Mitten in Reihenhausidylle - Regisseurin Tanja Egen dreht in ihrer Heimat
"Etwas von jetzt und hier"

Die Einrichtung des Hauses konnte weitgehend genutzt werden. | Foto: Julian Paul
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  • Die Einrichtung des Hauses konnte weitgehend genutzt werden.
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Vielen Holzwickedern sind die Dreharbeiten der letzten Wochen im Ortsbild aufgefallen. „Geranien“ ist fast abgedreht, pünktlich zum Ende der Blütezeit der Balkonblume, die wie kaum eine andere für ein spezielles Lebens- und Wohngefühl steht. Für Regisseurin Tanja Egen ist es der Abschlussfilm ihres Studiums an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin und wird produziert vom ZDF. Der Drehort ist kein Zufall,Tanja Egen erlebte hier Kindheit und Schulzeit. Ein kleines bisschen autobiographisch ist er auch.

Die Handlung in Kürze: Nina lebt als Schauspielerin ein selbstbestimmtes Leben als Schauspielerin mit Familie in Amsterdam  und kehrt zur Beerdigung der Oma Marie in ihre Heimat Holzwickede zurück. Doch die Beisetzung wird verschoben und Nina mit den eingefahrenen Familienstrukturen länger konfrontiert als sie ahnte. Plötzlich kommt sie auch ihrer Mutter wieder näher. „Eine Geschichte die ich glauben kann“, erklärt Tanja Egen. "Es geht um kein großes Familiengeheimnis. Die
Alltäglichkeit steht im Fokus.“
Das Drehbuch schrieb Tanja Egen(36) in Zusammenarbeit mit Autorin und Dramaturgin Esther Preußler ("Über Grenzen gehen") , selbst, übrigens vor Corona. Für Script und Continuity sowie 2. Regie-Assistenz wählte sie Lena Gutschank, die ebenfalls aus Holzwickede stammt. Sie hatte bereits für einen vorherigen Film, GESELLSCHAFTER, die Regieassistenz übernommen. 
 Rasch war Tanja Egen klar, den Film in ihrer Geburtsstadt zu drehen. „Es ist keine Auseinandersetzung mit der Kohlevergangenheit, aber es geht um Identität. Ich fühle mich dem Pott mehr verbunden als dem Sauerland.“ Da passt Holzwickede gut, mit seiner Lage genau dazwischen. „Meine Familie ist selbst hier aus Dortmund zugezogen“, erklärt Tanja Egen. „In dem Sinne ist er autobiographisch.“
Glücksfall Drehort
Mittelpunkt des Filmdrehs ist ein Reihenhaus in der Münchener Allee. Drei Monate vor Drehstart ging Tanja Egen mit Kamerafrau Claudia Schröder „Klinkenputzen“. Sie erfuhren, dass dort ein Haus zum Verkauf stehe, aber noch nicht inseriert sei und das Ausräumen im Gange. „Das war ein Glücksfall, dass die Eigentümer es zur Verfügung stellten.“ Die Szenenbildnerinnen entwickelten ein Konzept, in dem viele Original-Möbel genutzt werden. „Geranien“ spielt in einem Milieu, das Tanja Egen bis zum 18. Lebensjahr selbst erlebt hat. „Es ist spezielle Art von Ruhrgebietgeschichte und eine bestimmte Art des Zusammenlebens in der Reihenhaussiedlung.“
Dichte Bebauung mit schmalen Fußwegen war ein Kriterium, die Farbigkeit in der Umgebung ein weiteres. Innen sollte blau gestrichen, die Eigentümer hatten nichts dagegen. Zur Enge der Handlung passt das 4:3-Format, bekannt aus früheren TV-Zeiten. Die Drehorte wurden soweit machbar nach der Nähe zu den Charakteren ausgesucht. Zwischendurch klingelte das Team bei Nachbarn an, suchte weitere passende Räumlichkeiten. „Wir haben extrem freundliche Menschen erlebt“, freut sich Tanja Egen.
