Knallpilze und andere todsichere Sachen

Schmackhaftes Stillleben in Mülheim
  • Schmackhaftes Stillleben in Mülheim
  • hochgeladen von Anke Müller

Jeden Herbst erwacht bei meiner Freundin Micha das Pilzfieber. Sie scheint nicht viele Pilze zu kennen, denn sie fotografiert sie und fragt uns dann in der WhatsApp-Gruppe, was das für einer ist. Und ob er zu den genießbaren zählt. Die anderen Mädels halten sich bedeckt, ich Landei bin die Pilzfachfrau. Eine Einäugige unter Blinden – Sie verstehen?

Meine Freundin schickt aber auch Kreaturen, ich sage Ihnen weiter nichts!
Wir hatten schon welche, da flatterten fleischfarbene Unterröcke auf dürren Spinnenbeinen im Wind. Oder schwindsüchtige Fingernägel, die sich um ein Fläschchen schwefelgrünen Lacks balgten. Letztens war einer dabei, der sah aus wie das Gehirn eines Affen. Bei den Fotos kann es einem Himmelangst werden. Unter den ShootingStars fand sich noch keiner, den man auch nur in die Nähe eines Kochtopfes lassen konnte. 

Wie es der Zufall will: Just wenn bei Micha im Garten die Pilze sprießen, tun die das bei uns daheim auch. Allerdings mit einem diffizilen Unterschied: Unsere Pilze sind auf alle Fälle essbar! Wir haben Rotfußröhrlinge, im Volksmund auch Ziegenlippen genannt und Birkenpilze.
In den letzten Jahren kamen wir in Summe auf maximal drei Schwammerl pro Saison - doch in diesem Jahr knacken wir alle Rekorde! Im Moment wachsen 14 riesengroße Schirme gleichzeitig auf der Wiese. Alles Birkenpilze, fein verteilt unter dem namensgebenden Baum.

Mein Pubi schleicht nun täglich mit der Bratpfanne unterm Arm in den Garten und hofft, dass ich das nicht bemerke. Zu gerne möchte er sich ein schmackhaftes Pilzgericht einverleiben.
Allein ich untersage das strickt!
Unsere Pilze werden nicht gegessen!
Ich will, dass unsere Pilze Sporen werfen!
Ich will, dass wir eines Tages Pilze wie vom Acker ernten können!

Einfach eben das Abendessen reinzuholen, ohne dafür erst im Wald herumzustreunen und dort Hänsel und Gretel, dem bösen Wolf und anderem Geschwerl zu begegnen.
Mein Traum und der pure Luxus.

Dafür opfere ich auch Einiges. So ist bei uns jeden Herbst die Wiese für sämtliche Kinder gesperrt. Ich mache da keinen Unterschied, ob es sich um eigene oder um Besucherkinder handelt. Da bin ich eisern! Jeder Pilz soll die Zeit zum Reifen und Absamen bekommen, die er braucht. Macht man mit Männern ja auch so.

Genug von der Rahmenhandlung erzählt, werden wir mal szenisch!

Gestern hatte mein Gatte Grillbesuch geladen. Den Kindern wurde das Geschwätz der Erwachsenen schnell zu langweilig und so klauten sie sich in einem unbeobachteten Moment den Beutel mit dem MinigolfEquiment und verzogen sich nach hinten auf die Wiese.
Pubi hatte zusätzlich noch einen Hammer mitgenommen - soll er was helfen, weiß er nie, wo das Werkzeug liegt.

Erst ab dem ersten Schlag auf eines der Positionshölzchens kriegte ich die Sache spitz. „Ey, wat soll dat?“, brüllte ich in den Garten. „Die Wiese ist gesperrt!“
„Wir machen nichts kaputt“, vernahm ich Geflügels zartes Stimmchen von hinterm Schilf. „Wir sind ganz vorsichtig und spielen nur hier am Weg. Indianerehrenwort!“

Ich wollte gerade ansetzen, dass ich das kennen würde und jetzt Schluss mit der Gaudi wäre, doch mein Mann beruhigte mich: „Mach nicht so einen Stress. Die Pilze sind groß genug, die sind nicht zu übersehen. Da tritt keiner drauf.“
Mein Finger zuckte zur Schläfe und ich wollte meinen Gatten Bescheid geben, doch der Besucher kam mir zuvor und nickte zustimmend: „Genau. Sie haben es außerdem versprochen.“

Was hätte ich da tun sollen?
Ich gab mich geschlagen.
Gegen zwei bornierte Männer kommt man mit mütterlicher Weitsicht sowieso nicht an.

Ich winkte also ab und begab mich in die Küche. „Will jemand Kaffee?“ Hausarbeit lenkt mich immer am besten ab.
Und richtig: Die Kaffeemaschine blinkte mir fröhlich einen Imperativ entgegen: Trester leeren!
Gerade wischte ich mit einem Küchentuch das matschige Kaffeepulver aus den Ecken des Auffangbehälters, als die Kinder ihres Spiels überdrüssig zur Terrasse zurückkamen.
„War‘s das schon?“, fragte der Besucher verwundert, während mein Mann vermittels Zeigefinger eine parente These an die Terrassentür nagelte: Auch wenn sich eine Sache als weniger aufregend entpuppt als gedacht, bleibt man eine Weile dabei und gibt ihr eine Chance!

Bei mir jedoch schrillten sämtliche Alarmbimmeln Sturm: „Was habt ihr angestellt??“
„Was sollen die angestellt haben?“, knurrte mein Mann. „Die haben keinen Bock mehr.“
„Quatsch“, knurrte ich zurück. „Wie viele Pilze?“ Ich sah Pubi scharf an.
„Du hast echt ‘n Knall mit deinem Pilztick!“, fauchte der Knabe und wollte sich an mir vorbei ins Haus zwängen. „Das wird sowieso nichts!“

„Wie viele?“
„Mensch, vier, wenn du es genau wissen willst!“
Schnell rechnete ich im Kopf durch. Die Verbliebenen würden es schwer haben: Dynastien zu gründen erfordert Disziplin!

Verbal weiter rumzuzicken brachte aber nichts, das schraubte den Gefallenen die Pilzmurmeln auch nicht wieder drauf. Erzürnt holte ich mir deshalb aus der Küche das schärfste Messer, das wir besitzen – und?
Schnippelte die Körper der vier Birkenschwammerl in hauchdünne Scheiben. Dann breitete ich sie sorgfältig auf vier Blättern Küchenkrepp aus, und stellte sie in die Sonne. Am Abend nahm ich sie mit ins Haus und rangierte sie liebevoll auf der Heizung.

Das wiederhole ich jetzt täglich; so lange, bis sie richtig schön prasselig trocken sind. Dann stecke ich sie in ein Schraubglas und im Winter kommen sie in die gute Suppe.

Im Ergebnis ist das gar nicht so schlecht gelaufen. :-)

Autor:

Anke Müller aus Mülheim an der Ruhr

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