Das innovative Nachwuchskonzept des VfL Bochum

Der Kampf um den Fußballnachwuchs wird immer unerbittlicher. Die Vereine sichten schon früh die Top-Talente. In Bochum hat man sich ein ganz besonderes Konzept einfallen lassen.

Die Karrieren von Philipp Lahm, Thomas Müller, Toni Kroos und Bastian Schweinsteiger haben mehr gemeinsam, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Die vier Weltmeister haben nicht nur unzählige Titel mit der Nationalmannschaft und dem FC Bayern errungen. Sie sind in den Anfängen der Karriere regelmäßig im „Stadion an der Grünwalder Straße“ im Münchner Stadtteil Giesing vor nur wenigen hundert Zuschauern aufgelaufen – in der 2.Mannschaft des FC Bayern, die m Fachjargon auch „U23“ genannt wird. Dort bekommen die Nachwuchstalente im Alter von 19-23 Jahren den letzten Feinschliff auf dem Weg zum Star-Spieler. Doch auch viele Traumkarrieren sind wie Seifenblasen zerplatzt – nicht nur beim FC Bayern. Ein Grund liegt darin, dass die Vereine immer früher mit der Talentsichtung beginnen. Dies gilt vor allem, seit die Pflicht zur U23-Meldung für Profivereine am 17.März 2014 abgeschafft wurde. Die Befürworter des Antrags von Bayer Leverkusen verwiesen auf das Missverhältnis zwischen finanziellem Aufwand und Ertrag. Grundtenor: Wer es mit 21 nicht geschafft hat, der schafft es doch mit 22 oder 23 auch nicht mehr.

Als „Katastrophe“ bezeichnete seinerzeit Ex-BVB-Coach Jürgen Klopp den Beschluss des DFL-Ligaverbandes. Ebenso wenig erfreut zeigte sich Ulf Baranowsky von der Spielergewerkschaft „VdV“. Der Interessenvertreter der Profi-Kicker befürchtet, dass junge Spieler in Clubs ohne Unterbau zu wenig Spielpraxis erhalten. Ein perfektes Beispiel für den Zwist unter den Experten bietet der Werdegang des Schalkers Leon Goretzka. Bereits in jungen Jahren wurde er als Top-Talent gehandelt. Mit gerade mal 21 Jahren gehört er zu den Stützen des Schalker Mannschaft. Bereits in der Jugend wurde er als Top-Talent gehandelt und könnte langfristig in die Fußstapfen seines großen Vorbilds Toni Kroos treten. Die Schattenseite der Überholspurkarriere: Er verlor seinen Führerschein wegen Raserei und parkte am Tag der Gerichtsverhandlung noch im absoluten Halteverbot vor dem Justizsaal.

Einzigartiges Modell beim VfL Bochum

Naturgemäß ist nicht jeder Nachwuchsspieler mit seinem Talent gesegnet. Das weiß man bei Goretzkas Ex-Verein VfL Bochum nur zu gut. Sportvorstand Christian Hochstätter und Nachwuchsleiter Jens Rasiejewski mussten nach dem Rückzug der U23 überlegen, wie man Talente ganzheitlich fördern kann und ihnen dazu vor allem Wettkampfpraxis verschafft.

