Folkwang-Schauspielklasse spielt am Schauspielhaus Bochum:
„Was glänzt“ und warum

Ensemble "Was glänzt" u.a. hier: Philipp Steinheuser, Klara Eham, Jojo Rösler, Nairi Hadodo, Vera Hannah Schmidtke, Alicja Rosinski, Julian Bloedorn, Ansgar Sauren, Max Poerting, Johannes Hoff. Pressefoto: Schauspielhaus Bochum / Birgit Hupfeld.
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  • Ensemble "Was glänzt" u.a. hier: Philipp Steinheuser, Klara Eham, Jojo Rösler, Nairi Hadodo, Vera Hannah Schmidtke, Alicja Rosinski, Julian Bloedorn, Ansgar Sauren, Max Poerting, Johannes Hoff. Pressefoto: Schauspielhaus Bochum / Birgit Hupfeld.
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Schauspieler lächeln oft verzweifelt über die ahnungslose Frage „Was machen Sie eigentlich tagsüber, wenn Sie nur abends spielen?“.

Diese Frage würde man jedenfalls selbst als unbedarfter Zuschauer diesen angehenden Folkwang-Schauspielerinnen und -Schauspielern nach dem Besuch ihrer Produktion „Was glänzt“ sicher nicht mehr stellen: Eine wie selten beeindruckende und fesselnde Ensemble-Leistung dieser starken jungen Darsteller-Persönlichkeiten des bestens ausgewählten Schauspielschul-Jahrgangs wurde mit langanhaltendem Premieren-Applaus und bei folgenden Abenden belohnt.

„Auf den Leib“ geschrieben:

Die österreichische Autorin Gerhild Steinbuch hatte den jeweils fünf Absolventinnen und fünf Absolventen ein passgenaues Stück auf „den Leib“ geschrieben:  Julian Bloedorn, Klara Eham, Nairi Hadodo, Johannes Hoff, Max Poerting, Alicja Rosinski, Jojo Rösler, Ansgar Sauren, Vera Hannah Schmidtke und Philipp Steinheuser. Namen, von denen noch zu hören sein wird. Die langjährige enge Zusammenarbeit mit dem gerade 100jährigen Bochumer Schauspielhaus ist für die Folkwang-Studierenden ein wichtiger Abschnitt im dritten Jahr ihres heute insgesamt vierjährigen Hochschul-Studiums.

Selten hörte man so verständlich erarbeitetes chorischen Sprechen. Oder sah solch außergewöhnliche akrobatische Körperlichkeit – stückbedingt in „wahnsinnigen“ Zirkeltrainings-Runden oder harten mörderischen Ball- und gleichzeitigen (!) Text-Spielen. Die Sporthallen-Ausstattung im rohen Ex-Zechenraum, die Wahl der weißen, optisch gleichmachenden Sportkleidung, mit dezent individuellen Eigenheiten im Kostümbild, verhindern jede falsche Assoziation in Richtung Gender-Diskriminierung oder Sexismus. Im Gegenteil: Persönliche Stärken konnten so ganz besonders „glänzen“.

Herzblut und Haltung:

Das Stück selbst - hochaktuell - schreit nach Haltung und intelligenter Umsetzung. Herzblut war gefragt und mentales wie körperliches „An-Grenzen-Gehen“. Europa, der Rechtsruck, Schicksale von Flüchtenden. Humanismus gegen Aus- und Abgrenzung. Denn schon der europäische Gründungsmythos ist brutal: Götter-Macho Zeus in Stiergestalt entführt die phönizische Königstochter Europa, hat nichteinvernehmlichen Sex mit ihr und lässt sie anschließend auf der Insel Kreta sitzen. Eine Kassandra-Stimme warnt ungehört auch heute noch. Selbst sklavisch „an Regeln halten“ hilft nicht mehr. Hier: Zirkeltraining bis zum Umfallen, um nicht aufzufallen oder sich besonders gut zu integrieren? Doch Regeln ändern sich. Besser, man gehört zu den „Schiedsrichtern“! (... und nicht zu denen, die Mauern überwinden müssen). Wie in einer Jazz-Session gibt es im Stück „Was glänzt“ für die angehenden (oder fertigen?) Schauspieler berührende und aufwühlende Text-Soli für jeden Einzelnen, bevor der Chor wieder die Macht im „Körperkollektiv“ übernimmt.

Und wo lernt man solche Darstellungs-Power?

Fragen Sie doch mal unsere Professorin Esther Hausmann!