60 Statisten
Vom Reihenhaus über die Neubausiedlung und Kirche bis zum Friedhof liegen die meisten Drehorte in der Emschergemeinde. Nur eine Szene wurde auf den Marktplatz in Unna verlegt.
29 Drehtage arbeitete das Team um Regisseurin Tanja Egen in der Emschergemeinde. Mit zehn Darstellern aus Berlin, Iserlohn und Dortmund drehte das Team, das insgesamt 35 Mitglieder stark ist. Aufgestockt wurde für Autoszenen, dann waren es bis zu 50. Als Statisten sind fast ausschließlich Holzwickeder dabei, weitgehend ausgesucht beim Casting im Juni in der Rausinger Halle. 50 bis 60 sind es und „die Holzwickeder sind als Schauspieler toll“ meint Tanja Egen. Die jüngste ist sieben Jahre alt, der Oldie unter den Statisten ist Reinhold mit respektablen 93 Jahren. Viele wurden auf der Straße angesprochen oder über Mundpropaganda empfohlen.
Hauptarbeit
Bei den Dreharbeiten habe es keinen Tag gegeben, der nicht „funktioniert“ habe. Viele Momente sogar überraschend toll. Etwa bei einer Szene auf dem Friedhof. Laut Drehbuch stolpert ein Sargträger, ungeplanter Weise verrutschte aber auch der Blumenschmuck auf dem Sarg und wurde von den Statisten abgefangen. „Vielleicht schafft es die Szene bis in den Film“, hofft die Regisseurin. „Das hätte man so nicht schreiben können.“ Die langwierigste Arbeit beginnt nach dem Dreh. Das Sortieren und Schneiden des Materials wird Monate in Anspruch nehmen. 
Ihre Heimatgemeinde Holzwickede als Drehort zu wählen war für Tanja Egen eine gute Entscheidung. In Zukunft freut sie sich aber über Geschichten, die von Holzwickedern erzählt werden. „Jeder Ort bietet unendlich viele Geschichten. Ein Ort ist nie fertig.“ Vielleicht ist es dann ein Film von Linus (10). Als Statist machte er begeistert mit, löcherte das Team mit fragen zur Technik. Tanja Egen sprach ihn an. Er drehe gerade seinen ersten Film und sei Producer, Autor, Cutter in einer Person. Ein Freund übernehme die Regie. Einen 7-Tonnen-LKW für die Lichtanlage brauche er nicht. Eine App auf dem Handy genügt für seinen animierten Film.
Mit "Geranien" plant Tanja Egen die Teilnahme an Festivals im Herbst 2022 und anschließend als „Kleines Fernsehspiel“ im ZDF. Vor dem Frühjahr 2023 werden TV-Zuschauer „Geranien“ also wohl nicht zu sehen bekommen.

Info zur Person

Tanje Egen, Jahrgang 1985, lebt seit 15 Jahren in Berlin, davor lange in Hamburg. Nach dem Abi am Clara-Schumann-Gymnasium sammelte sie als Praktikantin erste Theatererfahrung in Hamburg. Nach dem Bachelor-Studium der Philospohie nahm sie eine Auszeit in der Türkei. Setzte das Masterstudium danach zunächst fort. Bereits als Schülerin schrieb sie Handlungen, recherchierte wie man Regisseurin wird. „Denn ich wollte das in Bewegung sehen.“ U.a. mit einem feministischen erotischen Kurzfilm wurde sie spontan an der Filmhochschule angenommen. Dem Genre des „Modernen Heimatfilm“, zu dem „Geranien“ zählt, ist sie nicht verschrieben. „ Man entwickelt eine Handschrift, aber das Genre kann man  wechseln.“ Ihr Ziel: Eine gute Festivalsaison und eine Chance, es mit nach Cannes zu schaffen. Vielleicht ebnet „Geranien“ den Weg dorthin.

Autor:

Stefan Reimet aus Holzwickede

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