Entstehungsgeschichte der Organisation Let's Start with ABC (Teil 2)
Wie wirklich alles begann im Jahre 2006

Tatsächlich ging es nun in Richtung Bolong, die Heimat meiner damaligen Lebensgefährtin. Wir streiften den Stadtrand von Zamboanga und fuhren durch einige Dörfer, wie z. B. Guiwan, Boalan, Mercedes, Culianan, Manicahan, Victoria, Daap, Sangali, Pagigitan, bis wir schlussendlich Bolong. erreichten.
Die Familie war offensichtlich vorher schon geimpft, so prangte an dem Haus ein handgeschriebenes Plakat „Welcome in our Family Mr. Holter“.
An dieser Stelle möchte ich nur kurz auf Privates eingehen, schliesslich geht es ja um die Entstehungsgeschichte meiner Organisation Let’s Start with ABC.
Es sollte kein leichter Start für mich werden, schliesslich war ich der neue Mann an der Seite ihrer „verlorenen Tochter, Schwester“, die damals nach Deutschland geheiratet hatte. Der Mann war ich nun nicht, dieser verstarb plötzlich und unerwartet an einem Herzversagen. Es hat ein paar Tage gedauert bis ich das Vertrauen der Familie auf meiner Habenseite verbuchen konnte. Eine tolle, sehr liebenswerte Familie die mich da erwartet hatte, der ich auch heute noch sehr freundschaftlich verbunden bin.
Die Familie hatte gekocht, zum ersten Mal sollte ich mit der philippinischen Küche vertraut gemacht werden. Es gab Fisch, Reis und ich erinnere mich an eine Suppe. Dazu das etwas bessere St. Miguel Bier. Die Einheimischen bevorzugen eher das stärkere „Red Horse“ oder andere Biere, die auf den Philippinen hergestellt / gebraut werden. Die Familie hatte sehr viel zu erzählen, in einer Sprache die mir sehr befremdlich vorkam. Nun saß ich da, den wild gestikulierenden Familienmitgliedern, die mich in ihre Mitte genommen haben, sehr wohl zuhörend, aber nicht verstehend, gegenüber.
Meine Müdigkeit ließ nicht lange auf sich warten, hatte doch die Anreise nicht nur sehr viel Kraft, als auch Zeit gekostet. Hinzu kam das bekannte „Jetlag-Phänomen“. Zwischen dem weit entfernten Europa und Südostasien, sprich den Philippinen liegen immerhin 7 Stunden Zeitunterschied. Also die Philippinen und unserer MEZ immer 7 Stunden voraus.
Trotz der starken Müdigkeit gelang es mir nur sehr schlecht einzuschlafen. Die Zimmer des Hauses waren damals im Jahr 2006 noch nicht mit Klimaanlagen ausgerüstet, was sich erst einige Jahre später ändern sollte. Die Nachttemperaturen fielen nicht unter geschätzt 25 Grad Celsius, dazu eine Luftfeuchtigkeit von ca. 80 %.
Der Tag begann früh, beim Nachbarn gab es wohl einen sehr potenten Hahn, der die Damen lautstark auf sich aufmerksam machen wollte. Vom Nahe gelegenen Strand, der sich nur 30 Meter vom Haus entfernt befindet, hörte man die Fischer laut reden, darunter auch 3 der Brüder meiner Lebensgefährtin, denen ich am Vorabend vorgestellt wurde. Die Familien leben vom Fischfang und fahren bei Sonnenaufgang aufs Meer hinaus, um dann gegen 08.00 Uhr wieder an Land zu kommen um schon ab Boot die frisch gefangenen Fische zum Verkauf anbieten. Die Besten und schönsten Fische werden an die Gastronomie in der Hauptstadt Zamboanga verkauft, Die Köche und Geschäftsleute stehen schon lange vor Rückkehr der Fischer am Strand und erwarten die Gaben Neptuns. Diese Prozedur wiederholt sich täglich.
