Kinderlandverschickung: Gladbeckerin reiste zurück in die Vergangenheit

Erinnerungen an Bayern: Das Ehepaar Klaus und Anneliese Quinters mit einer alten Schwarz-Weiß Fotografie, das die damals Siebenjährige mit ihrer Schwester vor dem Haus der Gasteltern zeigt.
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Auf diese Fahrt nach Bayern hat sich das Gladbecker Ehepaar Anneliese und Karl Quinders mehr gefreut, als auf jeden Urlaub der letzten Jahre. Ging es für sie doch nicht einfach zu einem Besuch bei Freunden oder Bekannten, sondern auf eine Reise in die Vergangenheit. Eine Zeit voll positiver Erinnerungen und einschneidener Erlebnisse.

Anneliese Quinders wurde vor 77 Jahren zwar in Gelsenkirchen geboren, ihre Kindheit hat sie aber während des Zweiten Weltkriegs im bayrischen Kühbach verbracht. Als die Bombenangriffe deutsche Städte bedrohten, wurden ab Oktober 1940 Schulkinder in weniger gefährliche Regionen des Landes gebracht. Im Rahmen der sogenannten „Kinderlandverschickung“ (KLV) ging es für die dreijährige Anneliese und ihre Schwester Renate mit dem Zug Richtung Süden. Der 700 Seelen große Ort Kühbach, Nähe Augsburg, wurde für die nächsten fünf Jahre ihre neue Heimat.
„Einige der besten Jahre meines Lebens habe ich dort verbracht,“ erinnert sich die Gladbeckerin gerne zurück. Bei ihren neuen Gasteltern, der Schneiderfamilie Kurrer, fühlte sie sich gleich bestens aufgenommen. „Wir hatten viel Platz zum Spielen, wurden gut erzogen und durften auch mal was aushecken.“ Einziger Wehmutstropfen: Schwester Renate kam bei einer anderen Familie unter.
Auch an Kleidung und Essen habe es nie gemangelt, eine neue Freundin fand sich schnell in der Nachbarschaft. Vor allem Ziehmutter Franziska kümmerte sich rührend um das kleine Mädchen aus dem Ruhrgebiet. „Jeden Abend hat sie mich ins Bett gebracht, mir vorgelesen oder mit mir gebetet. Und wenn es kalt war, hat sie mir eine Wärmeflasche gemacht.“ So dauerte es nicht lange, bis die kleine Anneliese sie ‚Mama‘ nannte. Nur dass die Kinder das Wohnzimmer außer an Feiertagen nicht betreten durften, unterschied die bayrische Lebensart arg von der gewohnten Kultur in Gelsenkirchen.

„Ich wäre gerne geblieben“

Nach Kriegsende wurde die inzwischen Achtjährige von Schwester Renate und ihrer leiblichen Mutter bei den Kurrers abgeholt. „An diesen Tag erinnere ich mich nicht gerne zurück, da mir der Abschied damals sehr schwer fiel,“ gesteht Anneliese Quinders. Die Mutter war ihr nach Jahren der Trennung fremd geworden. „Deswegen wäre ich gerne da geblieben.“
„Doch dann hätten wir uns wahrscheinlich nie kennen und lieben gelernt,“ entgegnet ihr Mann Klaus, mit dem sie seit 55 Jahren glücklich verheiratet zusammen lebt.

Nach dem erstmaligen Besuch vor 34 Jahren in Kühbach folgte im vergangenen Mai nun der zweite. Die Gasteltern sind mittlerweile natürlich längst verstorben, und doch wurden die Quinders wie Freunde aufgenommen.
„Ihren Sohn, Franz Kurrer Senior, haben wir beim ersten Wiedersehen kennengelernt. Er ist wie sein Vater Schneider geworden.“ Und dessen Sohn, Franz Kurrer Junior, hatte die Idee, ein Treffen zu organisieren und seinen Vater zu überraschen. „Also hat er uns mit dem Auto abgeholt und nach einem 5-tägigen Aufenthalt wieder nach Hause gebracht. Das war klasse. Die Überraschung ist uns wirklich gelungen,“ freuen sich die Gladbecker, die ihren Kurztrip nach Bayern mit Besuchen umliegender Ortschaften füllten. Das Kühbach selbst Anneliese Quinders nach 70 Jahren noch vertraut vorkam, lag nicht zuletzt an den Bewohnern: „Beim Bäcker bin ich doch glatt angesprochen worden. ‚Sag mal, bist du nicht die Anneliese?‘ Absolut verrückt.“ So fiel ihr auch der dritte Abschied von der liebgewonnenen Gemeinde alles andere als leicht.

Erinnerungen an Bayern: Das Ehepaar Klaus und Anneliese Quinters mit einer alten Schwarz-Weiß Fotografie, das die damals Siebenjährige mit ihrer Schwester vor dem Haus der Gasteltern zeigt.
Wiedersehen nach 70 Jahren: Vor dem Kühbacher Kriegerdenkmal stellten sich (v. l.) Freundin Dora Garn (geborene Oberhauser), Nachbar Jakob Dafelmair, Franz Kurrer senior, Karl und Anneliese Quinders sowie Anna Kurrer und Franz Kurrer junior für ein Erinnerungsfoto auf. | Foto: Privat
Autor:

Christian Gensheimer aus Essen-Nord

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