Vom aufrichtigen Tun als ob
Die Authentizität des Karnevals

Ich schwöre: Hätte ich nicht zwischendurch wie ein Esel geklungen… es hätte keiner gemerkt, dass ich gar kein echtes Zebra bin. Die Verkleidung ist gleichermaßen originell, wie perfekt. Sie hat sich mittlerweile über Jahre bewährt und ist total praktisch. Darunter kann man je nach Wetterlage alles anziehen. Oder gar nichts. Und nach der Session kommt das gute Stück einfach auf den Bügel, um im nächsten Jahr wieder beste Dienste zu leisten. Erst letztens dachte ich noch im großen Aufräumwahn: „Man könnte sie ja auch mal waschen…“ hängte sie zurück auf den Bügel, um pünktlich zum Umzug zielsicher danach greifen zu können, und los geht‘s. Meine Tochter meinte, ich könnte sogar guten Gewissens schwarzfahren, weil ich in meinem Kostüm so echt aussehe. Aber ein Zebra im Bus? Das hätte garantiert Ärger mit dem Tierschutz gegeben. Abgesehen von der Tatsache, dass schwarzfahren politisch nicht korrekt ist.

Ich liebe Karneval! Warum? Ein Erklärungsversuch:
Wir postieren uns vor dem Altersheim und sind früh genug, um dabei sein zu dürfen, wie die Bewohner Stück für Stück an die Straße gestellt werden. Einer Dame ist das zu albern, sie lässt sich in ihrem Rollstuhl auf der gegenüberliegenden Seite abstellen. Ebenfalls leicht im Abseits steht Herr B. auf seinen Rollator gestützt. Er ist etwas ganz Besonderes wie ich später selbst bezeugen werde.

Alte Bekannte ziehen vorbei. Man kennt sich von früher, oder von woanders, oder eigentlich gar nicht. Es ist auch egal – heute lässt man elf gerade sein, tut so als ob und freut sich, dass man sich genau an dem Punkt ausgerechnet heute mal nicht verstellen muss: „Helau, ich bin ein Esel… äh ein Zebra… Und Du so?“ Ich liebe es!!!

Aus unserer Position beobachten wir flachsender Weise das Geschehen. Ein Trio bestehend aus Fuchs, Wolf und CIA kommt vorbei getorkelt. Dem Fuchs geht es offensichtlich nicht so gut. Er hält sich erst den Kopf, dann muss er sich legen. Ein weiterer Vorzug des Ganzkörperkostüms wird deutlich: Es kaschiert jede Form der Unpässlichkeit. Man will auch gar nicht wissen, wie es unter der Maske aussieht. Die Kinder finden den liegenden Fuchs umso lustiger, während die älteren sich fragen, ob er den nächsten Tag noch erleben wird und sich um ihn kümmern. Ein Schluck Wasser tut Wunder: Nach einer Weile ziehen die drei weiter und dann ist es soweit: Der echte Zoch kütt! (In Erkrath eine Woche VOR dem eigentlichen Karneval.)
Von Null auf Hundert! Action!! Krach!!! Der helle Wahnsinn!!!!

Es wird getanzt, geschrien, geworfen. Ein Wagen der Gesellschaft mit beschränkter Irgendwas (GmbI) kommt vorbei und hat neben Unmengen an Billigkamelle, Tulpen für ganz besondere Menschen an Bord. „Für Herrn B.!“ ruft mir ein Tanzmariechen vom Wagen zu und drückt mir zwei Tulpen mit hängendem Kopf in die Hand. Herr B. freut sich aufrichtig, sodass ich mich spontan in den alten Herrn verliebe. Zwei Wagen später quatsche ich einem arg betrunkenen Mitläufer im Umzug den ganzen Tulpenstrauß ab, um ihn Herrn B. zu überreichen. „Das dürfen Sie nicht!“ ranzt mich die Abteilungsleiterin der mitlaufenden Gesellschaft (AdmG) an und nimmt meinem neuen, alten Lover die Blumen wieder ab. Wir lachen uns darüber schlapp und feiern das Gefühl etwas ganz Verwegenes getan zu haben. 

Nichts ist mehr wie früher und manche Dinge ändern sich nie. Und während ich noch jetzt fassungslos den Kopf schüttele über bestimmte Eindrücke, die auch in diesem Karnevalserlebnis wieder an mir vorbeigerauscht sind, freue ich mich über das Gefühl der Verbundenheit, das sich in vielen kleinen Begegnungen erwiesen hat. Das Zebra hängt bis zum nächsten Jahr über dem Bügel. Es riecht nach Tulpen und Bier, nach ausverkaufter Mayo und ein bisschen auch nach mir. Ich fürchte ich werde mich auch bis zum nächsten Jahr nicht durchringen können, es in die Waschmaschine zu stecken. Lavendel und Jasmin sind für ein Zebra wenig authentisch.

Autor:

Femke Zimmermann aus Düsseldorf

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