Wobei die Fische, die nicht so schön fürs Auge sind, die entsprechende Größe nicht erreicht haben, oder sonstige Mängel aufweisen in den Familien selbst verarbeitet werden.
Für mich ging es nach dem Frühstück erst einmal ins Dorf. Bolong ist zu dieser Zeit ein kleines Fischerdorf mit insgesamt etwa 10.000 Einwohnern, wobei das nicht so genau beziffert werden kann, es existiert hier kein Einwohnermeldeamt. Die Kirche, gegenüber der „Barangay Hall“ wie hier das „Rathaus“ des amtierenden Ortsvorstehers genannt wird befinden sich im Mittelpunkt der kleinen Gemeinde. Daneben befindet sich ein spartanisch angelegter Basketballplatz. Die Strassen sind allesamt naturbelassen, d.h. nicht geteert. Etwas ausserhalb, am Ortsrand befindet sich der kleine Friedhof von Bolong. Erdbestattungen kennt man hier nicht. In der einen von 2 vorhandenen Hauptstrassen befinden sich kleine „Sari-Sari-Stores“, hier kann man fast alles kaufen, was man zum täglichen Leben benötigt. Für Großeinkäufe fährt man besser in die Stadt Zamboanga, wo es auch Supermärkte, Kleidung und Textilien zu erwerben gibt.
An einer kleinen Bambushütte lese ich das Schild „Health-Center“…..aha. Angeblich sollte an 2 Tagen in der Woche hier jemand Dienst schieben. Eine Krankenschwester, Hebamme oder sonst eine Person die ein Pflaster kleben kann, oder auch schon einmal 2 Kopfschmerztabletten ausgeben darf, treffe ich nicht an. Das will ich mir später mal genauer ansehen.
Am Ortseingang, da steht sie nun, die Elementary School von Bolong, die mein weiteres Leben fortan bestimmen sollte. In diese Schule also ging damals als Kind meine Lebensgefährtin. Einige hundert Mädchen und Jungen tummeln sich auf dem Schulhof , es musste wohl gerade zur Pause geschellt haben. Die Kinder unterscheiden sich nicht von unseren Kindern in Europa. Sie spielen Fangen, Verstecken und einige stehen nur zusammen und haben ihren Spaß. Schnell wurde ich auf Grund meiner hellen Hautfarbe, meiner ungewöhnlich „langen Nase“und meiner ungewöhnlichen Größe (171 cm) ;-) als Fremder erkannt. Die Pausenaufsicht erkannte sehr schnell meine Lebensgefährtin als ehemalige Schülerin wieder und bat uns ins Lehrerzimmer.
Hier gelang es mir sogar mit meinen grottenschlechten Kenntnissen der englischen Sprache mit verschiedenen Lehrerinnen ins Gespräch zu kommen. Meine Neugier war geweckt. Kurz darauf bat ich darum, an einem Unterricht einer beliebigen Schulklasse als stiller Beobachter teilnehmen zu dürfen. Der Wunsch wurde mir stattgegeben, alsbald saß ich in einer Schulklasse „Grade II“ in der hintersten Reihe und wollte nun dem Unterricht folgen. Die Kinder fanden es aber offensichtlich viel interessanter den fremden weißen Mann zu beobachten, als nach vorne zur Lehrerin zu schauen und aufzupassen, was sie ihnen zu sagen hätte.
Nach einem Ordnungsruf waren die Kinder aber folgsam und lauschten ihrer Klassenlehrerin. Genau das war eines der Probleme, die ich ausmachen konnte, die Kinder lauschten dem Frontalunterricht, aber schrieben nicht eine Notiz mit. Die Lehrerin in Front von ca. 45 Kindern schrieb an eine Vorkriegstafel, auf der man kaum noch etwas erkennen konnte mit einem Stück Kreide, nicht größer als ein kleines Radiergummi.
Wo waren die Stifte, Hefte der Kinder ?