Die lädt ins Folkwang-Theaterzentrum auf den Campus Bochum ein. Hell und großzügig ist das 2014 eröffnete moderne Gebäude. Probenräume mit und ohne Fenster samt Technik-E-Kästen für Licht und Ton. Fundus, Maske. Besonders stolz ist man auf das Studio mit 99 Plätzen für Aufführungen, sowie integriert den großen hellen Thürmer-Saal mit Bühne, Konzert-Flügeln und Raum für größeres Publikum. Kamera-Studio, Tonstudio, digitale Schnittplätze, ein eigenes Künstlerisches Betriebsbüro (KBB)! Denn es gibt Aufführungen für interessiertes Publikum zu organisieren. Ein idealer, motivierender Rahmen für derzeit 40 Schauspiel- und 8 Regie-Studenten. Die im Hof in der Mittagspause ein bisschen Sonne tanken und neue Projekte mit Kommilitonen besprechen. Eigenarbeit wird groß geschrieben. Mentoren helfen, wenn es hakt.

Was bedeutet hier „Praktische Theaterarbeit“?

Esther Hausmann kennt als renommierte Theater-, Film- und Fernsehschauspielerin den Beruf in all seinen Formen mehr als gut. Engagements hatten sie selbst u.a. an große Häuser wie an das Hamburger Thalia Theater oder ans Münchner Residenztheater geführt. Vor der Kamera wirkte sie z.B. in der preisgekrönten Breloer-Verfilmung „Die Manns – Ein Jahrhundert Roman“ mit. Und kennt aus hunderten Fernseh-Drehtagen auch in Serien wie den „Fallers“ (als „Mechthild Kramer“ im Hauptcast für über 300 Folgen), „Derrick“, „Der Bulle von Tölz“ oder „Der Alte“ auch bestens die Kamera-Arbeit als andere Seite des Berufs. Seit 2008 unterricht Hausmann folgenreich an der Folkwang. Und ist hier seit 2010 Professorin für „Praktische Theaterarbeit“ im Fachbereich 3 / Schauspiel.

Sie erzählt von der Umstellung nach dem Einzug in das neue Bochumer Theaterzentrum. Da mussten sich alle erst mal an die neuen Möglichkeiten gewöhnen. Die natürlich keiner mehr missen möchte. In Essen im barocken Folkwang-Sitz ist die Theater-Grundausbildung angesiedelt und wird von den Schauspiel-Studenten zusammen mit den „Musicals“ und „Physicals“ absolviert wird. Der Kontakt wird später im Studium gehalten, auch durch gemeinsame Projekte. An die einst legendäre Baracke der alten Bochumer Schauspielschule am Lohring (der vor der Folkwang-Fusion mit Essen einige berühmte Talente entsprangen) denkt hier heute kaum noch einer zurück.

Aufnahme-Kriterien und Berufs-Abschluss:

Esther Hausmann hat ein Chefin-Eckzimmer mit zwei Ausgängen. Theaterhistoriker witzeln oft über Stücke, denen die Autoren unter politischem Druck zwei Schluss-Varianten („Ausgänge“) verpassen mussten, wie etwa Ibsen für Nora in „Ein Puppenheim“ oder Kleist im „Zerbrochnen Krug“. Passt also: Ein Ausgang hier führt ins große Besprechungszimmer mit Terrasse, gleich kommen noch zwei studierende Mitwirkende aus „Was glänzt“ dazu. „Die Ausbildung ist inzwischen viel umfassender als noch vor 30 Jahren“, fängt Hausmann an.

Zum klassischen Ausbildungsziel einst nur einer Stadttheater-Karriere sind vielfältige Berufschancen bei Film, Fernsehen, Funk, in den Performativen Künsten - und aktuell - bei diversen Streaming-Diensten wie Netflix als TV-Nachfolge-Medium hinzugekommen. Casting-Situationen oder das Arbeiten vor der Kamera sind etwas völlig Anderes als Vorsprechen, weiß Hausmann aus eigener Erfahrung. Sie hatte seinerzeit Glück, dass sie Horst Königstein (Drehbuch-Autor und Regisseur) „in die Hände fiel“. Ihm verdankte sie entscheidende Hinweise in Sachen camera-acting.

Dass die Aufnahmeprüfungen an der Folkwang hart sind, leugnet Prof. Hausmann nicht. Aber jeder Bewerber bekommt ein ausführliches Feedback, warum es hier „diesmal nicht“ geklappt - oder eben doch geklappt hat. Idealerweise will der Lehrkörper je 5 Männer und 5 Frauen in jedem Jahrgang aufnehmen. Aber es gab auch schon mal 6 Frauen und 4 Männer! Obwohl im klassischen Theater-Rollen-Angebot interessante Frauenrollen viel rarer gesät sind als die überwiegenden Männerrollen.

Aber ändert sich nicht gerade viel?

