Vom (Un)-Sinn der Revolte

Geschichte wird aus der Sicht der Sieger geschrieben. In Argentinien ist es umgekehrt, zumindest wenn man dem argentinischen Schriftseller Martin Caparros folgt.
„Ist die Niederlage die beste Art, sich in die Geschichte einzuschreiben?“ Dieser Frage geht Caparros in seinem Roman „Wir haben uns geirrt“ nach und bringt dabei seinen Lesern die Zeit der argentinischen Militärdiktatur in den 70er Jahren nahe.
Vor dreißig Jahren wurde Carlos Frau vom Militär verhaftet - seitdem zählt sie zu den vielen Verschwundenen, deren Schicksal auch nach Ende der Diktatur nie aufgeklärt wurde. Carlos ist ein gebrochener Mann, resigniert blickt er zurück und zweifelt an den alten Idealen: „Wir waren überzeugt, dass das Morgen bald anbrechen würde: Es war Nacht und wir rieben uns schon mal mit Sonnencreme ein.“ Richtet er seinen Blick auf das heutige Argentinien, packt ihn ohnmächtige Wut. Die Frage nach dem Sinn politischer Militanz und Utopien, nach Aussöhnung oder Vergeltung lassen ihn nicht los. Im Gespräch mit alten Weggefährten geißelt er den angeblichen Sieg über die Diktatur: „Anstatt euch um die Gegenwart und die Zukunft zu kümmern, sprecht ihr über die 70er. Ihr sonnt euch in der Vergangenheit. Wir sind noch dieselben wie vor dreißig Jahren. Wir sind wie die, die gestorben sind und keine Chance hatten, wie wir zu werden.“ Nach Ansicht von Carlos verhindert der stetige Blick auf die Opfer eine in die Zukunft gerichtete Politk.
Doch dann beginnt sich Carlos mit den Tätern von damals zu treffen und stößt auf die Geschichte eines Pfarrers, der den Folterern allabendlich den Segen erteilte. Der Wunsch nach persönlicher Rache nimmt langsam aber sicher Besitz von Carlos.
Caparros zieht eine traurige Quintessenz aus der gescheiterten argentinischen Revolution: „Die Menschen sehnen sich mehr nach einem Flachbildfernseher als nach einer gerechten und egalitären Gesellschaft.“ Bleibt nur anzufügen: Das gilt leider nicht nur für Argentinien...

Autor:

Jens Holsteg aus Herdecke

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