„Wir fühlen uns wie Menschen zweiter Klasse“
Impfaktion im St.-Martinus-Stift in Emmerich-Elten

Hausarzt Dr. Arun Subburayalu aus Elten leitete im Auftrag des Impfzentrums die Impfung im Caritas-Altenheim. | Foto:  Julia Lörcks (Caritasverband)
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  • Hausarzt Dr. Arun Subburayalu aus Elten leitete im Auftrag des Impfzentrums die Impfung im Caritas-Altenheim.
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Von Julia Lörcks (Caritasverband)

Im St.-Martinus-Stift in Elten wurde am Freitag geimpft. Das ist die einzig gute Nachricht. Die schlechte: Nicht alle erhielten das zuvor bestellte und lang ersehnte Vakzin. 28 Mitarbeiter wurden vom ärztlichen Leiter des Impfzentrums des Kreises Kleve aussortiert. Auch Bewohner, die schon einmal positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden, erhielten keine Impfung. Der Geschäftsführer des Caritas-Altenheims, Hans-Wilhelm Paeßens, schreibt einen Beschwerdebrief an die Landrätin und den Bürgermeister der Stadt Emmerich.
 Anke Kersjes ist ehrlich: „Mein Hals zog, sich zu, meine Nase auch, dann habe ich geweint. Einfach nur bitterlich geweint.“ Das war die erste Reaktion, als Anke Kersjes erfahren hat, dass sie am Freitag, 5. Februar, nicht geimpft wird. Anke Kersjes ist Reinigungskraft im St.-Martinus-Stift in Elten. Mit ihrer Kollegin Christina Holzum hat sie in den vergangenen Tagen und Wochen ausschließlich die Zimmer der Corona positiv getesteten Bewohner gereinigt. Beide wollten die Impfung. Christina Holzum: „Zum Schutz für die Bewohner, zum Schutz für meine Familie. Ich bin Großmutter, ich möchte meine Enkelkinder mal wieder sehen.“ Beide sind verärgert, wütend und enttäuscht, sie sagen: „Wir fühlen uns wie Menschen zweiter Klasse.“
Zum Hintergrund: Fünf Wochen lang hat das St.-Martinus-Stift in Elten auf die Impfung gewartet. Wegen eines Corona-Ausbruchs (wir berichteten) erhielt das Caritas-Altenheim lange Zeit keinen Termin. Als dieser dann endlich feststand, wurde er mit Verweis auf den fehlenden Impfstoff Mitte Januar wieder abgesagt. Die Enttäuschung war groß. Es folgte der neue Termin. Freitag, 5. Februar. Erleichterung. Hoffen auf ein Stückchen Normalität.

Mitarbeiter und Bewohner "aussortiert"

„Doch dann kam die Hiobsbotschaft. Am Mittwoch teilte uns der Leiter des Impfzentrums in Kalkar mit, dass nicht alle geimpft werden. 28 Mitarbeiter – es handelt sich um Kollegen aus Hauswirtschaft, Hausreinigung, Haustechnik, Küche und Verwaltung – wurden in fragwürdiger Art und Weise aussortiert“, sagt Hans-Wilhelm Paeßens und ergänzt: „Meine Mitarbeiter haben hier in den vergangenen Wochen, als Corona das Leben auf den Wohnbereichen bestimmt hat, alles getan. Sie haben bereitwillig andere Aufgaben übernommen, erkrankte oder unter Quarantäne stehende Mitarbeiter vertreten, Überstunden gemacht und Zusatzschichten geschoben, viele sind an ihre Grenzen gestoßen und jetzt das.“ Kolleginnen wie Kerstin Evers und Lydia Pottbäcker. Sie beide leiten die Hauswirtschaft im St.-Martinus-Stift. „Ich bin wahnsinnig enttäuscht“, sagt Kerstin Evers. Lydia Pottbäcker ergänzt: „Wir arbeiten hier alle Hand in Hand, ehrlich gesagt, nach dem schrecklichen Corona-Ausbruch haben wir uns alle auf ein Stückchen Normalität gefreut.“ Die Belegschaft trauert um insgesamt acht Bewohner, die mit oder an Corona gestorben sind.
Und damit nicht genug: Am Tag der Impfung selbst haben Geschäftsführer Hans-Wilhelm Paeßens und Pflegedienstleiter Henry Slagmeulen erfahren, dass Bewohner, die schon einmal Corona-positiv waren, nicht geimpft werden. Grundlage dafür ist offenbar eine erst am Freitag veröffentliche, neue Richtlinie des RKI. „Ich bin fassungslos“, sagt Hans-Wilhelm Paeßens. Henry Slagmeulen stellt die Wirksamkeit der Aktion und die Wertschätzung gegenüber der Pflege und den Bewohnern in Frage. „Wenn nur noch 45 von 75 impfwilligen Bewohnern geimpft werden – dann ist das nicht mehr das Ergebnis, das wir uns hier erhofft hatten. Vom Frust der Angehörigen mal ganz zu schweigen.“
Hans-Wilhelm Paeßens will die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Er kündigt einen Brief an Landrätin Silke Gorißen und Emmerichs Bürgermeister Peter Hinze an und erwartet eine Stellungnahme. „Auf der einen Seite bitten unsere Minister Spahn und Laumann: ,Lasst‘ euch alle impfen.‘ Auf der anderen Seite erleben wir dann so ein Szenario. Das ist blanker Spott und Hohn“, sagt Paeßens, der zudem wissen will, wie es weitergeht. „Wann werden meine restlichen Mitarbeiter geimpft? Bewohner, die schon einmal positiv waren, sollen nun sechs Monate später geimpft werden. Wie soll das vonstattengehen?“ Auch Karl Döring, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft kath. Heime und Einrichtungen im Kreis Kleve, äußert hierzu sein Unverständnis: „Die aktuelle Empfehlung der Bundesregierung sieht weiter Personen, die in stationären Einrichtungen für ältere oder pflegebedürftige Menschen behandelt, betreut oder gepflegt werden oder tätig sind, in der ersten Priorität. Und so wurde es bisher auch in den Heimen im Kreis praktiziert“.
28 aussortierte Mitarbeiter und 30 Bewohner, die keine Impfung erhalten haben – das macht knapp 60 übriggebliebene Impfdosen. Diese hat der ärztliche Leiter des Impfzentrums, Larsen Seidel, persönlich am Freitagmittag in Elten abgeholt und zur Rettungswache nach Emmerich gebracht. Dort sollen sie an Mitarbeiter von Polizei, Rettungsdienst und des Kreisgesundheitsamtes verimpft werden.

Info – So viele Dosen wurden bestellt

Das St.-Martinus-Stift hatte 168 Dosen bestellt – 78 für die Bewohner und 92 für die Mitarbeitenden. Am Tag der Impfung befanden sich zwei Bewohner im Krankenhaus, einer war verstorben. Tatsächlich geimpft wurden nur 45 Bewohner. Am Tag der Impfung war das St.-Martinus-Stift Covid-frei.

Autor:

Lokalkompass Emmerich aus Emmerich am Rhein

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