Frauen und Männer können inzwischen alle Rollen interpretieren. (Aktuell zu sehen auch am Schauspielhaus Bochum in „Iphigenie“ oder „O, Augenblick!“). Nach vier enorm vielfältigen Jahren schließen die Studentinnen und Studenten mit einem „Artist Diploma“ (entspricht einem Master) ab. Hochschul-Absolventen der Darstellenden Kunst!

„Wir suchen Persönlichkeiten aus. Wir suchen Künstler-Persönlichkeiten, die nicht nur spielfreudig ihr Handwerk erlernen, sondern auch die Fähigkeit besitzen, eigene persönlichste Haltungen zu einer Figur oder zu einem Thema zu entwickeln. Und auch Scheitern gehört zum Beruf. Aber es gehört auch dazu, aus eigener Kraft wieder neu anzufangen. Und eigene Projekte und Ideen inhaltlich zu entwickeln und erfolgreich umzusetzen. Support, professionelle Unterstützung steht immer bereit.“, erläutert Hausmann ihre Auswahl- und Arbeits-Grundlagen. Die eigene Ethik seitens ihr und ihrer Kollegen.

Freie Themenwahl bei der Abschlussarbeit:

Die Studenten aus „Was glänzt“ entwickeln nach dieser so erfolgreichen Produktion (übrigens offiziell eine des Bochumer Schauspielhauses in der Regie von Philipp Becker) gerade eigene Projekte, die zu ihrer Abschluss-Prüfung gehören werden. Die Themenwahl ist komplett frei. Zum Beispiel Max Poerting und Klara Eham arbeiten schon daran:

Max wird gemeinsam mit Mitstudent und WG-Kumpel Ansgar Sauren die Situation junger weißer Mitteleuropäer reflektieren. Wie geht man mit „der Bürde des Weißen Mannes“ in der (nach-kolonialen) Epoche heute um? Ein weites Feld, ein Minen-Feld.

Klara Eham wird etwa ein Kinderbuch von Janosch „O wie schön ist Panama“ als Grundlage für ihr Projekt nehmen. Und - es wird kein Kinderstück!

Eigenarbeit wird groß geschrieben:

Ein früherer Absolvent hat die Demenz seines Großvaters sehr anrührend in ein Maskenspiel umgesetzt. Filme wurden und werden gedreht, Tänzer und Musiker einbezogen. Es gibt auch ein kleines Budget für Ausstattung oder Besonderes. Aber natürlich muss es immer auch im Rahmen der vorhanden Möglichkeiten realisierbar bleiben. Wer an „Ben Hur“-Artiges denkt, sollte entsprechend Sponsoren suchen und finden. Auch das gehört heute zum Beruf.

Das Theaterzentrum hat auch eine Schreibwerkstatt: Textarbeit, Textanalyse sind Teil des Rollenstudiums. Für camera-acting steht eine Kooperation mit einem professionellen Berliner Studio auf dem Ausbildungsplan.

Teil des Ensembles:

„Was glänzt“ am Bochumer Schauspielhaus war für Max und Klara (die hier für ihre Jahrgangs-Kollegen mitsprechen) eine ganz wunderbare Arbeit. Sie wurden vom Johan-Simons-Team willkommen geheißen und sehr unterstützt. Auf Augenhöhe! „Es war toll und auch eine Ehre, für diese Zeit Teil eines solchen Ensembles zu sein.“ Alle waren neugierig und aufgeschlossen. Haben alles möglich gemacht. Dramaturgische Begleitung und Textarbeit über den Stücktext hinaus. Das chorische Sprechen wurde wochenlang eingeübt. Die Belohnung: Das unglaubliche Gemeinschaftsgefühl, als es irgendwann wie von alleine lief.

Über sich hinaus gewachsen:

Beim harten sportlichen Training wuchsen viele über sich hinaus. Ein Highlight hier auch das Erklimmen eines weit über zwei Meter hohen Spiegel-Würfels. Verständliches Sprechen - trotz actionbedingter Atemlosigkeit. Spiel- und Text-Anschlüsse präzise halten können, täglich aufs Neue. Und in allen Vorstellungen! „Ein kleiner Fehlgriff und man kann sich oder Mitspieler verletzen.“. Knapp zwei Stunden absolute Konzentration - ohne Pause! Und dann der Applaus - vom kenntnisreichen Publikum des Schauspielhauses Bochum! So gerüstet kann eigentlich nicht mehr viel schiefgehen bei Bühne, Film und Fernsehen. Von wegen: „Was machen Sie tagsüber...“. Herzliches Toi, Toi, Toi, Frau Professor, Ihnen und Ihren Studenten. (cd)

"Tag der Offenen Tür" : Samstag, 11. Mai 2019 ab 15 Uhr im Theaterzentrum an der Frederikastraße 4 in Bochum.

Autor:

Caro Dai aus Essen-Werden

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