Zerstörung des Möhnetalsperre vor 75 Jahren - Flutwelle wälzt sich durchs Ruhrtal

Der durch das Möhnehochwasser am 17.3.1943 zerstörte Eisenbahnviadukt über die Ruhr bei Herdecke.
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Von Dr. Gerhard Sollbach

In Herdecke hatte es am Abend des 16. Mai 1943 einen der inzwischen immer häufigeren Fliegeralarme gegeben. Am folgenden Morgen gegen 7.30 Uhr wurden die Anwohner in der Nähe der Ruhr aber durch ein gewaltiges Brausen beunruhigt. Wie sich schnell herausstellte, war es durch eine gewaltige Flutwelle verursacht, die sich durch das Ruhrtal wälzte.

Ausgelöst hatte sie die kurz vor 1 Uhr am Morgen des 17. Mai 1943 erfolgte Zerstörung des Möhnestausees durch einen Angriff der Royal Air Force. Die Briten hatten dabei speziell für diesen Zweck entwickelte Roll- oder Rotationsbomben eingesetzt. Als die Flutwelle Herdecke erreichte, wurde in kürzester Zeit der südliche Stadtbereich überschwemmt. In der unteren Hauptstraße stand das Wasser bis zu den Fensterbänken im Erdgeschoss. Am Herdecker Bach entstand ein Rückstau, der das Bachviertel noch weiter überschwemmte. Ihren Höchststand erreichte das Hochwasser bei Herdecke am Mittag des 17. Mai 1943 mit 2,70 Meter.
Von den reißenden Fluten wurden das Bootshaus der Herdecker Paddel-Gilde und auch das auf Stelzen stehende des Herdecker Ruderclubs Westfalia fortgerissen. Letzteres zerschellte ein Stück flussabwärts. Die Wassermassen unterspülten auch einen Pfeiler des 1875-1879 aus heimischem Ruhrsandstein erbauten Eisenbahnviadukts. Besonders schwer von der Flutwelle getroffen wurde die Stoffdruckerei Heinrich Habig AG Herdecke, deren Werksanlagen sich in unmittelbarer Nähe der Ruhr befanden. In dem Betrieb, der vor Kriegsbeginn ca. 1.200 Personen beschäftigte, verursachte das Hochwasser erhebliche Zerstörungen an Gebäuden und vor allem Schäden durch die Verschlammung. Um 16 Uhr war das Hochwasser bei Herdecke aber wieder abgeflossen, und die Ruhr strömte wieder in ihrem Bett. Menschen kamen bei der Möhnekatastrophe in Herdecke nicht zu Schaden.
Allerdings gab es hier eine dramatische Rettungsaktion. Sie betraf den Wärter des Herdecker Wasserwerks, Albert Russe. Dieser war bei seinem frühmorgendlichen Kontrollgang vom Möhnehochwasser überrascht und in der Pumpstation eingeschlossen worden. Seine Ehefrau alarmierte daraufhin den in der Kampstraße im Altstadtkern ansässigen Schlosser Heinrich Kaesemann, der auch ein großes Paddelboot besaß. Kaesemann gab unverzüglich seinen beiden Lehrlingen den Auftrag, Russe mit dem Boot aus der Pumpstation zu retten. Doch als die beiden Jungen das Boot in der unteren Hauptstraße zu Wasser lassen wollten, wurden sie von einem Pionieroffzier angehalten, der das Unternehmen für die beiden Jugendlichen doch für zu riskant hielt. Stattdessen ließ er das Boot mit zwei seiner Soldaten bemannen. Doch die starke Strömung trieb das Boot rasch ab. Zum Glück konnten sich die Schiffbrüchigen auf das Dach der Pumpstation retten, und nachdem das Hochwasser einige Stunden später abgeflossen war, zusammen mit dem Wärter zu Fuß die Pumpstation verlassen.

Opfer

Die Zerstörung der Möhnetalsperre erfolgte im Rahmen einer von der britischen Luftwaffe in der Nacht vom 16./17. Mai 1943 durchgeführten Operation mit dem Deckname „Chastise“ (Züchtigung). Dabei sollten insgesamt fünf Talsperren angegriffen werden. Doch nur die Zerstörung der Möhne- und der Edertalsperre gelang. Die Angriffe auf die Lister-, Sorpe- und Ennepetalsperre blieben dagegen erfolglos. Zweck des Unternehmens war es hauptsächlich, die Industrie im Ruhrgebiet, das den Alliierten als die Rüstungsschmiede des Deutschen Reichs galt, nachhaltig zu schädigen. Doch dieser erhoffte durchschlagende Erfolg blieb letztlich aus. Das bezeugen auch die Vorgänge in dem Betrieb der Stoffdruckerei Heinrich Habig. Am 20. Mai konnten schon in einem Teil des Werks einige Maschinen wieder anlaufen und einen Tag später auch die ersten Dampfkessel wieder in Betrieb genommen werden. Bis zum 9. Juni 1943 waren dann fast alle Maschinen wieder angelaufen. Auch der Herdecker Eisenbahnviadukt wurde wiederhergestellt, und zwar durch die NS-Organisation Todt, die seinerzeit auf der Höhe am Wittbräucker Waldweg ein Mannschaftslager unterhielt. Insofern hatte der britische Luftmarschall und Chef des britischen Bomberkommandos, Arthur Harris, der die „Operation Chastise“ auch abgelehnt hatte, mit seiner Feststellung nicht ganz unrecht, dass dieses Unternehmen eine lediglich spektakuläre Aktion ohne erkennbare Erfolge gewesen sei. Allerdings kostete sie zahlreichen Menschen, vor allem Zivilisten, sowie über 1.000 Zwangsarbeitern das Leben. Doch auch die Royal Air Force bezahlte dafür einen hohen Preis. Von den 56 bei der „Operation Chastise“ eingesetzten britischen Soldaten überlebten dabei nur drei.

Autor:

Lokalkompass Hagen aus Hagen

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