Hedwig bei Paarship

Lange Zeit nach Beendigung ihrer langjährigen Beziehung dachte sich die Hedwig, es sei nicht gut für den Menschen alleine zu sein. Sie fing wieder an, sich zu schminken, setzte sich auf die Schulter ein Tattoo von einem kleinen Schmetterling und trug selbstverständlich schulterfreie T-Shirts, damit man diesen Schmetterling auch sehen konnte. Das war schwieriger, als gedacht. Immer rutschte es da oben herum – mal zu tief nach unten, mal zu weit nach oben. Der Schmetterling war meist verwischt. Aber was solls, dachte sich die Hedwig. „Wenn ER kommt und mich nackert sieht, wird er auch den Schmetterling bewundern“. Nur – sie konnte ausgehen so viel sie wollte – es kam keiner !

Die Männer in den Bars ließen sich durch ihren Anblick meist nicht stören und blickten weiter auf ihren Handys herum. Die einzigen Männer, die sich freundlich auf sie einließen, waren in der Nacht die Taxifahrer mit Migrationshintergrund. Da erlebte sie einmal einen Kurden, der im Radio auf einem kurdischen Sender Märchen hörte. Er übersetzte ihr die Märchen und das war so schön, das sie ihn bat, nochmal „Resi's Bar“ vorbeizufahren, sie hätte dort noch einen Schirm vergessen. Das stimmte zwar nicht, war aber ein Umweg von 15 km und schenkte ihr noch drei weitere Märchen. Beseelt ging sie danach in ihre Wohnung und wußte, das der nächste Mann ein Mann sein sollte, der gerne Märchen hört – und auch erzählt.

Da sie nicht jeden Abend den Hauptgewinn via Taxifahrt ziehen wollte wegen der Aufwändigkeit des Verfahrens, entschied sie sich, einen solchen Mann im Internet zu suchen. Das machen ja heute fast alle !

Die Partnersuche im Internet gestaltet sich allerdings nicht so einfach. Arbeitslose Männer und Frauen über 50 haben die wenigsten Chancen ! Das wußte die Hedwig und überlegte lange, welches Portal wohl in Frage kommen könnte. Ihr Psychotherapeut riet ihr, es bei „Paarship“ zu versuchen.
Hier wären auch ältere Semester auf der Suche und das Matchingsystem würde die zusammen bringen, die ähnlich gestrickt wären – egal, wie alt sie sind. Aha !

Die Hedwig investierte also bei Paarship für ein halbes Jahr Kohle und füllte nach der Anmeldung erstmal einen stundenlangen Persönlichkeits-Fragebogen aus. Ihre Vorlieben, ihre Hobbies, ihre Eß- und Reisegewohnheiten, ob sie tierlieb sei und ob sie gerne tanze usw.

Danach ging es auf die Reise ! Sie bekam täglich mehrere Männer vorgestellt – auch solche, die noch älter waren als sie – obwohl, na ja, die die noch älter sind – sie wußte nicht so recht... Holt sie sich da einen Pflegefall ins Haus ? Also doch lieber die, die ein bißchen – nur ein bißchen – jünger sind.

Auf die kaprizierte sie sich und fing an; Kontakt aufzunehmen. Mit Hugo, Franziskus, Mark und Anton und wie sie alle hießen.

Sie schrieb die Männer an und die antworteten in allen möglichen Facetten. Vom asketischen Radfahrer bis hin zum Harley-Davidson-Opa war alles dabei. Die Männer stellten schnell ihre Fotos frei und nach wenigen E-mails wollten sie dann auch Hedwigs Konterfei sehen. Bei Parship gibt jeder sein Foto erst dann preis, wenn er das möchte. Die Männer sind da unbefangen, weil sie sich ohnehin für tauglich halten – egal, wie sie aussehen.

Also sieht man bei Paarship als Frau bei den „gematchten“ schnell das Konterfei, wenn man fragt und kann sich entscheiden, ob man weiter kontaktet.

Hedwig traf dabei eine natürliche Selektion – so frei nach Gutdünken und Sympathie für das Foto der Kandidaten.

Und dann lüftete sie bei Mark irgendwann den Schleier – und stellte ihr Foto frei. Das Resultat: sie hörte von ihm nichts mehr.

Gleiches tat sie dann mit Franz – mit dem gleichen Resultat.

Aha – das Foto von mir ist also untauglich, dachte Hedwig und machte ein neues Foto – diesmal geschminkt und mit Hut.

Auch die kommenden Offerten mit Foto an die Herren, mit denen sie so herzzereißend korrespondiert hatte, blieben ohne Erfolg. Sobald Hedwig den Schleier von ihrem Foto lüftete, kam nichts mehr an Gegenreaktion.