In einer weiteren Unterrichtspause fragte ich die „Prinzipal“ der Bolong Elementary School nach den fehlenden Schulmaterialien der Kinder.
Sorry, the children have no pens or exercise books, war die Antwort von Frau Bernardo, damalige Schulleiterin der Bolong ES.
Hatten die kleinen Mädchen und Jungen ein besonderes Talent, welches unsere Kinder in Europa nicht besitzen ? Ein fotografisches Gedächtnis vielleicht ?
Mir wurde lächelnd erklärt, dass viele Familien kinderreich sind und es gerade bezahlbar ist, dem „vermeintlich“ schlauestem Kind der Familie, eine Grundschulausbildung zukommen zu lassen. Mein Weltbild ist durch diese Aussage stark in Wanken geraten. Wer bestimmte denn, welches das „Schlaueste“ Kind der Familie ist ?
Gab es nicht ein verbrieftes Menschenrecht auf Bildung, festgehalten im Artikel 26 der Allgemeinen UNO Menschenrechtskonvention von 1948 in dem es lautet:
Zitat: Jeder hat das Recht auf Bildung. Die Bildung ist unentgeltlich, zum mindesten der Grundschulunterricht und die grundlegende Bildung. Der Grundschulunterricht ist obligatorisch. Fach- und Berufsschulunterricht müssen allgemein verfügbar gemacht werden, und der Hochschulunterricht muß allen gleichermaßen entsprechend ihren Fähigkeiten offen stehen.
Diese Erklärung wurde von immerhin 160 Staaten unterschrieben, übrigens war Amerika nicht bei den Unterzeichnern.
Mit dieser für mich traurigen Erkenntnis setzte ich mich am Nachmittag in einen der 8„Cottages“ , die am Strand hinter dem Haus aufgebaut sind. Meine nackten Füße in den feinen Sand eingegraben, zur Hand eine frisch geköpfte Kokosnuss, die mir der Bruder meiner Lebensgefährtin vom Baum geangelt hatte und ließ den Tag an der Schule Revue passieren.
Mensch Norbert hörte ich mich selbst sagen, willst du hier nicht etwas machen ?
Hier muss doch etwas unternommen werden.
Die Situation an der Schule, die Kinder, die Lehrkräfte kreisten ununterbrochen in meinen Gedanken. Ich war nie ein richtiger Urlaubstyp, den man am Morgen an den Strand legen konnte und am Abend wieder einsammelte. Mir ging es immer um Land und Leute, Kultur und ortsübliche Küche. Wie ein Schwamm sog ich alles Neue in mich auf. Hier war nun mein Ehrgeiz geweckt.
Am nächsten Tag mussten wir sowieso in die Stadt, nach Zamboanga. ihr erinnert euch, die Stadt mit ca. 800.000 Einwohnern, die auch den International Airport beherbergt.
In Zamboanga mit seinen vielen Geschäften, Restaurants und Sehenswürdigkeiten wie z.B. „Fort Pilar“, das Baumhaus von Pasonanca uvm. sollte doch auch mindesten ein Schreibwarengeschäft aufbieten können. Ja, natürlich wurden wir fündig.
Mit genau 50,-Euro aus meiner Urlaubskasse betrat ich diesen Laden und kaufte Schulmaterialien. In 2006 war der Euro gegenüber heutiger Verhältnisse noch etwas „kräftiger“. Immerhin reichte mein Geld aus für 200 Schulhefte, 200 Stifte, Radiergummis, Schreibpapier für die Lehrkräfte und einiges andere. Zufrieden mit mir, meinen Einkäufen und mit der Welt fuhren wir nach Bolong zurück. Am Abend saß ich dann mit einigen Familienmitgliedern am Strand, bei eiskaltem San Miguel Bier und freute mich auf meinen Plan, die heute erworbenen Schulmaterialien an die Bolong Elementary School am nächsten Tag zu übergeben.
Teil 3 folgt.

Autor:

Norbert Hölter aus Bochum

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