Ihr Hab und Gut in den Charlottenburger geschnürt

Alle seine Werkzeuge hat  er dabei | Foto: Marita Gerwin
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Seine Kleidung ist typisch für einen fremden Gesellen: Eine weite Schlaghose aus Cord, dazu eine passende Weste mit großen Knöpfen. Darunter trägt er ein weißes Hemd und um den Hals die schwarze Ehrbarkeit, eine Krawatte. Über den Hut der Gesellen erzählte man sich früher eine Geschichte: Im ersten Jahr war es der Hut mit der großen Krempe, weil die Gesellen noch dachten, dass die Welt flach ist. Im zweiten Jahr dann die Melone, denn sie wussten nun, dass die Welt rund ist. Im letzten Jahr ging es auf Brautschau, dafür musste der feierliche Zylinder her. "Heute denke ich praktisch und trage einen Hut mit der kleinen Krempe", verrät mir der gutgelaunte junge Mann. Vier Jahre war er unterwegs, auf der Walz durch ganz Europa. Eine Erfahrung, die ihm niemand mehr nehmen kann. Viel hat er erlebt und zu erzählen.

Wir treffen die drei Wandergesellen der Zimmermanns-Zunft in Trier vor der Porta Nigra. Auf der Erde neben ihnen liegt jeweils ein zusammengeschnürtes Bündel, der Charlottenburger, in dem ihr komplettes Hab und Gut verstaut ist. Es ist nicht viel. Nur Unterwäsche, Handwerkszeug und der warme Schlafsack. "Man lernt, mit wenig auszukommen", sagt einer der jungen sympathischen Zimmermänner. Auf dem Tisch liegt sein Wanderbuch. Ich darf kurz einen Blick hinein werfen. Ich entdecke die Städtesiegel der von ihm besuchten Ortschaften, nachdem er bei deren Bürgermeistern „zünftig um das Siegel vorgesprochen“ hat.

Mindestens 3 Jahre und 1 Tag sind die Wanderburschen der Handwerkszünfte unterwegs. Direkt nach ihrer Freisprechung, nach Abschluss ihrer Ausbildung sind sie fortgezogen in die weite Welt. Die Gesellen wollten vor allem neue Arbeitspraktiken, Lebenserfahrung und fremde Orte, Regionen und Länder kennenlernen, bevor sie ihren Meister anstreben. Um als Handwerksgeselle die Welt bereisen zu können, müssen einige Bedingungen erfüllt sein. Auf die Wanderschaft darf heute nur gehen, wer die Gesellenprüfung bestanden hat, ledig, kinderlos und schuldenfrei ist. Die Wanderschaft soll nicht als „Flucht“ vor Verantwortung missbraucht werden. Oftmals ist ein polizeiliches Führungszeugnis ohne Einträge erforderlich. Die meisten Handwerks-Zünfte haben eine Altersbegrenzung. Manchmal ist auch die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft erforderlich.

Die Walz, wie die drei Gesellen ihre Wanderschaft bezeichnen, ist an schwierige Bedingungen geknüpft. So darf der "Fremdgeschriebene", wie er offiziell heißt, in seiner Reisezeit einen Bannkreis von 50 km um seinen Heimatort nicht betreten, auch nicht im Winter oder zu Feiertagen. Er darf kein eigenes Fahrzeug besitzen und bewegt sich nur zu Fuß oder per Anhalter fort. Öffentliche Verkehrsmittel sind nicht verboten, aber verpönt.

Weiterhin muss er in der Öffentlichkeit immer seine Kluft tragen. Da ein Fremder oftmals auf die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen ist, zum Beispiel bei der Suche nach Arbeit oder einem Schlafplatz, hat er sich immer ehrbar und zünftig zu verhalten, so dass der Nächste ebenfalls gern gesehen ist. Eine gepflegte Erscheinung erleichtert die Kontaktaufnahme und das Trampen.

Glücklich und zufrieden und um so manche Erfahrung reicher kehren diese drei jungen Männer heute heim. Sie trinken einen Kaffe und ein letztes Bier zusammen und ziehen von dannen. Mit ihrem Charlottenburger auf dem Rücken. Jeder in eine andere Richtung verschwinden sie durch die Rundbögen der Porta Nigra in Trier, der ältesten Stadt Deutschlands.

Viel Glück wünschen wir ihnen zum Start ins neue, geregelte uns strukturierte Leben. Sicherlich eine Herausforderung und Umstellung zugleich. "Das packen wir. So schnell haut uns nichts mehr um", ist ihre Devise. Gut so.

"Auf geht´s. Denn auch der längste Weg beginnt immer mit dem ersten Schritt", ruft uns winkend die illustre Truppe zu, bevor wir sie aus den Augen verlieren.

Autor:

Marita Gerwin aus Arnsberg

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