen erbeutet hatten. Der ihnen laut Vertrag zustehende Anteil war ihnen nicht genug gewesen. Als er sich weigerte, ihnen mehr zu zahlen, hatten sie ihn kurzerhand hinter dem Tisch vorgezogen und zu einem Paket verschnürt. Nur Cesco war es zu verdanken, dass sie ihn nicht sofort, mitten auf dem Meer über Bord geworfen hatten. Cesco. Arion hatte ihm vertraut, ihn für seinen Freund gehalten, doch auch er hatte sich diesem gierigen Pack angeschlossen.
Langsam trocknete die Sonne seine Kleidung, er klopfte sich den Sand ab und setzte sich an den Strand. Seine Kehle war ausgedörrt, doch er wollte seinen Blick nicht von seinem Schiff wenden, das sich langsam entfernte. Die Mannschaft war dabei, weitere Segel zu setzen. Arion stand wieder auf, beschirmte seine Augen mit einer Hand und starrte aufs Meer. Er hatte die Segel extra einholen lassen, weil es in diesen Gewässern viele Sandbänke dicht unter der Oberfläche gab. Man sah sie nicht, bis man auflief. Wenn sie zu viel Fahrt hatten, konnten sie nicht rechtzeitig ausweichen. Und wo war der Mann mit dem Lot? Er sollte am Bug die Wassertiefe messen.
Das Schiff neigte sich plötzlich zur Seite. Aufgeregte Schreie wurden vom Wind zu ihm herübergeweht. Arion begann zu fluchen. Er stampfte wütend in den Sand und zog sich am Bart. Diese Idioten! Jetzt hatten sie sein Schiff auf eine Sandbank gesetzt. Nicht nur, dass sie es ihm gestohlen hatten, jetzt machten sie es auch noch kaputt! Hier gab es keine nennenswerten Gezeitenströme, sie würden das Schiff nicht frei bekommen.
Die Beiboote wurden zu Wasser gelassen. Vollbepackt mit Fässern, Kisten und Männern steuerten sie auf die Insel zu, auf deren Strand Arion immer noch stand und ungläubig auf das Geschehen vor ihm glotzte. Jetzt kamen sie auch noch zu seiner Insel. Konnte der Tag noch schlimmer werden?
Das erste Boot schob sich auf den Sand und Elvin, der Anführer der Meuterei, sprang heraus. Schweigend sah er Arion an, die Augen abschätzend zusammengekniffen. Cesco kletterte hinter ihm aus dem Boot, den Blick verlegen gesenkt.
Arion ballte erst die Hände zu Fäusten und verschränkte dann die Arme. „Nun?“
Elvin richtete sich auf, seine Größe war beachtlich. „Die Insel ist zu klein für uns beide!“
Arion nickte. „Seh ich auch so. Du kannst die Insel behalten, ich nehme ein Boot.“
Elvin sah ihn einen Moment verdutzt an, anscheinend hatte er Protest erwartet. Er runzelte angestrengt die Stirn, als ob er eine Falle erwartete. Arion war es schleierhaft, wie er die Mannschaft dazu gebracht hatte, ihm zu folgen. Sein Verstand war das Gegenteil von seiner Körpergröße. Man konnte die Küste von hier aus sehen, man brauchte nur ein Boot, ein Ruder, um es zu steuern, vielleicht ein improvisiertes Segel. Es gab keinen Grund auf dieser Insel zu bleiben.
Elvin kam zu einem Entschluss. „Abgemacht, aber das Gold behalten wir, als Bezahlung für das Boot.“ Er bedeutete den Männern, eines der Boote zu leeren, was diese auch tatsächlich taten.
„Äh, Elvin. Wäre es nicht klüger das Boot zu behalten und damit zur Küste zu rudern?“ Cesco wies zaghaft auf die entfernte Küstenlinie.
Elvin drehte sich zum ihm um und schlug ihm ohne Vorwarnung die Faust ins Gesicht. „Auf wessen Seite stehst du? Das schaffen wir niemals! Wir bleiben hier und warten, bis ein Schiff vorbeikommt und uns aufnimmt. Kann ja nicht so lange dauern.“
Er drehte sich zu Arion um. „Nimm das Boot und verschwinde, bevor ich es mir anders überlege.“ Sein Blick fiel auf Cesco. „Und den kannst du gleich mitnehmen.“
Arion überlegte, ob er sein Glück zu sehr herausforderte, wenn er um Wasser, etwas Proviant und eine Decke bat. „Wenn ich den Verräter mitnehme, bekomme ich als Gegenleistung eine Decke, Wasser und etwas Proviant.“
Elvin überlegte kurz und grinste dann boshaft. „Warum nicht. Es wird euer Leiden nur verlängern.“ Ein Fass mit Wasser, ein paar gesalzene Fische und Trockenfleisch sowie eine Decke landeten im Boot.
Arion und Cesco schoben es ins Wasser, bevor Elvin es sich es anders überlegte.
Sie ruderten schweigend. Als sie an Arions Schiff vorbeikamen, seufzte er.
„Es tut mir leid.“ Cescos Stimme war kaum zu hören. „Ich kann nicht schwimmen.“
Arion verstand und schnaubte. „Glaubt er wirklich, dass ihn jemand rettet?“
Cesco zog nur die Schultern hoch. „Glaubst du, dass wir es bis zur Küste schaffen?“
„Selbstverständlich!“ Arion nickte bekräftigend, die Küstenlinie fest im Blick.
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Autor:

Sabine Kalkowski aus Bergkamen

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