Man entwickelte ein im deutschen Profifußball bisher einzigartiges Modell. Das Training der Profis und der Jugendspieler wurde in weiten Teilen zusammengelegt. Eine strikte Trennung zwischen Profi- und Nachwuchszentrum gibt es nicht mehr. U19-Trainer Thomas Reis und U17-Coach Christian Britscho nehmen regelmäßig mit auserwählten Talenten am Profitraining teil und leiten innerhalb der Einheiten eigenständig Übungen. Obwohl die Profivereine stets Jugendspieler am Training teilnehmen lassen, schrecken viele Clubs vor einer derart engen Verzahnung wie in Bochum noch zurück. Die Trainingssteuerung und Planung benötigt nämlich einiges an Geschick. Schließlich muss auf die individuellen Eigenheiten jedes einzelnen Spielers eingegangen werden. Naturgemäß stehen erfahrene Routiniers voll im Saft und gehen härter in die Zweikämpfe als Jungkicker, die gerade ihre ersten Erfahrungen sammeln. Die Talente aus dem Jugendbereich haben hingegen den Vorteil, dass sie weniger Erholungspausen zwischen den Partien und Trainingseinheiten nötig haben. Um den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden, bilden die Trainer zumeist kleinere Gruppen. Jeder Coach arbeitet dann mit 8 bis 9 Spielern und hat eine gute Kontrolle über die Kicker. Steht dann vor Wochenendspielen das 11 gegen 11 im Abschlusstraining an, wird für die übrigen Spieler ein individuelles Training organisiert.

Unter den Fittichen von Patrick Kluivert

Dass das Bochumer Vorbild Erfolg haben kann, zeigt das Beispiel Michael Maria. Der 21-Jährige steht unter den Trainer-Fittichen von Ex- Barcelona-Star Patrick Kluivert. Als Nationalspieler von Curacao kämpfte er lange um die WM-Teilnahme und nahm zudem am Carribean-Cup teil. Obwohl er nicht mehr für die A-Junioren spielen darf und in dieser Spielzeit noch kein offizielles Ligaspiel im Nachwuchbereich für den VfL bestritt, kann er auf den Länderspielreisen die im Profi-Training erlernten Tricks und Kniffe regelmäßig anwenden. Im Bochumer Training und den Freundschaftsspielen möchte er sich nun für einen neuen Vertrag empfehlen. Ex-Profi Thomas Reis erklärt, warum es so wichtig ist, dass Jugendspieler schon früh gemeinsam mit abgezockten Hasen regelmäßige Übungen absolvieren: „Wer mit gestandenen Profis trainiert, der bekommt auch mal verbal einen drüber. Die Wirkung ist dann eindringlicher als wenn ich im Training etwas erkläre.“ Besonders stolz dürfte Reis gewesen sein, als er das Zweitliga-Startelf-Debüt seines Schützlings gegen die Spvgg Greuther Fürth verfolgte. Maria schaffte das, wovon jeder Jung-Profi träumt: Er gab in der 91.Minute die Vorlage zum umjubelten 2:2-Ausgleich der Bochumer. Der Youngster sprach nach dem Spiel von einem „unvergesslichen Erlebnis“. Keine Selbstverständlichkeit, denn noch in der Sommervorbereitung war er in einem Testspiel gegen Preußen Münster zusammengeklappt, da die Blutwerte kollabierten.

Testspiele sorgen für die Spielpraxis

Die notwendige Spielpraxis wird in Bochum durch zahlreiche Testspiele gewährleistet. Reservisten der Profis treten dann zusammen mit Jugendspielern gegen Vereine aus der Umgebung an. Der Vorteil liegt darin, dass man die Belastung besser steuern kann, als wenn man auf den Terminplan einer U23 Rücksicht nehmen muss.

​Bochum ist nicht der einzige Profiverein, der die freiwerdenden Gelder in niedrigeren Altersstufen besser angelegt sieht als in einer U23. So konnte beispielsweise der 1.FC Union Berlin drei Schlüsselpositionen im Jugendbereich hauptamtlich besetzen. Berlins Sport-Geschäftsführer Lutz Munack erklärt, warum Zweitligisten wie der VfL und Union Berlin diesen etwas anderen Weg mittlerweile gehen. „Durch das gestiegene Niveau der Ausbildung in den Leistungszentren in den letzten 10 Jahren hat sich der Einstieg in den Leistungsbereich altersmäßig nach vorne verschoben. Die Spieler, die es bei uns in den Profibereich geschafft haben, kamen fast alle direkt aus der U19.“

Autor:

Jörn Duddeck aus Bochum

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