Hedwig ist widerständig. Sie gibt so schnell nicht auf !

Hedwig ging zur Fotografin – zu einer Kunstfotografin für Fotos in schwarz-weiß und zahlte an die 200,- Euro.

Bei Hugo, mit dem sie sich ausgetauscht hatte über sibirische Märchen bis hin zu norwegischen Fabeln, hatte sie nun doch die Hoffnung, das nach Freistellung des tollen Schwarz-Weiß-Porträts vielleicht mal ein Date zu Stande kommen würde.

Voller Hoffnung gab sie das schöne Schwarz-Weiß-Porträt dem Hugo frei und wartete voller Freude auf seine Antwort. Was soll ich sagen ? Nichts geschah ! Hugo war von der Bildfläche verschwunden, wie alle anderen Aspiranten, die ihr Konterfei gesichtet hatten.

„Bin ich ein Monster ?“, fragte Hedwig ihren besten Freund bei einer guten Flasche Roten. „Warum lehnen die mich alle ab, wenn sie mein Bild sehen ? Ich bekomme langsam Minderwertigkeitskomplexe !“

„Du bist schön ! Du bist so schön, wie das Morgenrot auf den Hügeln des Grafenberger Waldes und Du hast die Silhouette einer Gazelle, die am Abend vor dem Abendrot durch die Wüste fliegt. Du hast den sinnlichen Mund einer Erdbeere und um Deine Augen würde jede Mandel dich beneiden. Das Blau Deiner Augen ist tiefer als der Ozean und Deine Haare sind wie der gelbe Weizen und bewegen sich im Wind wie ein geheimnisvoller Schleier !“

So sprach der beste Freund und prostete ihr freundlich zu.

Und er sprach weiter auf sie ein, das man für das Internet harte Nerven braucht, daß das Internet grausam sei und oberflächlich und das das Internet nichts vergisst. Und das das Internet überhaupt Scheiße sei. Und warum sie, diese wunderbare Hedwig, sich überhaupt herab gelassen habe, über Parship sich matchen zu lassen und das es ihr zur Strafe recht geschehe, das sie nach Freigabe ihrer Schönheit nicht mehr kontaktet werde.

Das sei die Strafe für ihre Bequemlichkeit, sich mit dem Popo nicht mehr nach draußen zu bewegen, die Augen zu verschließen vor der Welt, vor jenen, die im Supermarkt hinter und vor ihr stehen, vor jenen, die im Baumarkt nach einem Dübel suchen und vor jenen, die mit ihr Abend für Abend telefonieren und mit ihr einen Roten trinken, wann immer sie wolle. Denn sie sei eine Göttin und wenn sie das noch nicht gemerkt habe, dann solle sie bei Parship sich den Wolf posten und bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag alleine bleiben.

Und so regte sich der beste Freund auf bis zum Geht-Nicht-Mehr und machte die amerikanische Papiertüte auf, wie sie in allen amerikanischen Spielfilmen dargestellt wird, wenn der freiende Mann zu seiner Angebeteten geht – und in der Tüte war so viel drin, das Hedwig das Herz zerfloß.

Es war eine Schlemmertüte mit Mailänder Salami, spanischem Schinken, französischem Camenbert, gefüllte Oliven mit Knoblauch, Schweizer Schokolade, Wein aus der Provonce, Kochkäse aus Luxemburg, Champagnertrüffel von Heinemann, eine erotische Kurzgeschichte auf DVD, Handschellen, Leberpastete aus Belgien und was Hedwig nie vergessen wird: ein Ticket für eine dreitägige Busreise nach München mit Besuch im Hofbräuhaus und der Alten Pinakothek und einem Gutschein für ein Dirndl.

Da war die Hedwig aber gut gelaunt angesichts der edlen Spenden und konnte wieder lachen. Und als sie sich bei der großen Schlemmerei so eben mal widerspiegelte in den Augen des besten Freundes, war ihr klar, wie wunderschön sie war.

Dankbar für seine guten Gaben kaufte sie einen Tag später für ihren besten Freund ein Ticket für eine Busreise nach München für die gleiche Reise incl. Einem Gutschein für eine Lederhose.

Und was soll ich sagen: Hedwig sitzt heute noch im Hofbräuhaus im Dirndl neben ihrem besten Freund in der Krachledernen und beide hauen sich auf die Schenkel beim Lachen und mit roten Wänglein lieben sie einander an.

Hätte Parship sie gematcht – sie hätten einander niemals kennen gelernt. Denn nach dem Persönlichkeitsfragebogen von Parship hätten sie nicht ein Interesse gemeinsam.

Aber sie haben eine Geschichte gemeinsam – und das mag in diesem Fall mehr zählen, als alles andere.

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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