Demographie und Rentenlücke

Im Juni 2013 legte das Statistische Bundesamt die Ergebnisse zur Entwicklung der Einwohnerzahlen vor, und zwar auf der Grundlage des Zensus 2011. Das Ergebnis zeigte, dass ca. 1,5 Millionen Menschen weniger in Deutschland leben als bisher vermutet. Außerdem gibt es auch weniger ältere Menschen als bisher angenommen. Welche Auswirkungen haben diese neuen Erkenntnisse auf die demographische Debatte? Das Demographiethema ist eines der Lieblingsthemen unserer Kanzlerin. Allein zwei Demographiegipfel veranstaltete Angela Merkel im vergangenen Jahr.

Politiker und Medien vermitteln uns fast täglich, dass die demographische Entwicklung von zentraler Bedeutung für die Höhe der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist. Wir haben zu wenig junge Menschen und zu viele alte Menschen - das wird uns gebetsmühlenartig eingetrichtert. Daraus entsteht eine Rentenlücke, da immer weniger Menschen in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Man könnte auch ironisch sagen: Im Jahr 2050 kommen auf einen Leistungsträger drei Gebissträger.

Die Lösung des Problems lautet nach Aussagen der Politik „private Vorsorge“, da die gesetzlichen Systeme nicht mehr ausreichend sind. Ist diese Schlussfolgerung überhaupt richtig oder ist der eigentliche Zweck der demographischen Debatte die Durchsetzung ökonomischer Interessen?

Die Botschaft der Versicherungswirtschaft lautet: „Wir werden immer älter und die gesetzliche Rente ist nicht mehr ausreichend. Daher brauchen wir private Vorsorge, um die Rentenlücke zu schliessen.“ Das hört sich zunächst gut an, aber ist diese Argumentation auch logisch? Werden aufgrund der teilweisen Umstellung auf private Vorsorge mehr Menschen geboren? Das möchte ich bezweifeln.

Statistik-Professor Gerd Bosbach sagt in einem Interview mit tagesschau.de: „Das Versicherungsgewerbe profitiert natürlich auch. Die gesetzliche Rentenversicherung mit ihren Staatszuschüssen macht ein Geschäft von über 250 Milliarden Euro aus, das lange am privaten Versicherungsmarkt vorbei lief. Seit 1999 wurde also massiv Einfluss genommen: auf den Finanzminister, den Wirtschaftsminister und die Bundestagsausschüsse. Nachdem die Riester-Rente beschlossene Sache war, gingen die Parteispenden der Versicherungen wieder zurück. Und für die Politiker ist der demographische Wandel die willkommene Universalentschuldigung für alles, was schief läuft.“

Man denke an die gemeinsamen Auftritte des Bundesministers a. D. und gelernten Fliesenlegers Walter Riester mit dem AWD-Gründer Carsten Maschmeyer, um in Vortrags- und Werbeveranstaltungen die Philosophie der privaten Altersvorsorge zu verbreiten.

Bereits im Jahr 2008 sorgte ein Beitrag des ARD - Magazins Monitor für große Aufregung. Der Beitrag zeigte auf, wie bei Kleinstrentnern die Erträge einer Riester-Rente im Alter auf die Grundsicherung angerechnet werden und demzufolge die Betroffenen mit Leistungskürzungen rechnen müssen. Viele Betroffene hätten somit das Geld statt in Riester-Rente anzulegen auch gleich aus dem Fenster werfen können.

Einige Experten sehen sogar den Untergang der deutschen Bevölkerung. Die Deutschen sterben aus. Das wäre neben der Klimakatastrophe allerdings so ziemlich das Schlimmste, was uns passieren kann. Jeder Rückblick macht auch klar, dass andere Trends das Leben und die gesellschaftlichen Finanzen stärker verändert haben als die Verlagerungen in der Alterspyramide. Kürzlich veröffentlichte das deutsche Familienministerium sogar eine Studie mit dem Titel „Wirtschaftsmotor Alter“, die von der Unternehmensberatung Roland Berger erarbeitet wurde. Die ungewohnte These: Deutschland mit seiner derzeitigen Alterspyramide hat einen Vorteil: Seine Wirtschaft holt sich bei der Entwicklung von Senioren-Produkten einen „Wettbewerbsvorsprung gegenüber ausländischen Wettbewerbern, wenn diese erst mit verzögerter Alterung auf ihren Heimmärkten aktiv werden“.

Nein, die Lösung für die demographische Entwicklung lautet nicht in erster Linie „private Vorsorge“, von der hauptsächlich Banken und Versicherungen profitieren, sondern Beendigung der Umverteilung von unten nach oben. Das Konfliktpotential ergibt sich nicht aus der Gegenüberstellung von Jung und Alt sondern von Arm und Reich. Wie sollen Menschen, die im stetig wachsenden Niedriglohnsektor arbeiten eine private Altersvorsorge aufbauen?

Darüber sollte man einmal nachdenken, bevor man der Wissenschaft der Demographie einen Stellenwert einräumt, den sie gar nicht verdient. Wie man damals anhand der Diskussion über die Kinderlosigkeit von Akademikerinnen feststellen musste, waren die Behauptungen der Demographen sogar falsch. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Kristina Köhler hat in einem Spiegel-Interview zugegeben: „Es spricht einiges dafür“, dass wir über ein Phantomproblem geklagt haben.

Mit einem Augenzwinkern gesagt: Das Schlimmste was uns allerdings passieren kann ist, dass wir aussterben und es ist noch Rente übrig.

Autor:

Rüdiger Beck aus Dortmund-City

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